Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Oculi, 3. März 2002
Predigt über 1. Könige 19, 1-8, verfaßt von Friedrich Seven

(Zur Predigt vgl. Die Meditation von H.-M. Gutmann in GPM 2001, 1)

1 Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte.
2 Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!
3 Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
4 Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun, Herr, meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
5 Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iß!
6 Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
7 Und der Engel des Herrn kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iß! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.
8 Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

Liebe Gemeinde!

"Steh auf und iß", so muß man nicht zu einem Sieger sprechen, und hat nicht der Prophet Elia doch gerade noch einen großen Sieg davongetragen: Es war auf dem Berg Karmel gewesen, wohin Elia seine religiösen Konkurrenten, die Propheten des Baal versammelt hatte, um endlich die Überlegenheit seines Herrn zu demonstrieren. Der Scheiterhaufen der Baalspropheten wollte nicht brennen, aber der Gott Elias anwortete mit Feuer und wußte die Zuschauer von sich und von seinem Propheten zu überzeugen, so daß sie bekannten: "Der Herr ist Gott, der Herr ist Gott."(1. Könige 18, 39b)

Der Sieg war so groß, daß der Taumel Elia zu einer Tat hinriß, vor der wir noch heute erschrecken: der Prophet wollte den Sieg seines Herrn noch überbieten, der Rausch wurde zum Blutrausch und Elia tötete die doch schon vernichteten religiösen Konkurrenten.

Nun muß er freilich selbst damit rechnen, getötet zu werden. Isebel, die Gattin des Königs Ahab will ihre Propheten, ihre Glaubensbrüder rächen, sie schwört bei ihren Göttern, ihm das anzutun, was er seinen Widersachern angetan hat. Der Sieger muß fliehen.

Wir erfahren nichts genaues, woran Elia bei seiner Flucht denken mag, doch wie auf jeden Rausch die Ernüchterung , so werden auf diesen Blutrausch auch die Angst und das Gefühl der Schuld gefolgt sein.

Sollte das Leben mit diesem Gott ein Leben im Auf- und Ab von religiösen Siegen und Niederlagen bleiben. Sollte er, Elia, nicht anders leben und weiter leben können, als seine Väter vor ihm gelebt haben, immer wieder in Krisensituationen verstrickt mit feindlichen Mächten und ihren fremden Göttern, im Glauben und im Selbstvertrauen stets davon abhängig, wie gefährlich oder weniger gefährlich andere Menschen und deren Götter für sie werden konnten.

Würde der Kampf nie enden und würden Glaubensschwestern und -brüder in erster Linie immer nur Kampfgefährten bleiben. Ein Leben mit Siegen, die doch immer schon den Keim der nächsten Niederlage in sich trügen und mit Menschen, die sich gerade nur im gemeinsamen Kampf am nächsten sind.

Bei solchen Aussichten mag man den Mut wohl sinken lassen, und es sind gar nicht mehr die Häscher der Isebel, die den Propheten bedrohen, lebensbedrohlich wird er sich selbst: "Es ist genug, so nimm nun Herr meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter!".

Elia ist in der tiefsten Verzweiflung und der größten Gefahr, er zweifelt an sich und ist in der Einsamkeit, in die er sich begeben hat, sich selbst ausgeliefert. Er ist nicht etwa in die Hände des lebendigen Gottes gefallen, sondern in seine eigenen.

Darum möchte er, daß Gott ihn aus diesem Leben nimmt. Gott soll ihn nur als Sieger im Leben kennen, als erfolgreiches Werkzeug und Knecht, nicht als den, der sich immer wieder auch fürchtet und dessen Mut und Zutrauen neu entfacht werden müssen.

Da kommt einer, ein Engel heißt es, also ein Bote, und der rührt ihn an und spricht nur einen Satz: "Steh auf, und iß!" So spricht kein Kampfgefährte, der meint, doch vor allem die Moral, den Glauben dieses müden Kameraden aufrichten zu müssen. Da spricht einer, der im Augenblick, da er spricht und handelt, weiß, daß es jetzt nur auf diesen Augenblick allein ankommt, und das, was davor oder danach kommen wird, jetzt ohne Belang ist.

Der Bote Gottes scheint alles quälende zuvor und danach für diesen Augenblick wegzuwischen und die mächtige Hand Gottes wird zur menschlichen Berührung. Gottes Gnadenzusage klingt wie die Aufforderung "Steh auf und iß" und der Segen schmeckt nach frischem Wasser und warmem Brot. Für einen Moment ist Gott ganz bei diesem Menschen und lebt dieser Mensch ganz aus Gott.

So fangen keine Siege an und keine Niederlagen. Hier keimt eine andere Geschichte.
Doch wenn der Engel dann fortfährt: "Denn du hast einen weiten Weg vor Dir" hören wir gleich, wie flüchtig der Augenblick ist. Da wird schon wieder begründet, schon wieder Ausschau gehalten und der Weg soll dem Propheten vor Augen liegen, damit die schon bekannte Geschichte endlich weitergehen kann.

Diese Geschichte braucht uns freilich keiner mehr zu erzählen. Zu sehr leben wir selbst unter dem Diktat von Siegen und noch mehr Niederlagen, von eingebildeten Erfolgen und noch schöner geredeten Pleiten.

Nur wird die Verzweiflung vielleicht heute noch größer, weil der Glaube nicht mehr heranreicht an den Gott, der nehmen, geschweige denn geben könnte. "Wer befreit mich von mir selbst?" -so gefragt, kommen wir heute vielleicht der Verzweiflung des Propheten am nächsten.

Doch kann mit der Verzweiflung auch die Hoffnung wachsen, die sich von solchen Geschichten nährt, mit denen wir uns mutmachen; wenn etwa ein Genesender von dem Krankenpfleger erzählt, der plötzlich am Bett stand und ihm, dem verzweifelten Kranken, etwas zutraute, was er sich selbst nicht mehr zugetraut hätte: "Sie können bestimmt schon etwas trinken!" Da wurde dann plötzlich bei einem Schluck Tee klar, daß die Krise noch vor dem Anbruch des Morgens überwunden war. Oder wenn einer von der Hand erzählt, die ihn in die Tischgemeinschaft zurückholte, von der er sich noch gerade zuvor entfernt hatte in der verzweifelten Gewißheit, mit diesen Menschen nie wieder essen und trinken zu können. Vielleicht weiß auch einer von einem Lehrer zu berichten, der während der Klausur beim gefürchteten Blick über die Schulter den Fehler entdeckte und mit einem kurzen Fingerzeig weiterhalf.

Gottes Boten kommen zumeist überraschend und gehen unbemerkt wieder weg. Im Nachhinein wird es dann auch wieder unklar, wer mir denn da nun weitergeholfen hat, ob es überhaupt eine Hilfe war und ob Gott da seine Hand mit im Spiel hatte. Was aber bleibt ist die Hoffnung, daß Gott helfen kann im nächsten Augenblick.

Amen!

Dr. Friedrich Seven
Im Winkel 6
37412 Scharzfeld
05521/2429
E-mail: friedrichseven@compuserve.de


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