Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

1. Sonntag nach dem Christfest, 30. Dezember 2001
Predigt über Jesaja 49, 13-16, verfaßt von Matthias Petersen

13 Jauchzt, ihr Himmel; freue dich, Erde! Lobt, ihr Berge, mit Jauchzen! Denn der HERR hat sein Volk getröstet und erbarmt sich seiner Elenden. 14 Zion aber sprach: "Der HERR hat mich verlassen, der HERR hat meiner vergessen." 15 Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie seiner ver-gäße, so will ich doch deiner nicht vergessen. 16 Siehe, in die Hände habe ich dich gezeichnet; deine Mauern sind immerdar vor mir.

das ist ein seltsamer sonntag
der 1. sonntag nach weihnachten
immer schon

da haben wir
wochenlang
uns vorbereitet
advent advent
ein zwei drei vier lichtlein brennt
adventskaffee
kirchenkonzerte
geschenke kaufen
briefe schreiben
weihnachtsoratorium hören
tannenbaum schmücken
glühwein trinken
eine unglaubliche spannung hat sich aufgebaut
nicht nur bei den kindern
von wegen
auch wir
erwachsene
sind da nicht unberührt geblieben
sondern wurden
ja auch wir
wieder ein bißchen jung
und ein bißchen sehnsüchtig
und manchmal sehr wehmütig
und geheimnisvoll

natürlich
das leben in der welt ging trotzdem weiter
in afghanistan wurde weiter gebombt
in palästina starben menschen
hüben und drüben
in hamburg klagte eine frau vor gericht
um 500 000 mark schadenersatz
weil ein behindertes kind im haus schrie
es gab nazi-aufmärsche
und asylbewerber wurden geschlagen
nicht zu vergessen all die anderen
kleineren
erfahrungen

streit in der familie
ärger im beruf
krankheit und leid
das gab es natürlich alles auch
aber ein bißchen weniger gewicht hatte es
offensichtlich
in dieser zeit für uns
ein kleines bißchen
haben wir uns eingesponnen
in den kokon unserer sehnsucht
sehnsucht
nach gott
nach frieden
nach wärme
nach licht

am heiligen abend
haben wir es gefeiert
das ziel unserer sehnsucht
zum greifen nah
gott unter uns
friede auf erden
und der himmel hing voller engel

auch da gab es natürlich auch anderes
familienstreit
alkohol
eifersucht
enttäuschung
einsamkeit
bittere tränen
das gab es auch
aber zumeist doch das andere
gott unmittelbar unter uns
und eine ahnung
daß leben ganz anders sein könnte
viel dichter
viel erfüllter
viel inniger
bei allem
was sonst noch ist
da draußen in der welt
die weihnachtsbotschaft
ist eben auch wirklichkeit

was
um gottes willen
ist der grund
daß wir das so schnell vergessen
was bringt israel dazu
gott immer wieder
jammernd
in den ohren zu liegen
haben sie nie befreiung erfahren
gab es keinen auszug aus ägypten
haben sie nie gehört vom durchzug durchs meer
von manna in der wüste
nie gehört von wasser und heilung
und gottesgeistesgegenwart
ist das alles vergessen
daß sie nun
kaum verdüstert sich der horizont
jammern und klagen
anklagen
als habe gott sie verlassen

was bringt uns dazu
kaum ist weihnachten vorbei
zur tagesordnung überzugehen
heiliggabend ist noch keine woche vorüber
und die stimmung schon wieder in moll
der zauber ist verflogen
solls das nun gewesen sein
ernüchterung allenthalben
als hätte jemand
statt der warmen weihnachtskerzen
ein grelles neonlicht angeknipst

gibt es so etwas
den kater am morgen danach
den seelischen kater der nachweihnachtstage
alles kommt wieder hoch
alles tut wieder weh
in afghanistan regiert immer noch die brutale gewalt
die flüchtlinge haben immer noch keine unterkunft
die arbeitslosen stehen immer noch schlange vor dem arbeitsamt
und von wirtschaftlicher gerechtigkeit sind wir
nach wie vor
weit entfernt

gott
heilige nacht
engelsbotschaft
war da was
weit weit
entfernt
scheint das alles
und die frage
wie kann gott das zulassen
so unbeantwortet wie eh und je

jesaja
der große prophet jesaja
in solcher stimmung ruft er
als ermutigung
eine besondere erinnerung wach

erinnerungen sind ja nicht ganz ungefährlich
wenn es um ermutigung geht
erinnerungen können wehmütig machen
die einsamen können noch einsamer werden
die verbitterten noch verbitterter

aber
jesaja appelliert an eine erinnerung
die viele teilen können
kennt ihr eine mutter
fragt er
die ihr kind verkommen läßt
das gibt's natürlich auch
aber doch nur als ausnahme
nein
im ernst
kennt ihr eine mutter
die ihr kind verkommen ließe
nein
und meint ihr nicht
daß
wenn schon eine mutter ihre verantwortung nicht vergißt
daß nicht gott viel mehr zu seiner steht
versteht ihr das

und nun kommt die
wunderschöne
zusage
denn siehe
in die hände habe ich dich gezeichnet
du
mensch
menschenkind
du bist mir ganz nah
näher noch
als ein kind seiner mutter
so nah
wie mir sind
die linien in meiner eigenen hand

in die hände habe ich dich gezeichnet
und
ganz wie von selbst
entsteht
in der erinnerung
an dieser stelle
das bild des mannes
dessen seltsame geburt wir gerade gefeiert haben
in die hände habe ich dich gezeichnet
nägelmale erinnern wir
zeichen
daß sich da einer hat
buchstäblich
festnageln lassen
aus lauter liebe

kann gott uns vergessen
die dringlichste aller menschheitsfragen
jesus beantwortet sie
verbindlich
ein für alle mal
kann gott uns vergessen
nein
kann er nicht

ein armeleutekind im stall
von gott vergessen
nein
von engeln besungen
von hirten gepriesen
im licht gottes ins leben gerufen

ein mittelloser wanderprediger am see genezareth
von gott vergessen
nein
von frommen angefeindet
von freunden mißverstanden
aber
immer
von gottes geist getragen

ein gefoltertes schlachtschaf am kreuz
von gott verlassen
nein
von mächtigen verhöhnt
von ängstlichen gemieden
aber
über den tod hinaus
durch den tod hindurch
von gottes liebe
auferweckt
beseelt
belebt in ewigkeit


denn das ist doch das besondere
an diesem neugeborenen leben aus bethlehem
das kind wuchs heran
lebte litt starb
in dem unverrückbaren vertrauen
daß gott
wie ein guter vater
wie eine besorgte mutter
es behütet und begleitet
durch freude und leiden
durch höhen und tiefen
jesus
jehoshua
auf deutsch
gott hilft
nomen est omen
der name ist programm
der name ist bekenntnis des vertrauens
gott hilft
auch im leiden
auch in der einsamkeit
selbst im sterben
gott hilft
wie eine mutter
gott hilft
jesus
so lesen hören wir
hat
buchstäblich
der botschaft seines namens vertraut

vertrauen
das ist das grundthema der propheten
das ist das grundthema der weihnachtsnacht
das ist das grundthema des jesus von nazareth
das ist die herausforderung an uns

der dichter kurt marti
hat das
vielleicht ist das ja ein weihnachtsgedicht
so geschrieben

zitat
ich wurde nicht gefragt
bei meiner geburt
und die mich gebar
wurde auch nicht gefragt bei ihrer geburt
niemand wurde gefragt
außer dem Einen
und der sagte
ja
zitat ende

vertrauen
nur darum geht es

wenn euer vertrauen
groß klein wäre
nur wie ein senfkorn
ihr könntet berge versetzen
tote auferwecken
das reich gottes anbrechen lassen
das terrorismusproblem lösen
gerechtigkeit schaffen
frieden stiften
den seelen der menschen ein zuhause geben
den hungernden nahrung
den flüchtenden obdach
den verfolgten gerechtigkeit

vertrauen
um nichts anderes geht es
das vertrauen
daß gott
wie eine liebevolle mutter
unser leben in sich birgt

wenn wir nur vertrauen könnten
daß liebe stärker ist als cruise missiles
daß gerechtigkeit mehr gewinn bringt als zinsen und profite
daß menschenwürde sich nicht kaufen läßt
daß vergebung neues leben schafft
wenn wir nur dieses vertrauen hätten
leben könnten
wir würden das gesicht der erde verändern
ach was
das gesicht der erde
uns selbst würden wir verändern können
was doch
eigentlich
viel schwerer ist noch
wir selbst würden
endlich
zum leben finden

das ist das thema
das in der weihnachtsnacht in gang gesetzt wird
leben im vertrauen
leben trotz allem
leben gegenan

darum
es gibt keinen grund zur katerstimmung
es gibt keinen grund zum wehmütigen rückblick
denn
jetzt geht es erst richtig los

amen

Matthias Petersen
Kirchenstraße 37
24211 Preetz
e-mail: petersen.m@t-online.de

 


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