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Judika (5. Sonntag der Passionszeit),
17. März 2002
Predigt über Hebräer 13, 12-14, verfaßt von Reinhard Weber |
Anmerkungen zur Predigt
"Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So laßt uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir." (Hebr 13, 12-14) Liebe Gemeinde! Wir befinden uns in der Passionszeit, und langsam nähern wir uns ihrem Höhepunkt, dem Karfreitag, dem tödlichen Ausgang des Jerusalemer Endgeschehens des Jesusexperimentes. Unser heutiger Predigttext weist auf dieses Geschick schon unübersehbar hin. Er tut das im Rahmen von verschiedenartigen, locker aneinandergefügten Ermahnungen und tröstenden Aufforderungen des Briefschreibers an die christliche Gemeinde, welche er an den Schluß seines Schreibens gesetzt hat, das mit Kapital 13 endet. Diese Ermahnungen werden von ihm z.T. mit nachgelieferten kurzen Begründungen versehen. Eine solche haben wir auch in den drei Versen vor uns, um die es uns heute zu tun ist. Sie beziehen sich eigentlich auf die vorausstehende Anweisung (V. 9), sich nicht durch fremde, vielartige Lehren, welche in der Gemeinde auftauchen, verunsichern und im Glauben wankend machen zu lassen, sondern ein festes und unerschütterliches Herz zu behalten, welches allerdings weniger durch eigene Anstrengung ?also etwa durch die penible Einhaltung von bestimmten Speisevorschriften und kultischen Praktiken? als vielmehr allein durch die Gnade Gottes erlangt wird. Auf dieses von Gott selbst im Glauben an Christus fest und gewiß gemachte Herz kommt es an. Man kann es nicht aus menschlichen Einrichtungen und Verhaltensweisen gewinnen. V. 9: "Laßt euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, nicht durch Speisegebote, von denen keinen Nutzen haben, die damit umgehen." Über das Stichwort Speisegebote kommt der Verf. dann assoziativ zum Thema Altar und Essen, womit speziell die Frage des christlichen Abendmahls anklingen dürfte (V. 10), bei dem ja die Brücke zwischen Altar und Essen gegeben ist, denn dieses Mahl wird ja von dem Altar gegessen, der durch Jesus eigenpersönlich gestiftet und symbolisiert ist, indem er seinen Tod als Sühnopfer den Glaubenden zugut erlitten hat. Wir kennen das ja durch die Abendmahlsordnungen und -sitten der Kirche, in der wir Glieder sind. Und so wissen wir auch, daß von diesem Altar, auf dem die Gaben von Brot und Wein als sakramentale Zeichen von Leib und Blut Jesu ihren Ort haben, zu essen und damit in den Bannkreis des Lebensopfers Jesu hineingenommen und der durch seine stellvertretende und genugtuende Lebenshingabe erwirkten Erlösung teilhaftig zu werden, nur die an Christus Glaubenden das Recht haben, die Getauften (und Konfirmierten), nicht die Ungetauften, auch wenn diese Regel heutigentags in Vergessenheit der urchristlichen Praxis selbst von kirchlichen Wüdernträgern bisweilen mißachtet wird. Und so heißt es denn auch in V. 10: "Wir haben einen Altar, von dem zu essen kein Recht haben, die der Stiftshütte dienen". Will heißen, auch nicht die Juden, die der Stiftshütte, also dem Heiligtum aus der Exoduszeit Israels dienen, welches in der Jesuszeit durch den Jerusalemer Tempel ersetzt ist. In ihm steht auch ein Altar, an dem geopfert und Gott das Blut der draußen vor dem Heiligsten geschlachteten und daselbst verbrannten Tiere zur Entsündigung des Volkes Israel dargebracht wird. Diesem Altar im jüdischen Tempel, den es ja z.Zt. des Hebr real gar nicht mehr gab, ist der christliche Altar gegenübergestellt, mit dem jedoch ebenfalls nicht primär der reale Abendmahlstisch, sondern Jesus selbst als himmlischer Hohepriester, der das letztgültige und singuläre Opfer mit seinem eigenen Blut vollzogen hat, gemeint ist, wie es dem ganzen Hebr entspricht. Dies alles führt schon weit über den eigentlichen Anlaß des Exkurses hinaus und bringt eine eigenständige Gedankenfolge zum Tragen, mehr noch das Folgende, in welchem der Schreiber diesen assoziativen Exkurs zum Anlaß nimmt, um nun begründend auf einen bestimmten Punkt im Lebenschicksal und ?ausgang Jesu zu sprechen zu kommen, um den es ihm zentral zu gehen scheint, nämlich daß er draußen vor den Toren der Stadt gekreuzigt und zu Tode gebracht wurde. V. 11: "Denn die Leiber der Tiere, deren Blut durch den Hohenpriester
als Sündopfer in das Heilige getragen wird, werden außerhalb
des Lagers verbrannt" (vgl. Lev 16, hier bes. V. 27) Darin also findet der Hebr eine Analogie zu den Opfertieren des priesterlichen Tempelkultes, obwohl man doch gerade hier den Unterschied vermutet hätte, der die Exklusivität des christlichen Abendmahles legitimieren sollte. Auf die Abendmahlsfrage scheint es hier also gar nicht anzukommen, das ist gar nicht das eigentliche Thema des Stückes, sie klingt gleichsam nur nebenbei an, das merken wir jetzt. Wir können sie darum hier vernachlässigen. Aber worum geht es dann? Beide, die jüdischen Opfertiere und auch Jesus werden draußen, jenseits des heiligen Kultraumes, zu Tode gebracht und vernichtet (der Körper Jesu wird allerdings nicht verbrannt, und sein Blut wird auch nicht ins Allerheiligste des Tempels gebracht), die Tiere im Außenbezirk des Tempels (bzw. vor dem Lager in der Wüstenzeit), Jesus auf der Schädelstätte vor der Stadt, Golgatha. Da herrscht eine gewisse Parallelität. Darin kann also die Abgrenzung nicht liegen. Hier geht es zunächst nur um die Analogie des "Draußen". Sie hat auch ihre Bedeutung, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen. Die Differenz wird nun aber in einer anderen Hinsicht gesucht: anstatt daß wie im jüdischen Kult das Blut der Tiere in das Allerheiligste hineingetragen und am Altar ausgeschüttet wird, man also die Bewegung von außen nach innen vollziehen muß, um am Heilsgeschehen Anteil zu bekommen, sollen die Christen von innen nach außen gehen, um zu Jesus zu kommen und an seinem Lebensopfer zu partizipieren. Sein stellvertretendes Leiden hat sich draußen vor dem Tor vollzogen, und nach dort draußen muß man sich begeben, wenn man mit ihm verbunden sein, wenn man seine Tat für sich gelten lassen und in Anspruch nehmen, wenn man ihrer heilschaffenden Kraft teilhaftig werden will. Man muß sich unter sein Schicksal stellen, es mit ihm gemeinsam tragen, das Ausgestoßensein. Der heilschaffende Altar ist jenseits der bewohnten Stadt aufgerichtet, denn dieser ist der Gekreuzigte selbst, und er bleibt auch da draußen, er kann nicht wieder kultisch oder staatlich oder gesellschaftlich oder sonstwie vereinnahmt werden wie das Tierblut, und so die Weltordnung stabilisieren, das bürgerliche Recht, den gesellschaftlichen, sozialen status quo, nein, man muß also aus den festen Lagern ausziehen, um ihn aufzusuchen. Auf die Weltordnung in jedwedem Sinne kommt es jetzt nicht mehr an, die Stadt als deren Symbol beibt vielmehr hinter dem Glaubenden zurück. Der Glaubende befindet sich im Exodus. Das Kreuz ist nur einmal aufgerichtet, es kann nicht wiederholt werden, es ist ein singuläres geschichtliches Ereignis, das nicht in eine menschliche Kultpraxis überführt zu werden vermag, sondern zu dem man sich hinbegeben muß. Es steht draußen. Identität und Differenz zum jüdischen Opferkult müssen beide berücksichtigt werden, wenn man erfassen will, worum es dem Autor des Hebr hier geht. V. 13: "So laßt uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und
seine Schmach tragen." V. 14: "Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige
suchen wir." An Jesus stirbt die bekannte Stadt, die sich der Mensch - auch religiös - aufgebaut hat, ihren Tod. Der Christ tritt unter das Kreuz draußen. Da ist der Altar, da ist die Gottesgegenwart. Seine Orientierung ist hinfort eine andere. Gott vollendet nicht mehr das natürliche menschliche Sicherungsstreben, er ist nicht mehr das i-Tüpfelchen auf dem Haus des Menschen, der krönende Abschluß auf unseren naturhaften Strebungen und Vollkommenheitswünschen, dessen sanktifikatorische Überhöhung. Gott west draußen vor dem Tor, in der unbewohnten Welt, jenseits der Zivilisation, in der tödlichen Wüste, als ein Herausgedrängter, als ein tödlich Verwundeter. Und hier schließt sich die Argumentation: Das ist der neue Halt, der das Herz fest macht, dieser haltlose Halt. Genau so ist es: der Christ macht sich im Nichts der Welt fest, er hat seine Sache auf nichts gestellt. So jedenfalls muß es von der Welt her scheinen. Von der Gnade erreicht werden, heißt dann, zum Exodus gerufen werden, herausgerufenwerden aus dem System der weltlichen Welt in die neue Schöpfung, die auf dem Selbstopfer Jesu gründet, auf seiner scheinbaren Niederlage, auf seiner Exklusion, auf seinem tödlichen Scheitern. Da stehen die Dinge, nach natürlichen Maßstäben betrachtet, auf dem Kopf. Da kehrt sich alles Selbstverständliche um. Da versagen die üblichen Szenarien. Dazu ist wahrhaft ein neues Selbstverhältnis und Selbstverständnis nötig. Christsein heißt, sich aus diesem Tod heraus verstehen, nicht mehr und nicht weniger, und deshalb das Kreuz auf sich nehmen, wissend, daß darin die Wahrheit über das eigene Leben gesprochen ist. Also Gewißheit gewinnen, wo nichts mehr zu sichern ist, ek-sistieren, herausstehen aus der Stadt der Versicherungen, hineingehalten ins Nichts des Glaubens. Aber das nicht als Irrationalismus einer haltlosen, unbegründeten Entscheidung, einer blinden Kopflosigkeit, eines sacrificium intellectus oder gar eines fundamentalistischen Radikalismus, oder eines prometheischen Existentialismus, sondern aus der Einsicht in das Sein der Welt und die Eigenart der Sendung Jesu heraus: diesem Glauben liegt eine Einsicht zugrunde, er ist denkender Glaube. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern sind nur auf der Durchreise. Aber das nicht als allgemeine Durchschnittsweisheit. Sondern die Stadt, auf die wir im Glauben hingeordnet sind, gründet auf dem geschicklichen Lebensopfer Jesu. Das ist eine ganz spezifische Distanz zum normalen Leben mit seinen irdischen Verstrickungen, die darin begründet ist, in diesem einmaligen Leben, welches weltgeschichtliche Folgen gehabt hat. Das ist eine Souveränität und Weltüberlegenheit, die in ihm grundgelegt ist, die weder stoisch noch epikureisch sich darstellt, denn sie macht uns nicht resignativ und gleichgültig und desinteressiert oder zynisch gegenüber unserem natürlichen Leben und den Ordnungen dieser uns umgebenden Welt, sie macht uns nicht jenseitsflüchtig oder weltverachtend und ?verneinend, nein, sie gibt uns vielmehr die Freiheit, im Weltlichen das Überweltliche zu bezeugen, im Endlichen über das Endliche hinaus zu sein, es in seiner Begrenztheit wahrzunehmen und es nicht zum Unendlichen aufspreizen und damit überreizen und überfordern zu müssen, sondern im Horizont seiner Überwindung verantwortlich, und d.h. uns selbst begrenzend mit ihm umzugehen: Welche Entlastung! Welche Befreiung! Welche Befriedung! Und auf nichts anderes kommt es heute so an wie darauf. Wer es noch nicht gemerkt hat, schaue sich um. Und wo sind die Christen, die danach leben unter all den Verstrickten, die von ihren Leidenschaften getrieben, die von ihrem Willen versklavt, die von ihren Wünschen beherrscht werden? Wo sind die zum Wohnen in der Stadt Gottes durch den Tod Christi Befreiten, die nicht mehr am Leben anhaften wie an einem Fliegenfänger, denen müßte man das doch ansehen, an denen müßte man doch diese Freiheit und Souveränität wahrnehmen können, sie, die ihr Selbst-Bewußtsein nicht mehr aus den Welterfolgen ihres Ich ableiten. Wo sind sie, die das Leiden Gottes an der Welt in der Welt mitleiden und ihn so in dieser präsent halten, als Nachfolger des Nazareners? Wenn irgendwo, dann draußen. Amen. Anmerkungen zur Predigt: Auf die einschlägigen Predigtmeditationen braucht hier nicht gesondert
hingewiesen zu werden, sie sind allgemein bekannt, zeigen jedoch nur allzuoft,
daß die Textgrundlage selten hermeneutisch und systematisch durchreflektiert
wird, sondern die meditativen Expektorationen dem assoziativen Charakter
des Textes geschuldet sind und ihrerseits ein mitunter etwas willkürlich
anmutendes Spiegelbild desselben bieten. M.E. ist es für den Prediger von zentraler Bedeutung, daß er sich einerseits nicht nur mit der exegetischen Problematik eingehend auseinandersetzt (und hier insbes. den engeren und weiteren Kontext mitberücksichtigt), sondern andererseits sich mit dergleichen Intensität von den immanenten Verständnisschwierigkeiten zu der Frage führen läßt, wo er den Skopos des Textes sieht und in welches hermeneutische Koordinatenssystem er ihn verorten will. Dies ist entscheidend für den Aufbau und die Aussage der Predigt. Wie ich meinerseits dieses Problem gelöst habe wird, wie ich hoffe, aus dem folgenden Text implizit selbst ersichtlich. Dabei wurde nicht davor zurückgeschreckt, der hörenden Gemeinde am Beginn des dritten Jahrtausends die Radikalität des frühchristlichen Denkens und Lebensgefühles des ausgehenden ersten Jahrhunderts zuzumuten. Darum kommt man auch nicht umhin, nah am Text zu bleiben und sich der Anstrengung nicht zu versagen, ihn Punkt für Punkt sprechen zu lassen, ohne sich in bloßer Repetition zu erschöpfen. Daher war es mir wichtig, am Ende eine klare und unmißverständliche Aussage zu formulieren, auch wenn man dafür einen etwas längeren Anmarschweg benötigt. PD Dr. Reinhard Weber |
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