Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Ostermontag, 1. April 2002
Apostelgeschichte 10, 33b.34a.36-43, verfaßt von Hartmut Jetter
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Text:
Der römische Hauptmann Cornelius spricht, zu Petrus gewandt: Nun sind wir alle hier vor Gott versammelt, um das zu hören, was dir vom Herrn aufgetragen ist. Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: .... Gott hat das Wort dem Volk Israel gesandt und Frieden verkündigt durch Jesus Christus ..... Ihr wisst, was in Judäa geschehen ist, angefangen von Galiläa nach der Taufe, die Johannes predigte, wie Gott Jesus von Nazareth gesalbt hat mit heiligem Geist und Kraft; der ist umhergezogen und hat Gutes getan und alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels waren; denn Gott war mit ihm. Und wir sind Zeugen für alles, was er getan hat im jüdischen Land und in Jerusalem. Den haben sie an das Holz gehängt und getötet. Den hat Gott auferweckt am dritten Tag und hat ihn erscheinen lassen, nicht dem ganzen Volk (Israel), sondern (nur) uns, den von Gott vorher erwählten Zeugen, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er auferstanden war von den Toten. Und er hat uns geboten, dem Volk zu predigen und zu bezeugen, dass er von Gott bestimmt ist zum Richter der Lebenden und der Toten. Von diesem bezeugen alle Propheten, dass durch seinen Namen alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen sollen.

Liebe Gemeinde am Ostermontag!

So, gerade so sollen sie gepredigt haben in der frühen Christenheit. Mit diesen Worten, mit dieser klaren Gliederung und mit diesen einprägsamen Sätzen. Sie - d.h. nicht nur der eine Apostel Petrus, unmittelbarer Augen- und Ohrenzeuge Jesu, in der zuvor (Verse 25 bis 33) beschriebenen Situation, sondern auch die später Hinzugekommenen, die Nachfolger der ersten Zeugen, wie z.B. Lukas, der Verfasser der Apostelgeschichte. Diese Predigt ist das klassische Muster für ihre Rede vor Juden in Jerusalem, vor Samaritanern in Samaria und vor Heiden in Cäsarea, wie hier in Apg. 10.

Nun wird niemand von uns mutmaßen, es handle sich hier um eine Art stenographische Mitschrift oder eine Tonbandaufzeichnung. Gewiss haben die Zeugen damals in ihrer Rede immer wieder einmal hier und da weiter ausgeholt, je nachdem, was und wie sie "es" erlebt haben und was ihnen im Blick auf ihre jeweiligen Zuhörer wesentlich war. Diese Aufzählung "Jesus von Nazareth ... ist umhergezogen, hat Gutes getan, hat gesund gemacht alle, die in der Gewalt des Teufels waren ...." - diese komprimierte Aneinanderreihung haben sie angereichert, einmal mit Beispielsgeschichten und Wunderberichten, dann wieder mit Gleichniserzählungen und wieder mit Aussprüchen Jesu selbst. Doch stets nach diesem Schema: "Hört, was der Herr uns aufgetragen hat, uns, den von Gott erwählten und berufenen Zeugen". Zuerst nehmen sie die Situation ihrer "Gemeinde" auf. Dann bezeugen sie Leben und Werk und Wort ihres Herrn, bezeugen seinen Tod "am Holz" des Kreuzes und verkündigen seine Auferstehung. Dazu verweisen sie auf die Schrift: Er ist der, auf den schon lange Zeit vor ihm "alle Propheten" (das soll wohl heißen: die Gesamtheit der prophetischen Schriften) hingewiesen haben. Am Schluss aber rufen sie zur Umkehr, zum Glauben und zur Taufe - wie vor ihnen schon die Propheten und der Täufer. "Euch, die ihr hier seid, Euch verkündigen wir den Shalom (Frieden) Gottes, die Vergebung aller eurer Sünden. Gnade sei mit Euch und Friede!"

Diese Kurzform der urchristlichen Missionspredigt ist uns bis heute erhalten geblieben in der Gestalt des Glaubensbekenntnisses. Das haben wir bei der Verlesung heraushören können. Schon so früh, noch zu der Zeit, als das Evangelium nur mündlich weitergegeben wurde, noch bevor es die schriftlichen Evangelien gab, hat sich das Glaubensbekenntnis herausgebildet, bis es dann im 4. Jahrhundert zum Abschluss gekommen ist.

Ohne Ostern keine Predigt

Doch nun soll der Prediger heute "über" diese Predigt eine neue, eine Oster-Predigt zumal, halten. Wie soll das gehen? Etwa so, dass er den ganzen Text gleichmäßig Stück für Stück nacheinander abhandelt? Dann hätten wir sicher den ganzen Vormittag damit zu tun, außerdem wäre das keine ausgesprochene Oster-Predigt. Oder: Soll er nur das Mittelstück, wo direkt von Ostern gesprochen wird (V. 40 und 41 b); herausgreifen und alles andere übergehen? Dann würden wir aber der Perikope als Ganzer nicht gerecht. Und genau um dieses Ganze soll es doch heute gehen.

So bin ich denn beim Nachdenken über meine Aufgabe dazu gekommen, es mit einigen grundsätzlichen Aussagen über Ostern zu versuchen. Es soll die Rede sein von der umfassenden Wichtigkeit von Ostern für unseren Glauben, für unsere sonntägliche Predigt, ja für unsere Kirche. So, wie es sich aus dem uns vorgelegten Textabschnitt ergibt: Ohne Ostern keine Predigt! Das gilt auf zweierlei Weise:

Zum Einen: Wenn es das alles nicht gegeben hätte - die Auferstehung Jesu - seine Auferweckung durch Gott - die Erscheinungen des Auferstandenen - die Begegnungen der Jünger und der Frauen mit dem "ganz Anderen" und doch dem Gleichen - wenn es das alles nicht gegeben hätte, dann gäbe es auch keine Apostel, keine Kirche, kein Neues Testament. Alles wäre so geblieben, wie es am Ende der Matthäus-Passion heißt: "Und sie versiegelten den Stein" (Mt 27,66). Das endgültige Aus. Finito! Höchstens noch ein Nachruf. Und ein paar quälende Fragen: "Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?" (Mk 16,3) Wer sollte das Siegel des römischen Statthalters brechen? Wer wollte noch weiter Notiz nehmen von dem seltsamen Mann aus Nazareth - aus Galiläa?

Ein neuer Mensch ist da

Aber seine Geschichte ist nun einmal nicht zu Ende mit dem Requiem "Ruhet wohl, ihr heiligen Gebeine!" Ein ganz neues Wort macht die Runde: "Auferstanden". Schon einmal vorher gehört? Oder - in der anderen Version: "Gott hat ihn auferweckt". Damit ist zwar das Gleiche ausgesagt, es wird aber stärker auf das Handeln Gottes am Gekreuzigten verwiesen. In den Worten eines Theologen aus unserer Zeit ausgedrückt: "Ein neuer Mensch ist da, geheimnisvoll uns allen voraus, aber doch eben da" (Eberhard Jüngel, Tübingen; im EG Württemberg S. 239 als Zwischentext). Oder im Lied von Otto Riethmüller (+ 1938): "Aufgestoßen sind die Riegel und zerbrochen alle Siegel, die im Tode ihn verwahrt".

Vivit - Er lebt!

Das Geschehen am Ostermorgen selbst beschreiben und erzählen sie recht unterschiedlich. Ist auch kein Wunder. War doch keiner dabei gewesen. Und die Hüter? Die haben - so wird berichtet - nichts gesehen vor lauter Lichtglanz, geblendet vom "Blitz von Ostern". Geschehen aber ist: Er ist ihnen erschienen. Ihnen: den furchtsamen Frauen, dem Verleugner Petrus, den ratlosen Jüngern von Emmaus, dem Zweifler Thomas. Und als letztem von allen dem Saul von Tarsus auf seiner Verfolgungsjagd vor Damaskus (1 Kor 15,8). Vivit - Er lebt! So lautet ihre Botschaft. Wir haben ihn gesehen. Wir haben seine Stimme gehört. Er hat uns gesandt, beauftragt und berufen (heute heißt das: ordiniert), um seine Botschaft in alle Welt zu tragen. Auch dann, wenn man ihnen keinen Glauben schenkt, wenn man sie der Lüge zeiht und wenn man als offizielle Lesart in die Welt setzt: Sie haben ihn gestohlen, einfach gestohlen! Es hilft alles nichts: Der Osterbotschaft gehört die Zukunft. Sie ist nicht mehr zu stoppen, nicht mehr tot zu kriegen: "Er ist wahrhaftig auferstanden".

Jeden Sonntag Ostern feiern

Damit hat alles angefangen: Dass sie den ersten Tag der Woche als den "Tag des Herrn" (Offb 1,10) feiern. Dass an jedem Sonntag dies das beherrschende Stichwort ist: Ostern! Einen jährlichen Gedenktag "Osterfest" - das gab es erst viel später, erst als sich die Gestalt unseres Kirchenjahres allmählich herausschälte. Die ersten Christen, die frühe Christenheit im 1. und 2. Jahrhundert, feiert Sonntag für Sonntag seinen Ostersieg. Was damals zur Zeit des Statthalters Pontius Pilatus geschehen war, hat der Welt ein völlig neues Gesicht gegeben. Und mit dieser Botschaft verbunden ist "das Wort", der große Shalom Gottes für Juden und Heiden, für die in Jerusalem wie für die in Cäsarea und Rom und in Gallien und Germanien. Für alle, "die an ihn glauben", gilt: Nicht Sünde und Schuld haben das letzte Wort, sondern Gnade und Vergebung. Nicht der Tod hat das letzte Wort, sondern "das Leben behält den Sieg" (EG 101,4). Nicht liegenbleiben sollen Menschen in ihrer Malaise, sondern aufstehen und voller Zuversicht singen: "Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied ..."(EG 112,6).

Nochmals: Das alles gäbe es nicht ohne Ostern; (oder einmal anders gesagt: Wenn das Matthäus-Evangelium mit Kap. 27, Vers 66 geschlossen hätte).

II.

Doch es gilt auch die Umkehrung unserer These:

Keine Predigt ohne Ostern!

Will sagen: Kein christlicher Gottesdienst ohne einen Rückbezug auf das "am dritten Tag auferstanden ..."! Keine Predigt, in der nicht Ostern anklingt! Ob in der Lesung oder in der Predigt oder im Lied der Gemeinde - irgendwo soll immer der Ton von Ostern durchklingen. "Jesus lebt, mit ihm auch ich". Wann immer die Gemeinde versammelt ist, so wie es am Anfang unseres Predigttextes geheißen hat: "Nun sind wir alle hier vor Gott versammelt, um zu hören, was dir vom Herrn aufgetragen ist" (ich habe V. 33b extra vorangestellt!) - Immer dann soll Ostern bezeugt werden als das Lebenselement der Christenheit

"Ich lebe, und ihr sollt auch leben"

Bis heute ergeht dieser Auftrag: Tragt diese Kunde weiter bis an das Ende der Erde! Wenn auch immer mit neuen Worten, so doch aber in der Sache immer gleich: "Das Leben behält den Sieg". Daran ist künftig jede Predigt zu messen, ob sie diesem Anspruch gerecht wird und sich auf diesen zentralen Punkt des Glaubens bezieht. Auferstehung - das ist die Hoffnung für uns Menschen zu allen Zeiten, ist das Gütesiegel für all unser Predigen und Lehren. Wenn wir der Welt dieses Wort schuldig bleiben, bleiben wir den Menschen nicht nur ein Stück vom Glauben, sondern alles schuldig. Wir speisen sie dann ab mit Brötchen, aber nicht mit dem Brot des Lebens. Sie werden weglaufen ohne Trost, ohne Mut, ohne Hoffnung, ohne Frieden, In diesem Sinne also gilt: keine Predigt ohne "einen Schuss Ostern"!

Eine markante Ausnahme

Soll das gelten ohne jede Ausnahme ? Wie ich meine: Mit einer einzigen. Und ich meine dies mehr aus seelsorgerlichen und weniger aus theologischen Gründen. An dem einen Tag, dem Karfreitag, da sollte es heißen: Nicht vorzeitig Ausflüchte machen in Richtung Ostern! An diesem Tag heißt es vielmehr: "Ich will hier bei dir stehen ...." (EG 85,6). Das Leiden durchstehen, voll und ganz, bis hin zu dem "Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?" und dem Bach'schen "Wir setzen uns mit Tränen nieder..." Karfreitag ist nicht Ostern, noch nicht. Liegt doch auch zwischen dem Nachmittag des Karfreitag und dem Ostermorgen des Karsamstag mit seinem dunklen Wort "... und begraben". Tiefe Nacht und völliges Dunkel! Auch für evangelische Christen ist es eine beachtenswerte liturgische Ordnung, dass bei unseren katholischen Mitchristen am Karfreitag keine Eucharistie gefeiert wird. Ausnahmsweise nicht! Oder dass an vielen Orten am Karfreitag die Orgel schweigt und generell das trinitarische Gotteslob verstummt. Auf dass dann auch mit noch ganz anderer Wucht und Herrlichkeit am Ostermorgen das "Resurrexit - Er ist auferstanden!" erklingt (vgl. etwa die h-moll-Messe).

Wie auch immer: Unsere Welt, auch die Menschen unserer Zeit, sie brauchen beides: Das Wort vom Kreuz und das Wort von Ostern! Und wenn dann auch noch dabeisteht, wie es im Johannes-Evangelium heißt: "Jesus aber mitteninne" (19,18), dann ist alles gut. Dem Leiden standhalten, tapfer und mutig, mit Jesus, und danach singen dürfen: "Lasset uns mit Jesus leben. Weil er auferstanden ist..." (EG 384,4)! Das heißt Glauben.

Abschluss: Ostern - heute neu gesagt

Die Postkarte mit dem Bild von der Auferstehung auf der Vorderseite trägt das Datum des 1. Mai 2000, geschrieben von der Frau eines früheren PH-Kollegen. Er war innerhalb weniger Wochen von der schweren Krankheit dahingerafft worden und ich habe es erst längere Zeit hinterher erfahren. Sie schrieb - mit etwas Abstand zu den schweren Wochen - ein innerlich berührendes Zeugnis dafür, wie Karfreitag und Ostern ganz eng beieinander durchlitten und erlebt wurden. Auch wenn die wenigen Sätze sehr persönlich gehalten sind, wage ich es, sie hier an den Schluss meiner Predigt zu stellen:

"Herzlichen Dank .... Peter ging mit großer innerer Kraft seinen Leidensweg dem auferstandenen Herrn entgegen. Die zwei Monate seiner Krankheit waren für die Familie eine große Gnade. Natürlich vermissen wir ihn; aber er (!) gibt viele Zeichen der Verbundenheit aus der Ewigkeit. Jeden Tag bei der Eucharistiefeier (in der Kapelle unseres Krankenhauses) denke ich an ihn..."

Ein Bekenntnis zu Ostern - heute - in unserer Zeit! Welch ein starker Glaube! Welch eine Tröstung geht davon aus auch für andere, die noch nicht zu dieser inneren Stärke gekommen sind. Der Auferstandene hat auch in unseren Tagen seine Zeugen. Dank sei Gott dafür!

Amen.

Anmerkung:
Die Perikope stellt den Prediger vor eine eigentümliche Aufgabe: Einerseits ist sie selbst eine Predigt (genauer: das dem Petrus in den Mund gelegte Modell einer urchristlichen Missionspredigt; vgl. dazu die Arbeiten von M. Dibelius und U. Wilckens); andererseits zielt sie überhaupt nicht speziell auf Ostern hin. Dafür aber lassen sich von ihr her zwei Wesenselemente für die österliche Predigt und die Feier von Ostern ansprechen: Keine christliche Predigt, in der nicht auch die Botschaft vom auferstandenen Christus laut werden soll! Und: Wenn es Ostern nicht gegeben hätte, gäbe es auch keine Predigt des Evangeliums!
Wenn nun der Gottesdienst am zweiten Osterfeiertag davon ausgehen kann, dass am Osterfest selbst mit 1 Kor 15, 19ff die "Sache" von Ostern gepredigt worden ist, können am Ostermontag in Ergänzung dazu diese mehr grundsätzlichen Inhalte herausgestellt werden. Den Abschluss soll ein persönlich gehaltenes Osterzeugnis aus unseren Tagen bilden. Sie feiern - mit Goethe gesprochen - nicht nur die Auferstehung des Herrn, sondern "sie sind selbst auferstanden".

OKR i. R. Prof. Dr.Hartmut Jetter
Bernsteinstr. 143
70619 Stuttgart
Tel. 0711 44 30 03


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