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Reminiscere, 24. Februar 2002
Predigt über Hebräer 11, 8-10, verfaßt von Wilhelm v. der Recke |
Liebe Gemeinde, manche Lebensläufe heute hören sich so an:
Um ein Leben auf der Wanderschaft geht es auch in dem Bibelabschnitt, über den wir heute nachdenken: Ein Leben ohne Heimat, in die man zurückkehren könnte. Ein Leben ohne feste Bleibe, die zu einer neuen Heimat werden könnte. Und doch ist es kein entwurzeltes Leben. Denn Abraham - von dem die Rede ist - hat so etwas wie eine innere Heimat, eine Heimat im Herzen. Und diese Heimat ist ausgerichtet auf die Heimat im Himmel, die ihn erwartet. - Hören Sie selbst, was im Hebräerbrief Kapitel 11 von Abraham gesagt wird. Ich lese den Text in einer Übersetzung vor, die sich an die Gute Nachricht anlehnt: (8.) Abraham glaubte Gott und deshalb hörte er auf seinen Ruf. Er
brach auf in das Land, das er als Erbbesitz erhalten sollte. Er zog los
ohne zu wissen, wohin er kommen würde. Von der Heimat im Herzen war vorhin die Rede. Wie wir aus dem Hebräerbrief hören ist sie kein Traumbild, das sich jemand zurechtgelegt und in das er sich versponnen hat. Es gibt ja viele schöne Illusionen, in denen Menschen Zuflucht suchen, um der trostlosen Wirklichkeit zu entkommen. Denn Abraham hat sich das nicht ausgedacht. Ein anderer hat ihm diese
Vision nahegelegt, fast muß man sagen: aufgedrängt. Eigentlich
war das nicht sein Lebenstraum gewesen. Im 1. Buch Moses wird davon berichtet,
wie er aus allen festen Bindungen herausgerufen wird - weg von Haus und
Hof, weg von der Verwandtschaft und der Sippe. Herausgerufen von Gott,
der ihm eine neues Land in Aussicht stellt; der ihm seine freundschaftliche
Begleitung zusagt; der ihm, dem Kinderlosen, eine zahlreiche Nachkommenschaft
verspricht: Ich will dich segnen, und du sollst für andere zum Segen
werden (12,3). Abraham lässt sich nicht beirren. Er weiß, was er gehört hat. Er geht darauf ein und lässt alles stehen und liegen. - Wie nennt man eine solche Haltung? Die Bibel spricht von Glauben. Abraham glaubte Gott, und der rechnete ihm das hoch an (1. Moses 15,6). Abraham glaube Gott, er höre auf seinen Ruf. Er vertraue Gott. Er hält ihn für zuverlässig, und natürlich hält er ihn auch für so mächtig, dass er einhalten kann, was er verspricht. Das ganze 11. Kapitel des Hebräerbriefes spricht von so einem beispielhaften Glauben. Viele Menschen werden genannt, die Gott Glauben schenkten und die nicht enttäuscht wurden, obwohl sie keinerlei Sicherheit in Händen hielten. Von Abel ist die Rede, von Noah, von Moses und von vielen anderen. Dieser Glaube ist aber nicht nur Vertrauen auf Gott. Neben dieser persönlichen Seite hat der Glaube auch eine sachliche Seite: Er nimmt das für real, was er nicht sieht und was auch noch nicht eingetreten ist. So heißt es in der Einleitung zu unserem Kapitel: Der Glaube nimmt das als sicher gegeben, was er erhofft. Der Glaube ist wie eine Bürgschaft für Dinge, die bei Gott schon jetzt existieren, die wir aber noch nicht sehen können (11,1). Gott sagt das zu und der Mensch nimmt ihm das ab, er lässt sich darauf ein. Das ist Glaube. Eigentlich ist so ein Ruf nichts Besonderes. Er ergeht nicht nur an wenige Auserwählte. Er trifft viele, die meisten, eigentlich müsste man sagen alle Christen. Alle, die aufgerufen werden, sich an Jesus ein Beispiel zu nehmen. Das ganze Neue Testament ist voll von solchen Berufungen, die Menschen auf einen neuen Weg bringen: Der Fischer Petrus lässt alles stehen und liegen, als Jesus ihn
dazu auffordert. Wie sieht das bei uns aus? Wo wird es konkret? Wenn ausdrücklich von diesem Ruf Jesu die Rede ist, z.B. bei der Konfirmation, können wir meistens die Tragweite noch nicht übersehen. Oft spötteln wir darüber, wenn jemand von seiner Bekehrung oder Wiedergeburt spricht. Und man kann ja durchaus verschiedener Meinung sein, wann, wo und wie dieser Ruf uns normalerweise erreicht; ob das für alle Menschen nach dem selben Schema ablaufen muß; ob es immer dieselbe Durchschlagkraft hat. Nur eines ist sicher: Ein Christ ist man nicht, so wie man Frau oder Mann, Deutscher oder Franzose ist. Sondern Christ wird man und zwar jeder für sich. In irgend einer Form werden wir angeredet - jeder für sich. Es trifft uns, es beunruhigt uns. Oft ist zunächst gar nicht deutlich, was es ist, das uns zu schaffen macht, und wer vielleicht dahinter steckt. Aber es lässt uns nicht los. Und wenn uns dann nach und nach die Augen aufgehen, dann müssen wir reagieren. Dann müssen wir vielleicht Konsequenzen daraus ziehen. Das kann zur Folge haben, dass unser ganzes Leben umgekrempelt wird Häufig geht es zunächst um eine moralische, eine ethische Frage. Eine Frage, die uns schwer zu schaffen macht, die uns schwanken läßt, die uns umzuwerfen droht. Dann suchen wir nach irgendetwas Zuverlässigem. Etwas, an das wir uns halten können; an dem wir uns orientieren können. Wir suchen nach einem festen Grund unter unseren Füßen. Vielleicht erinnern wir uns an den christlichen Glauben. Plötzlich ist er nicht nur eine fromme Tradition, eben die Weltanschauung, in der wir zufällig aufgewachsen sind. Plötzlich stellt sich die Frage, wie tragfähig dieser Glaube ist. Ob er uns so viel Rückhalt gibt, dass wir tatsächlich unserem Gewissen, unserem besseren Wissen folgen können. Ob wir uns mit diesem Glauben im Rücken auch gegen die Mehrheit stellen können, gegen alle sogenannten Sachzwänge, gegen alle faulen Kompromisse. Aus den totalitären Gesellschaften im 20. Jahrhundert, den faschistischen und kommunistischen, kennt man viele Beispiele für Situationen, in denen Menschen haben Farbe bekennen müssen und wo sie sich fragten, woher nehme ich die Kraft dafür. Im selben Maße, wie sie Widerstand leisteten, suchten viele Vergewisserung im Glauben. Der Glaube wurde ihnen lebendig. Weil sie in ihm ein Zuhause fanden, konnten sie es aushalten, wenn sie sich der eigenen Gesellschaft entfremdeten. So etwas geschieht nicht nur unter extremen politischen Umständen. In jeder Gesellschaft und in jedem Leben gibt es solche Situationen. Situationen, in denen es darum geht, nicht wegzuhören, nicht wegzusehen und nicht die Hände in den Schoß zu legen. Eine Herausforderung für uns heute ist zum Beispiel die Frage, wie wir uns gerade solchen Menschen gegenüber verhalten, die ihre Heimat verlassen haben. Menschen, die als Flüchtlinge, als Vertriebene, als russlanddeutsche Rücksiedler, als politisches Asyl-, als Brot- und Arbeitsuchende zu uns kommen. Was für Gründe sie auch immer dafür haben, - gute oder weniger gute, wer will das wirklich beurteilen, - in jedem Fall haben auch sie alles stehen und liegen gelassen und sind auf vielen Umwegen und bedroht durch viele Gefahren zu uns nach Westeuropa gekommen. Wir können nicht die halbe Welt zu uns einladen. Aber wir müssen uns immer wieder daran erinnern lassen, dass auch sie Menschen sind. Menschen, die genauso empfinden wie wir und die genauso wie wir das Beste für sich und ihre Kinder suchen. Und wenn wir uns in so einer Situation wirklich dazu durchgerungen haben, bei der Wahrheit zu bleiben oder einfach das zu tun, was die Vernunft oder das Herz uns zu tun gebieten? Dann kann man eben nicht damit rechnen, immer Verständnis oder gar Dank zu finden. Eher stößt man auf Widerstand oder sieht sich missverstanden und verleumdet. Und doch kann es zu einer befreienden Erfahrung werden, befreiend, weil wir unserem besseren Ich gefolgt sind. Dieses bessere Ich weiß sich gehalten von Gott. Wir sind nicht solche Menschen, die feige zurückweichen und seelisch zugrunde gehen, sondern solche, die Gott Glauben schenken und deren Leben auf diese Weise eine bessere Qualität gewonnen hat, heißt es am Ende des vorhergehenden Kapitels. Der Preis für so einen Glauben, der dem Ruf Gottes folgt, ist oft die Heimatlosigkeit. Man entfremdet sich den anderen. Von Abraham wird in unserem Predigtabschnitt gesagt, dass er sein Leben lang ein Fremder blieb, einer, der unstet herumzog und in Zelten wohnte. Und an einer anderen Stelle im Hebräerbrief wird gesagt: Wir haben hier auf Erden keine bleibende Stadt. - Nur, liebe Gemeinde, die haben wir doch so und so nicht. Wir können uns noch so gut in diesem Leben etablieren und alles erreichen, wovon das Herz träumt, irgendwann endet die irdische Wanderschaft für jeden, und was bleibt dann? Wir haben hier keine bleibende Stadt, aber die zukünftige suchen wir (13,14). Diese Stadt der Zukunft ist keine Fata Morgana. Es ist die Heimstatt, die uns Gott verspricht, wenn er uns aus unseren eigenen festen Mauern herausruft; wenn er uns durch die Steppen und Wüsten dieses Lebens irren lässt; wenn er uns all den Risiken aussetzt, die manchmal verbunden sind mit der Beachtung seiner Gebote. Ein bequemes Leben ist niemandem versprochen! Zugesagt aber ist uns ein fürsorgliches Geleit hin zu dem Ort, den die Bibel als Himmlisches Jerusalem beschreibt: Ein fester, ein sicherer, ein guter Ort. Ein Platz für immer, ein Platz bei Gott. Und wer sagt uns, ob das so auch stimmt? Niemand, außer Gott. - Und wer weiß, ob das alles auch zutrifft? Keiner, außer dem Glauben. Der Glaube, der sich auf diese Zusage verlässt. Der darf zuversichtlich vorwegnehmen, was erst die Zukunft enthüllen wird. Wilhelm v. der Recke, Cuxhaven, Pastor im Lektorendienst |
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