Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Altjahresabend, 31. Dezember 2001
Predigt über Hebräer 13,8-9b, verfaßt von Heinz Janssen

Mit Vertrauen in das Neue Jahr

Predigttext Hebräer 13,8-9b (nach Martin Luther, Rev. 1984)

(8) Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
(9b) Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben,
denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde,
welches geschieht durch Gnade.

Liebe Gemeinde!

Es liegt erst ein paar Tage zurück, dass wir Weihnachten feierten und sangen: "Gott wird Mensch, dir Mensch zugute ..." - Da möchte uns wieder von neuem klar werden, welche umfassende Bedeutung Jesus Christus für uns hat, welche Hoffnung er auch heute noch in die Welt bringt, und welche Perspektive Menschen haben, die sich an ihm orientieren.

I. Der Predigttext aus dem Hebräerbrief lädt uns an der Schwelle zum Neuen Jahr 2002 ein zu bedenken, was wir an Jesus Christus haben - etwa in unserem Fragen nach der Wahrhheit, nach dem Sinn im persönlichen wie im gesellschaftlichen öffentlichen Leben, in unserem Ringen um eine Lebensethik

(V. 8) Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit...

Friedrich von Bodelschwingh sagte zu diesem Spruch in einer Predigt aus dem Jahre 1934 in der Zionskirche in Bethel: "Hier haben wir ein kurzes bekennendes Wort aus der Gemeinde Jesu, das von allem Formelhaften, Gesetzlichen und Starren völlig frei ist. Es springt... auf wie eine frische Quelle am Weg, wie eine Blüte, die sich unerwartet schnell und herrlich im Sonnenschein entfaltet.... Dass Jesus Christus heute der Gleiche ist, wie er gestern war, d. h. wie er vor zweitausend Jahren in Galiläa und Jerusalem, auf Golgatha und am Ostermorgen gewesen ist. So wie er damals geredet hat, so spricht er heute ..." Eine Aussage von solch großer Verlässlichkeit erweckt Vertrauen bei uns Menschen, Vertrauen in eine Zukunft, die von Gott begleitet sein wird.

(V. 9) Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade...

Mancherlei und fremde Lehren - aus dem Zusammenhang geht nicht hervor, um welche fremde Lehren es sich handelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Verfasser des Hebräer-Briefes die Gemeinde dazu aufrufen will, sich allem Fremden zu verschließen oder dass er sogar der Intoleranz das Wort redet. Vielmehr scheint er Lehren und Anschaungen abzulehnen, die Jesus Christus seine Bedeutung nehmen wollen. Ja, unsere eigene Lehre, das Christentum, ist unsere große Herausforderung. Diese Lehre, in deren Tradition wir hier leben, gilt es mit Lebendigkeit zu füllen. Nicht starre Regeln sind gefragt, sondern feste Herzen, die den Lebensstrom in seinen Bahnen fließen lassen, Herzen, die beharrlich, immer wieder, überall Lebensnahrung hinbringen wie Liebe, Zuwendung, Hilfe. Konzentriere dich auf den innersten Kern, das Herz der Lehre Jesu, dann kann die Jahreslosung wie eine Antwort über dem Neuen Jahr stehen: JA, GOTT IST MEINE RETTUNG; IHM WILL ICH VERTRAUEN UND NIEMALS VERZAGEN (Jesaja 12,2). (Hier kann die Jahreslosung von einem Chor und/oder der Gemeinde angestimmt werden, etwa in der Vertonung von Heinz Janssen, veröffentlicht in: Mitteilungen der Evangelischen Landeskirche in Baden 6/2001, S. 21)

II. ...denn es ist kein köstlich Ding, dass das Herz fest werde...

"Manches Herz ist nicht "fest", sondern erschüttert, verzweifelt, verbittert, trostlos tief verwundet. Oder versteinert, starr und kalt unter Schlägen des Schicksals. Das Herz hat aufgehört zu lieben, zu glauben und zu hoffen, dabei ist es zwar hart geworden, jedoch nicht durch Gnade. Hart werden manche auch unter der Macht des Gestern. Auch im Leben der Völker kommt es mit unter dazu, dass längst totgeglaubte Gespenster sich wieder regen. Alte Schuld wird ausgegraben..." - Ja, es gibt Zeiten, in denen unser Herz so verletzlich ist, dass es unmöglich "fest werden" kann und umso mehr Schutz braucht.

Orgelchoral EG 376, 2 In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz

... denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade... Gnade "befestigt" das Herz, so hören wir in unserem Predigttext. Das "feste Herz" hat nichts mit Sturheit zu tun. Durch Gottes Gnade empfangen Menschen ein festes Herz, und bei diesen

Menschen können wir spüren, dass sie Liebe und Freundlichkeit verströmen, dass sie von Herzen schenken können und sich anderen zuwenden können

Jesus hat von der grenzenüberschreitenden Gnade und Güte Gottes gesprochen, sie zu den Menschen gebracht und sie gelebt - wie wir es am Anfang des Gottesdienstes mit den Worten des 103 Psalmes gehört haben.: "Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und von großer Güte". - Gnade im Hebräerbrief meint sehr konkret: Gott wendet sich in in Jesus Christus uns zu und fragt nicht, ob wir das verdient haben. Es ist sein Angebot, uns zu helfen und beizustehen, besonders wenn Ängste übermächtig werden, wir verzagen wollen und die rettende Hilfe brauchen. Dies gilt für den einzelnen Menschen ebenso wie für die Gemeinschaft, in der wir uns befinden.

Orgelchoral EG 347, 1 Ach bleib mit deiner Gnade bei uns Herr Jesu Christ

III. Gnade wird vielfältig erlebt, z. B., wenn nach einem Unfall die Beteiligten vor dem Schlimmsten und vor gesundheitlichen Schäden bewahrt blieben, bei Genesung von einer schweren Krankheit und im Annehmen-Können einer unheilbaren Krankheit, - wenn wir Kinder gut heranwachsen sehen, in der Erfahrung, geliebt zu werden und lieben zu können - oder auch so: der Mathematiker Carl Friedrich Gauß beschreibt, wie sich für ihn das Problem der Vorzeichenbestimmung löste, heute bekannt als "Gaußsche Summen": "Seit 4 Jahren wird selten eine Woche hingegangen sein, wo ich nicht einen oder den anderen vergeblichen Versuch, diesen Knoten zu lösen , gemacht hätte... Endlich vor ein paar Tagen ist's gelungen, aber nicht meinem mühsamen Suchen, sondern bloß durch die Gnade Gottes, möchte ich sagen: Wie der Blitz einschlägt, hat sich das Rätsel gelöst. Die Gnade für die Zukunft, die wir ersehnen, um die wir beten, ist der Friede. "Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens". Diese Engelsbotschaft, die die eigentliche Mitte des Weihnachtsevangeliums bildet, soll uns in den Ohren und Herzen nachklingen und im Neuen Jahr leiten. Was in der Welt an Unfriede geschieht, darf jetzt nicht mehr als schicksalhaft hingenommen werden. Es gilt, Zeichen des Friedens zu setzen, im Namen der Menschlichkeit, im Namen Gottes und in Jesu Namen. Gott hat die Menschen nicht gegeneinander, sondern füreinander geschaffen. Wir sind Menschen seines Wohlgefallens. Dass wir Menschen doch lernen, friedvoll miteinander zu leben, Konflikte, weil sie oft unvermeidlich sind, fair, fair, gerecht und ohne Gewalt zu lösen. Das Böse in der Welt hat derzeit die Namen Terrorismus, Fanatismus, auch religiöser Fanatismus, angenommen. Diese Namen dürfen in unserem Herzen keinen Platz einnehmen, sondern Namen wie rettendes Handeln zum Trotz gegen all diese Schrecken, gegen alles menschenverachtende und schöpfungsfeindliche Handeln.

IV. Um vertrauensvoll in das Neue Jahr zu gehen, hat uns Gott eine Lebensethik mit auf den Weg gegeben: die Lehre Jesu. Diese wie auch sein beispielhaft im Einklang mit Gott und seinen Geboten gelebtes Leben ist keine religiöse Droge zur Weltflucht und um vom Elend der Welt wegzusehen. Sie fordert uns vielmehr heraus, mit Herz und Verstand zu handeln - beherzt die Konflikte und die Not, der wir begegnen, wahrzunehmen, nicht vorüberzugehen, sondern stehenzubleiben, um zu helfen, mitzugehen, um zu begleiten, miteinander weiterzugehen. So lassen wir einander spüren, dass Gott Zukunft schenkt. So sehen Wege des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe aus.

"Menschen des Weges" - so lautet eine der ältesten Bezeichnungen für die Christen. Sich an Jesus Christus halten heißt weitergehen, ohne einander, ja unsere gesamte Mitwelt, zu übergehen - weil Jesus als der Christus, als der von Gott gesandte Messias, den Weg weist, auf gute Wege lenkt. "Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter uns ein Helfer", hörten wir in der Advents- und Weihnachtszeit. Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit - in der Sprachwelt der Antike war diese drei-Zeiten-Wendung geläufig, um die besondere Bedeutung einer Person auszudrücken (HNT 14, 1984, S 459).

Jesus Christus - dieser Name steht dafür, dass Gott uns nicht aufgibt. Gott weiß Mittel und Wege, mit uns mit dem, was gestern war und heute ist, weiterzugehen - in das Neue Jahr, das für uns Zeit seiner Gnade ist. Das Abendmahl, zu dem wir nachher eingeladen sind, möchte uns auf diesem Weg stärken. Amen.

Heinz Janssen, Pfarrer an der Providenz-Kirche zu Heidelberg,
Anschrift: Evang. Pfarramt Providenz
Karl-Ludwig-Str. 8a, 69117 Heidelberg
EMail: providenz@aol.com


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