Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Oculi, 3. März 2002
Predigt über 1. Könige 19, 1-8, verfaßt von Marlies Stähler

Liebe Gemeinde,

der Predigttext für den heutigen Sonntag Okuli steht im Zeichen des Themas dieses Sonntags:
"Meine Augen sehen stets auf den Herrn"

Mit bewegenden Worten wird uns im 1. Buch Könige, Kapitel 19 Vers 1-8 folgende Begebenheit geschildert:
1:Und Ahab sagte Isebel alles, was Elia getan hatte und wie er alle Propheten Baals mit dem Schwert umgebracht hatte. 2: Da sandte Isebel einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen:Die Götter sollen mir dies und das tun, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen getan hast!
3: Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.
4: Er aber ging hin in die Wüste eine Tagesreise weit und kam und setzte sich unter einen Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun Herr meine Seele; ich bin nicht besser als meine Väter.
5: Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iß!
6: Und er sah sich um, und siehe, zu seinen Häupten lag ein geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser. Und als er gegessen und getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.
7: Und der Engel des Herrn kam zum zweitenmal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir.
8: Und er stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.

Liebe Gemeinde,

Elia ist auf der Flucht. Er fühlt sich bedroht. Isebel hat angedroht ihn ermorden zu lassen.
In dieser Situation zieht er sich in die Wüste zurück und wünscht sich zu sterben.

Der Seufzer, "so nimm nun Herr meine Seele, es ist genug, ich will nicht mehr leben",
begegnet uns in vielerlei Gestalt.
Mitten unter uns leben Menschen, die mit dem Leben hadern, weil es keine Perspektive zu scheinen gibt.

Mir fallen spontan unterschiedliche Beispiele ein:

1. Ich sehe meine 95 jährige Großmutter vor mir liegen, die nach einem langen und aktiven Leben pflegebedürftig auf den ersehnten Tod wartet. Meine Großmutter ist eine gläubige Frau. Ganz selbstverständlich richtet auch Sie diese Bitte an Gott.

2. Da geht eine kleine Handwerksfirma in Konkurs. Schulden über Schulden türmen sich auf. Eigenes Versagen und die schwierige wirtschaftliche Situation haben die Situation herbeigeführt die da heißt Arbeitslosigkeit und Existenzangst. Die Erkenntnis "ich bin am Ende" und der Wunsch "ich will nicht mehr", sind nicht abwegig. Als Reaktion sind der Griff zur Flasche, Drogen oder ähnliches naheliegend.

Der Konkurs wird abgewickelt und wer kümmert sich um die menschliche Tragödie?

3. Die Medien berichteten diese Woche über ein "Blutbad in Bayern". In meiner Tageszeitung war zu lesen: "Ein 22 Jahre alter Amokläufer tötet in Bayern drei Menschen - dann sprengt er sich selbst in die Luft".

Dieser Gewaltausbruch hat mich sehr betroffen. Bei diesem jungen Mann haben sich nach Erkenntnis der Polizeipsychologen offenbar Angst, Eifersucht, Scham und Demütigung so lange aufgestaut, bis die Wut für ihn unbeherrschbar wurde und ihn zu dieser Wahnsinnstat trieb.

Betrachtet man die Beispiele, so stellt man fest, dass es eine wesentliche Gemeinsamkeit und einen wesentlichen Unterschied gibt.
Die Gemeinsamkeit besteht darin, dass sich alle in hoffnungsloser Lage das Ende herbeiwünschen.

Im Falle meiner Großmutter sieht sich ein Mensch im Recht, seinem Leiden ein Ende zu fordern. Im anderen Fall ist es die schiere Aussichtlosigkeit, die sich mit Hoffnungslosigkeit verknüpft.
Hier ist die faktische Bitte um ein Ende durch Gott Hoffnungslosigkeit, kein Eingeständnis eigener Schuld. Unser wahnsinniger Amokläufer jedoch, der als Resultat einer Kette von zu dieser Wahnsinnstat führenden persönlichkeitszerstörenden Erfahrungen gesehen werden kann, ist schuldig. Er hat es getan. Er hat gemordet und sucht den Tod. Nicht als Strafe für sich, sondern als letzten Akt in der Hoffnungslosigkeit. Er richtet. Er glaubte nicht an etwas Höheres, dem er verpflichtet sein könnte oder das zu ihm stehen könnte.

Anders Elia.
Er hat eine Geschichte mit Gott, er ist ein Prophet, der sein Leben in Gottes Dienst gestellt hat und entsprechend handelt. Auf sein Wort hin tötete Elia vierhundertundfünfzig Propheten Baals.
Als Konsequenz trachtet Isebel ihm nach dem Leben.
Er flieht und bittet um den Tod, weil er sich schuldig fühlt und sich für genauso verwerflich hält, wie die, die er umgelegt hat. An Elias Verhalten wird der wesentliche Unterschied deutlich.

In dieser Lage wendet sich Elia ganz selbstverständlich an seinen Herrn, nicht mit der Bitte, die Bedrohung von ihm abzuwenden, sondern ihn sterben zu lassen. Er gibt sein Leben in Gottes Hände. Der Wunsch das Leben zu beenden, unterscheidet Elia weder von vielen verzweifelten Selbstmördern oder anderen am Leben verzagten Menschen, noch vom Amokläufer aus Freising.

Elia gibt sich eine Schuld, die nur durch den Tod getilgt werden kann. Deshalb gibt er sein Leben in Gottes Hände, während die, die Gott nicht kennen bei sich selber bleiben. Diesen bleibt die Möglichkeit von Gott Hilfe und Rettung zu erfahren verborgen. In zugespitzter Variante werden unschuldige Mitmenschen für die eigene Hoffnungslosigkeit verantwortlich gemacht.

Gott schickt nicht Tod, sondern Leben.

Gott schickt einen Boten, der an Elia ganz praktisch handelt: er bringt ihm die Nahrungsmittel, die ihm in der Wüste das Überleben ermöglichen: Wasser und Brot. Elia stärkt sich. Er gewinnt seine körperlichen Kräfte zurück und im Vertrauen auf die Führung Gottes isst er, steht er auf und setzt erfrischt seinen Lebensweg fort. Er geht weiter. Sein Leben mit Gott ist noch nicht zu Ende. Bereitwillig lässt sich Elia führen. Hierbei macht Elia allerdings die Erfahrung, dass Gott anders an ihm handelt als er es sich gewünscht hätte.

Kehren wir zurück zu unseren sehr unterschiedlichen Beispielen, die uns im Alltag begegnen.

Schaue ich etwas genauer hin, so sehe ich, dass Gott auch meiner Großmutter nicht den ersehnten Tod schickt, stattdessen meiner Mutter die nötige Kraft gibt sie zu pflegen.

Die Begegnung unseres kleinen Handwerkers mit Gott kenne ich nicht. Eine Begegnung des Amokläufers mit Gott nach der Tat in dieser Welt hat es vermutlich nicht mehr gegeben.

Die Vorstellung Gott als Begleiter in der Abwendung von der Welt wurde uns mit Elia gerade verwehrt.
Ich kann nur eines sagen: seht mit euren Augen stets auf den Herrn. Von dort kommt euch Hilfe. Hilfe vielleicht anders als erwartet und gewünscht wird. Doch sie kommt so sicher wie sie auch für Elia gekommen ist. Diese Hilfe fällt jedoch nicht vom Himmel. Gott gibt die Stärke, die uns im Glauben und im Hadern hilft, den Glauben zu leben. Elia war schwach und wollte fliehen. Doch auf der Flucht hat Gott ihn zurückgeholt. Im Hadern wurde der Glaube erneut geweckt und ist lebendig geworden. Er war noch nicht entflohen. Glaube ist keine Laune.

Öffnet eure Augen und seid bereit. Auf Gottes Hilfe hoffen heißt auch aus Verzweiflung geholt werden und sich in einen geschützten Raum begeben, der vor mancher Übeltat oder Kurzschlusshandlung bewahrt.

Nach deiner Weisung sehne ich mich, mein Gott,
Denn im unklaren komme ich nicht zurecht.
Dein Wort ordnet mir die Welt,
dass ich erkenne, was recht ist.
Dein Ruf lockt mich ins Licht,
dass ich dir sehend folgen kann.

Amen

Dr. Marlies Stähler
E-Mail: MarliesStaehler@aol.com


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