Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Kantate (4. Sonntag nach Ostern), 28. April 2002
Predigt über Offenbarung 15, 2-4, verfaßt von Heinz Janssen

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Vorschlag zur Gottesdienstgestaltung nach den Ereignissen in Erfurt am 26. April:

Ich werde wahrscheinlich vor dem Orgelspiel zusammen mit einem Kirchenältesten eine Kerze anzünden und zum stillen Gebet Zeit lassen, das ich mit einem Kyriegebet aufnehme.

 

SINGET DEM HERRN EIN NEUES LIED
oder: EINSTIMMUNG AUF DAS LIED DER HOFFNUNG

Liebe Gemeinde!

"Kantate" heißt dieser 4.Sonntag nach Ostern. Zum Singen werden wir an diesem Sonntag ausdrücklich aufgefordert. Was wäre ein Gottesdienst ohne Gesang, und was wäre unser Lebensalltag ohne Lieder! Aber andererseits ist Singen nicht gerade selbstverständlich. Kantate - dieser Aufruf zum Singen hat eine bestimmte Ausrichtung, einen beschreibbaren Sinngehalt, einen Beweggrund: Cantate Domino - Singet dem HERRN, singt für Gott!

Singen wir heute in diesem festlichen Gottesdienst, so tun wir es voll Freude. Ich darf miteinstimmen, mich hineinnehmen und sogar tragen lassen, wenn es mir schwerfällt, mitzusingen.

I. "Singet dem HERRN ein neues Lied...", hören wir im Sonntagspsalm (98, 1). Diese Einladung begleitet uns auch als Wochenspruch durch die kommende Woche. "Ein neues Lied" singen - was heißt das? Es kann bedeuten: Jeden Tag mit seiner Melodie neu annehmen. An fröhlichen Tagen frohe Lieder, in Momenten des Glücks Lieder voller Dankbarkeit. Wird es ein dunkler Tag für mich, ist mein Klagelied kein Zeichen des Unglaubens. Es gibt Tage, an denen es nötig ist, sich gegenseitig aufzumuntern. Welch eine Kraft können dabei Lieder haben! Und was für ein emotionaler Ausdruck kann ein Lied sein, wenn es gilt, persönlich erfahrene Liebe und Zuwendung zu besingen! Es gibt so viele Lieder und Lebensmelodien. Ein neues Lied singen heißt: sich immer wieder in die vielseitigen Herausforderungen des Lebens hineinnehmen lassen, auf die Melodie, den Rhythmus der verschiedenen Lebenssituationen achten und die eigene Stimme miteinbringen - leicht, freudig, klagend oder getragen und wenn nötig schrill nach Aufmerksamkeit verlangend, gewaltig oder zart.

Das neue Lied will die leidvollen Erfahrungen in unserem Leben also nicht übertönen, auch nicht in Einklang bringen mit unseren vielfältigen und zuweilen dissonanten Lebensmelodien oder Missklängen. Das neue Lied der Hoffnung nimmt aber den traurigen und bedrängenden Melodien ihre letzte Mächtigkeit. Es setzt ihnen eine Grenze und lässt schon ein wenig hineinhören in jenen "höhern Chor" (EG 328, 3), der von der Überwindung allen Leides weiß.

Paul Gerhardt verdanken wir viele der schönsten Kirchenlieder, Lieder voller Trost und Hoffnung. Er konnte den tiefsten Beweggrund seines Singens in die Worte fassen: Mein Herze geht in Sprüngen und kann nicht traurig sein, ist voller Freud und Singen, sieht lauter Sonnenschein. Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesu Christ; das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist (EG 351, 13). - Hören wir dazu die beschwingte Melodie! (Orgel oder ein anderes Instrument)

II. "...das, was mich singen machet, ist, was im Himmel ist." - In die himmlische Welt durfte vor rund 1900 Jahren der Seher Johannes auf der Insel Patmos schauen. Wegen seines Glaubens wurde er von den römischen Machthabern dorthin verbannt. Wir können heute noch seinen Spuren auf den wunderbaren und heute ganz von der Botschaft des Johannes geprägten Insel in der Ägäis folgen. Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, auch "Apokalypse" genannt, hören wir im 15.Kapitel, in den Versen 2 bis 4, dem heutigen Predigttext (Übersetzung Gute Nachricht Bibel 1997):

2 Ich sah etwas wie ein gläsernes Meer, das mit Feuer vermischt war. Auf diesem Meer sah ich alle die stehen, die den Sieg über das Tier erlangt hatten und über sein Standbild und die Zahl seines Namens. Sie hielten Harfen in den Händen, die Gott ihnen gegeben hatte.

3 Sie sangen das Lied, das Mose, der Diener Gottes, verfasst hatte, und das Lied des Lammes:
"Herr, unser Gott, du Herrscher der ganzen Welt, wie groß und wunderbar sind deine Taten! In allem, was du planst und ausführst, bist du vollkommen und gerecht, du König über aller Völker!

4 Wer wollte dich, Herr, nicht fürchten und deinem Namen keine Ehre erweisen? Alle Völker werden kommen und sich vor dir niederwerfen; denn deine gerechten Taten sind nun für alle offenbar geworden".

"Das Lied der Überwinder" - so lautet die Überschrift über diese Vision in der Lutherbibel. " Wie groß und wunderbar sind deine Taten! In allem, was du planst und ausführst, bist du vollkommen und gerecht, du König über aller Völker...", so sangen sie vor Gott, jene, welche "die große Verfolgung durchgestanden" (Kap. 7, 14) haben. Die Inhalte ihres Liedes waren Johannes und der Gemeinde damals aus ihrer Bibel, besonders aus den Psalmen, und aus den Gottesdiensten bekannt. Uns heute kann dabei das volkstümliche Lied "Großer Gott, wir loben dich" in den Sinn kommen. Wollen wir es einmal singen? (OrganistIn intoniert, Gemeinde singt EG 331, 1)

Jene Schar der Überwinder, die Johannes schaute, standen singend und Harfen spielend "auf dem gläsernen Meer". Das gläserne Meer ist "mit Feuer vermischt" - Feuer: es erinnert hier an den brennenden Dornbusch, ein Bild für Gott und seine Nähe, für seinen brennenden, nicht verlöschenden Eifer für sein leidendes Volk. Das Meer, die Ozeane, mit ihrer unermesslichen Tiefe, ihrer Wildheit und ihrem Dunkel waren von alters her ein Bild für Bedrohung, Gefahr und Tod. Demgegenüber steht die Vision vom gläsernen Meer in der himmlischen Welt - niemand wird in die Tiefe gerissen, es trägt. Es ist durchsichtig wie Glas, kristallklar, still, hell, lichtdurchflutet. Licht und Glanz gehen von ihm aus in die Dunkelheit der Welt - "Morgenglanz der Ewigkeit..." (Intonation EG 450 mit Orgel oder einem anderen Instrument).

III. Jetzt können wir verstehen, dass die Offenbarung des Johannes für die damals durch Verfolgung heimgesuchten Christen nicht ein Buch des Schreckens, sondern der Hoffnung und des Trostes war. Die Botschaft von der Überwindung des Leides, von der Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit der Wege Gottes, gab ihnen Kraft für ihren schweren Weg und ermutigte sie, trotz allem auf Wegen der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens zu gehen und dabei an Gott festzuhalten.

Das Lied der Überwinder hat für Johannes und seine Gemeinde eine Tür geöffnet, wenn auch nur einen Spalt breit. Ein Strahl der Ewigkeit drang hindurch in diese Welt der Vergänglichkeit, des Leides und voller Perversionen. Ein Licht ist ihnen aufgegangen. Es hatte die Kraft ihnen "heimzuleuchten". Jetzt ahnten sie: das Leben ist mehr als was vor Augen ist, mehr als Leid, Scheitern und Zerbrechen... Darum haben Lieder, besonders Lieder der Hoffnung, so einen tiefen Sinn.

Die Überwinder, die Johannes in seiner Vision schaute, standen auf einem "gläsernen Meer", sie hatten in der Nähe Gottes mehr als das Vordergründige vor Augen, hatten den Durchblick und konnten auf den Grund schauen. Wo stehen wir? Wo stehst Du, wo stehe ich? - Wir stehen noch nicht dort in der lichten Klarheit Gottes. Uns steht manchmal das Wasser bis zum Hals, und wir drohen in den Fluten und reißenden Strömen des Lebens umzukommen. "Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle", heißt es in einem Psalm (69,2).

Wie klingt Dein Lied der Hoffnung? - Wenn Du kein eigenes hast, darfst Du auf Altbewährtes zurückgreifen. Schon immer wurde Hoffnung in Worte, Lieder und Musik gefasst - wir werden heute an das Lied des Mose, des Knechtes Gottes, erinnert; es besingt wie das Lied Mirjams die Befreiung der Israeliten aus der einstigen ägyptischen Sklaverei und will damit mehr als nur zurückblicken. Es besingt den auch heute und in Zukunft aus aller Not rettenden Gott - für diesen Gott erklingt zugleich das Lied, mit dem Jesus, sein Christus, das Lamm, das der Welt Sünde trägt und dafür gelitten hat und lebt, ihm allein die Ehre gibt : "Wie groß und wunderbar sind deine Taten! In allem, was du planst und ausführst, bist du vollkommen und gerecht, du König über alle Völker..."

Darum stimme ein in die neuen Lieder der Hoffnung auf Gott, singe gegen das alte Lied des ewigen Zweifelns und der Resignation an - trotz aller tobenden Wasser und gefährlichen Strömungen, die uns den Durchblick nehmen. Gib dem Vertrauen und der Hoffnung auf Gott eine (tragende) Stimme ("Tenor"!) in den wechselnden Lebensmelodien, denn groß und wunderbar sind seine Taten, vollkommen und gerecht. (Gemeinde singt - statt des von dem/der Liturgen/Liturgin gesprochenen Amen - die Amenstrophe aus EG 289,5:) Sei Lob und Preis mit Ehren Gott Vater, Sohn und Heilgem Geist! Der wolle in uns mehren, was er aus Gnaden uns verheißt, daß wir im fest vertrauen und gründen ganz auf ihn, von Herzen auf ihn bauen, daß unser Mut und Sinn ihm allezeit anhangen. Drauf singen wir zur Stund: Amen, wir werden's erlangen, glauben wir von Herzensgrund.

Exegetische Hinweise und homiletisch-liturgische Gedanken:
Die Johannes-Offenbarung/Apokalypse ist bis heute ein in exegetischer, theologischer und homiletischer und nicht zuletzt in literarischer Hinsicht viel umstrittenes Buch. Wegen der Fülle mythologischer Vorstellungen und einer stark ausgeprägten Symbol- und Bildersprache ist es oft schwer verständlich - inzwischen allerdings in vielem "verständlicher", was die "apokalyptischen" Aspekte betrifft, und geradezu aktuell in der Ekklesiologie, wenn es um die Frage nach den "Standpunkten" der Kirche in der Gesellschaft geht. Zu beachten ist die vielschichtige Rezeption des Ersten Testamentes sowie der liturgischen Tradition. Die Perikope 15,2-4 steht im Kontext der dramatischen Vision von den Sieben-Schalen (Kap. 15,1-16,21 vgl. die Visionen von den sieben Siegeln und sieben Posaunen, Kap. 5-11); diese erinnert z.T. an die ägyptischen Plagen (Ex 7-11) und leitet das Gericht über Babel, Inbegriff der gott- und menschenfeindlichen Mächte (vgl. die Rede vom "Tier" in V.2 und Kap. 13), ein.

Der Abschnitt, dessen - wie überhaupt der ganzen Apokalypse - "seelsorgerliche(s) Anliegen" (NTD 11, J.Behm, S.89/vgl. E.Lohse) im Horizont des sich durchsetzenden machtvollen Heilshandeln Gottes (U.Schnelle, Einl. i.d. NT, S.596.608) mit zu bedenken ist (vgl. Kap. 16,15!), mündet in einen "Hymnus der Anbetung" (H.Lilje, Das letzte Buch der Bibel, S.229); er wird angestimmt in der himmlischen Welt ("auf dem gläsernen Meer"/epi taen thalassan taen hyalinaen V.2) von jenen, die im Kampf des Glaubens nicht unterlagen und an Gott trotz allem festhielten (nikoontes ek tou thaeriou V.2). Der Hymnus, eine Gottesprädikation, ist durch und durch liturgisch und nach dem Muster der biblischen hebräischen Psalmen geformt und verbindet die Gemeinde Jesu Christi, des "Lammes", mit der Gemeinde des Moses, des "Knechtes Gottes". Beide Titel "Knecht Gottes" (doulos tou theou/servus Dei) und "Lamm" (arnion/agnus) weisen in einer nicht mehr zu überbietenden Steigerung auf den exemplarisch in Mose und Jesus von Nazareth verwirklichten hingebungsvollen Dienst vor Gott und die Gott dadurch erwiesene Doxa hin.

Getragen ist der Hymnus von der Hoffnung einer bedrängten Gemeinde auf die rettende, befreiende und bewahrende Gerechtigkeit Gottes: keine Macht der Welt, auch nicht das abgründigste menschenfeindliche und Leben zerstörende menschliche Handeln, kann sie aufhalten. So "mobilisiert" die Perikope die Seelenkräfte, um - gestärkt durch die "Vision einer gerechten Welt" (so der Untertitel in der dt. Übers. der Studien von Elisabeth Schüssler-Fiorenza, The Book of Revelation) - wachsam der (organisierten) anthropologischen und theologischen Perversion entgegenzutreten. Dem Gott prädizierenden Singen und Musizieren kommt dabei eine nicht zu unterschätzende emotionale Bedeutung zu - "Cantate Domino" (Psalm 96,1-3/ "in gratias cantantes in cordibus vestris Deo" (Sonntagsepistel Kolosser 3,12-17). Welch eine Chance für das Zusammenwirken von LiturgInnen und KirchenmusikerInnen am Sonntag "Kantate", dem Sonntag der Kirchenmusik! Wenn dann noch - als Anklang an die "kitharai tou theou" (V.2) - eine Harfe (bzw. Laute oder Zither) erklingen könnte!

Psalm 98

Kyriegebet (nach Dag Hammarskjöld) Möge sich alles in meinem Wesen, o Gott, zu Deiner Ehre wenden, und möge ich nie verzweifeln; denn ich bin unter Deiner Hand, und alle Kraft und Güte sind in Dir. Gib mir einen reinen Sinn, dass ich Dich erblicke, einen demütigen Sinn, dass ich Dich höre, einen liebenden Sinn, dass ich Dir diene, einen gläubigen Sinn, dass ich in Dir bleibe.

Epistel Kolosser 3,12-17

Evangelium Matthäus 11,25-30

Dank und Fürbitten (sind bei Abgabe meines Manuskriptes noch nicht formuliert - hier möchte ich ausdrücklich die KirchenmusikerInnnen ins Gebet aufnehmen und Gott für die Gabe der Musik danken und für die vielen Menschen, die sie pflegen und andere damit erfreuen, aufmuntern und beschenken)

Liedvorschläge: EG 317 Lobe den Herren (Str. 1 "Psalter und Harfe wacht auf").- EG 186.6 Laudate, omnes gentes (Loblied).- EG 182,1+4+8 Halleluja (nach der Schriftlesung).- EG 287 (nimmt Psalm 98, den Wochenpsalm, auf) Singet dem Herrn ein neues Lied (nach der Predigt).- EG 185.4 Agios o Theos (in Verbindung mit dem Abendmahl).- EG 321 Nun danket alle Gott.

Heinz Janssen
Pfarrer an der Providenz-Kirche zu Heidelberg
(Evangelische Landeskirche in Baden)
E-Mail: Providenz@aol.com

 


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