Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Palmsonntag (6. Sonntag der Passionszeit), 24. März 2002
Predigt über Hebräer 12, 1-3, verfaßt von Wolfgang Petrak

(Gottesdienst mit Gedächtnis der Konfirmation)

Liebe Gemeinde,

Das Zusammenkommen.
Soviel kommt in diesen Worten des Hebräerbriefes zusammen: Die Geschichte des Glaubens und die Menschen, die dafür eingestanden haben. Die Lasten des Lebens und die Entscheidungen, die deshalb zu treffen sind, um frei zu werden. Das Absehen von sich selbst und das Aufsehen zu dem, der uns vor Augen gestellt worden ist; ihn selbst aber kann man aber nicht sehen.

Wir können es an diesem Tag sehen: So viele sind heute in unserer Kirche zusammengekommen. Dahinten, in den letzten beiden Bänken; wie immer: die Konfirmanden, fröhlich, weil die Ferien begonnen haben und ohnehin alles vor einem liegt; vielleicht auch ein bisschen knurrig, weil die anderen noch zu Haus beim Kaffee sitzen, so dass man sich auch schon mal fragt, was das mit dem Glauben soll und so. In der Mitte die, die oft hier sitzen, nicht, dass man dabei einen festen Platz hätte, aber es gehört schon zu einem dazu, dieser Weg am Sonntag, um sich einmal zu besinnen, im Stillen danken zu können, auch Antworten zu erhoffen auf Fragen, die das Leben aufwirft und denen im Alltag ausgewichen wird.

Und hier vorn seid ihr. Denn es ist heute ein besonderer Tag , Palmarum, der Tag, an dem wir uns an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnern, und so seid ihr vor siebzig Jahren an diesem Tag zu eurer Konfirmation in diese Kirche eingezogen und hattet hier vorn, am Altarraum, die Plätze eingenommen, um dann durch euren Konfirmator P.Krohn den Segen zu empfangen; sicherlich werdet ihr ihn vor euch sehen, dahinter aber noch etwas anderes empfunden haben, was man mit Worten nicht beschreiben kann. Vorhin, beim Hineingehen in die Kirche, war wohl an euren Gesichtern dieses zu erkennen gewesen. Ganz jung dieses Blitzen der Augen und das Strahlen um den Mund herum, der soviel zu erzählen und zu lachen weiß. Daneben die Falten im Gesicht, die verdeutlichen, wie sich Erfahrungen einkerben und die Zeit ihre Spuren aufdrückt: ernste Gesichter, die im Dank zugleich um die Trauer wissen, um die, die heute nicht unter uns sein können. Soviel kommt da in einem zusammen.

"Jesu geh voran": so haben wir alle gemeinsam gesungen. Ach, so eine Strophe geht viel zu schnell vorbei, um darin eine Lebensbahn von vielleicht dreizehn oder auch 84 Jahren einzeichnen zu können, doch man spürt, worum es geht, und fragt sich zugleich, ob das immer so ist, dass ich mein Leben durch Jesus bestimmt sein lassen will. So muss ich euch dahinten auf den letzen Bänken, nein auch euch in der Mitte und hier vorn sagen, wie es bei mir in der letzten Konfirmandenunterrichtsstunde war. Ich wollte das Thema der Zehn Gebote mit der Geschichte vom ‚Barmherzigen Samariter' abschließen, damit klar ist, worum es im Leben geht. Also wurde zunächst -genauso wie früher bei euch- die Bibel aufgeschlagen, vorgelesen und Fragen beantwortet. "Ist ein Levit ein Leviathan?"- Ich erklärte zugegeben etwas umständlich Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Priester und Levit, um dann zu sagen, dass der Leviathan aus der kanaanäischen Sagenwelt stammt und dort ein Gegengott war, verantwortlich für das Chaos und alles verschlingend...- und dann wurden die Konfis wach. Sie erzählten von diesem Kartenspiel: Leviathan hat zweihundert Punkte, und dann gibt es noch Häuser und eine Stadt und Levator, der fliegen kann, mit 50 Punkten und Tiere und ‚den Zorn Gottes' mit 150 Punkten und einen Helden, dessen Name ich vergessen hatte, ich verstand sowie so nichts mehr, weder von den Regeln des Spieles noch von seinen Figuren und den möglichen Fantasy-Rollen, nur, dass es in diesem Spiel um Kampf geht: Wer bestimmt, wer siegt? Man muss ablegen, Karten, doch offen bleibt, wie man am Ende dar steht: wahrscheinlich als Verlierer...

Liebe Eiserne Konfirmanden hier vorn, ich bin sicher, dass auch ihr, auch wenn die Zeiten damals anders waren, eure ‚Kneepe' ( wie man in Weende sagt) im Unterricht gemacht habt, vielleicht sogar Karten unter der Bank gespielt habt. Doch da ist dieses "Jesu, geh voran". Das habt ihr gelernt und aufgenommen in einer Zeit, in der die Namen Brüning und Schleicher euch 14Jährigen fern gewesen sein mögen, in der man beim Rübenverziehen auch nicht den Trommelschlag der Braunhemden hören konnte, wohl aber davon, dass der Vater arbeitslos war und wie gut es wäre, eine Lehrstelle bei der Bahn zu bekommen. Die Frage, wer und was dem Leben Sinn verleiht, war mit der Frage verbunden: wie geht es mit dem Leben weiter? Einigen von euch zeigte der Pastor sein Fernrohr, dass er in seinem Studierzimmer aufgebaut hatte. Sich die Sterne heranzuholen: das ist als wenn man sich einer geheimnisvollen Welt nähern und von der eigenen absehen kann: vielleicht war so die Zeit damals gar nicht anders zu ertragen. Doch sich konfirmieren zu lassen bedeutet sich zu entscheiden und dazu zu stehen. In den Jahren, die folgten: wie stand man da als Christ? Es ist wichtig, das ihr aus euren Erfahrungen weiter gebt, gleichsam über die Bänke, über die Generationen hinweg erzählt, von den Härten und Anfeindungen dieser Zeit, von den inneren Kämpfen und Zweifeln, auch vom Versagen. Und wie das, was euch mitgegeben worden ist, von euren Eltern, von eurem Pastor, ein Leben lang bestimmt. Es ist für jede Generation wichtig zu hören, das wir aus einer Geschichte heraus leben. Der Glaube erschließt sich nicht jeweils aus unserer Zeit, es gibt Menschen, die vor uns geglaubt, und das heißt gelitten, gebetet und gehofft haben. Dieses sagt der Hebräerbrief sagt mit dem Bild der Wolke.

Aufsehen.
Wolken. Ihr wisst um die Unzählbarkeit ihrer Tropfen und doch bildet sie ein Ganzes. Ihr könnt einer Wolke nachsehen und euch an ihrer geheimnisvollen Leichtigkeit freuen, ohne sie jemals in ihrer Gestalt fassen zu können. Das ist ihre Freiheit. "Herr, deine Güte reicht, so weit der Himmel ist, und deine Wahrheit , soweit die Wolken gehen" (Ps36,6). Lasst uns aufsehen, also von uns absehen. Diese Weite der Zeit. Der Mensch denkt. Doch es läuft nicht alles dementsprechend ab. So wie bei jener Konfirmandenstunde am Dienstag bei der Geschichte mit dem barmherzigen Samariter und dem Fantasy-Kartenspiel. Ich fragte: "Kann man den Ablauf verändern"? Kann man es am Ende hinkriegen, dass nicht der Leviathan am Ende obsiegt? Die Konfirmanden meinten, diese Karte kann man nicht einfach wegnehmen. "Weil unsere Welt eben so ist. Na klar, es gibt das Chaos. Zerstörung. Kampf. Geh bloß mal auf den Pausenhof . Oder vor die Sporthalle, da siehste, was los ist. Aus Spiel wird Ernst". Wir machten Ernst mit dem Spiel und machten die Karten selbst. Leviathan natürlich, 200 Punkte. Und die eine Stadt hieß Jerusalem, 10 Punkte. Und dazu kam noch Samaria, 10 Punkte. Und der Levator kann überall hin. 100 Punkte. Die Räuber natürlich, die Ritter des Schwarzen. Auch 100 Punkte. Und das Opfer: 110 Minuspunkte. Und der Samariter und die anderen."Und wie ist das, wenn Gott mit im Spiel ist"? "Du meinst den Zorn"? " In der Bibel steht, dass Gott zornig sein kann. - Ich glaube an seine Gerechtigkeit". "Dann muss der noch mehr Punkte haben als alle anderen. Und davon abgeben.". Gespielt haben wir dann das Spiel nicht. Weil... man absehen muss von sich selbst. Und es nicht darum geht, wer die meisten Punkte bekommt. Doch es geht um Punkte, die uns mit seinem Weg verbinden.

Aufsehen zu Jesus Christus. Und wenn du dich über das Leben freust und dich seiner Einmaligkeit bewusst wirst, dann weißt du um das Geheimnis seiner Menschwerdung. Und wenn du, egal was andere denken, daran fest hältst: "Selig sind die Frieden stiften", dann weißt du, dass er der Grund dieser Freiheit ist. Und wenn dein Weg dich dahin führt, dass du nur noch denken kannst: Mein Gott, warum...dann musst du wissen, dass er dir darin nahe ist. Und wenn es einmal so sein wird, dass dein wissender Blick über die eigene Zeit hinausgeht, dann darfst du darauf hoffen, am Ende nicht verloren zu sein.

Er wird da sein und dich halten, so wie er selbst gehalten worden ist von dem, dem man nicht sehen kann. So also ist der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht.


Nachbemerkungen: Der Auftrag zur Abfassung einer Predigt ereilte mich sehr kurzfristig.
2.Wir haben Palmarum das Gedächtnis der Konfirmation (‚eiserne Konfirmation')
3.Lied vor der Predigt: Jesu, geh voran (EG 391). Lied nach der PredigtLasset uns mit Jesus ziehen (EG 384)

P. Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen, den 21.3.02
Tel: 0551/31838
e-mail: W.Petrak@gmx.de


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