Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

4. Advent, 23. Dezember 2001
Predigt über Jesaja 52, 7-10, verfaßt von Christian Zippert

(7) Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkünden, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!
(8) Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der Herr nach Zion zurückkehrt.
(9) Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.
(10) Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes."

Wie schön, eine gute Nachricht zu bekommen! Wir haben uns Sorgen um einen Menschen gemacht, an dem uns viel liegt. Wir hören, dass es ihm gut geht. Wir haben Schmerzen und fürchten, es ist etwas Bösartiges. Wir hören, dass es so schlimm nicht ist. Wir haben uns Mühe gegeben mit einer Aufgabe und zweifeln an unserem Erfolg. Wir hören, dass sie gelungen ist. Wie schön ist das! Unglaublich schön!

So auch die Nachricht, um die es Jesaja geht: Israel sitzt in der Verbannung, fern der Heimat in Babylon. Fern auch von Gott, im Elend, fast hoffnungslos. Die Männer haben Arbeit, die Familien ihr Auskommen. Das Leben geht weiter, wie man so sagt. Aber da ist keine Freude am Leben, kein lohnendes Ziel vor Augen. Alle Mühe scheint sinnlos. Und Gott schweigt.

Aber einer sieht mehr als die anderen. Er hat Hoffnung. Und mit seiner Hoffnung will er sie anstecken. Er glaubt an Gott, an seine Liebe zu Israel. Und diesen Glauben will er mitteilen. Er spricht von der Heimkehr nach Jerusalem, als sei sie schon im Gang: Ein Bote eilt dem Zug des Volkes voraus. Er verkündet Frieden. Er sagt zu Zion: Dein Gott ist König. Die Wächter der zerstörten Stadt sehen ihn kommen. Sie hören, was er sagt und brechen in Jubel aus. Und der Jubel zieht immer weitere Kreise. Die in den Trümmern Zurückgebliebenen, ja, die Trümmer selbst, sagt der Prophet, stimmen mit ein. Und schließlich alle Menschen auf Erden, weil sie sehen: Gott hat sich über sein Volk erbarmt.

Ob die Verbannten in Babylon ihm geglaubt haben? Gewiss nicht alle, vielleicht nicht einmal viele. Wie konnten sie auch? Was ihnen vor Augen war, sprach gegen ihn. Und doch hat er Recht behalten mit seiner Hoffnung: Im Jahr 538 erlaubte der König der Perser, Kyros, die Heimkehr. Dabei ging es freilich viel bescheidener zu als gedacht und erträumt. Und die Freude über die Heimkehr wich bald der Ernüchterung, der Enttäuschung. Und nicht lang danach neuer Not, neuem Elend, neuer Unterdrückung.

Den Persern folgten die Griechen, den Griechen die Römer. Aber die Hoffnung war nicht zu unterdrücken. Das Wort des Propheten hielt sie wach, bis es sich von neuem erfüllte: Unter der Herrschaft der Römer, zur Zeit des Kaisers Augustus, wird er geboren; zur Zeit seines Nachfolgers Tiberius erhebt er die Stimme: Ein neuer Bote, der "Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündet". Jesus tritt auf - zunächst auf den Bergen Galiläas, dann auch in Jerusalem, der "Hochgebauten" Stadt, die bald für Jahrhunderte in Schutt und Asche sinken sollte.

Er sagt: "Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist herbeigekommen. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!" (Markus 1,15). Mit Worten und Taten macht er anschaulich, was "Reich Gottes" bedeutet: "Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt, und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert" (Matthäus 11,5f.). Wieder sind es wenige, die glauben. Und viele, sehr viele, die "sich ärgern", die Anstoß nehmen. Sie wollen ihn nicht hören, bringen ihn zum Schweigen. Er stirbt am Kreuz mit den Worten: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Matthäus 27,46). Eine große Hoffnung wird mit ihm begraben, scheint es.

So scheint es auch denen, die bis zuletzt an ihn geglaubt hatten. Sie sitzen hinter verschlossenen Türen und denken: Es ist aus. Da tritt er ein - durch die verschlossenen Türen - und sagt: "Friede sei mit euch." Mit den Augen des Herzens sehen sie: Der Gestorbene lebt. Unfassliche Freude! Noch einmal hören sie: "Friede sei mit euch." Und dann: "Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch!" (Johannes 20,21). Sie hören es und handeln danach. Erstaunlich rasch hat ihre Botschaft "aller Welt Enden" erreicht. Und der in Jerusalem aufgebrochene Jubel hat um sich gegriffen - über alle Grenzen hinweg. Überall in der Welt haben Menschen in Jesus den "Christus", den "König" erkannt. Und dadurch im Elend Trost gefunden, einen Weg aus der Gefangenschaft in die Freiheit entdeckt. Bis heute ist diese Bewegung in Gang.

Irgendwann, irgendwo hat das Wort der in Jesus Christus begründeten Hoffnung auch uns erreicht. Und wenn es uns einmal ergriffen hat, dann lässt es uns nicht wieder los. Auch wenn es in Zeiten der Angst und der Resignation seine Macht zu verlieren scheint. Es gibt sie ja immer wieder, diese Zeiten - aus persönlichen und aus politischen Gründen. Dann gehen wir unserer Arbeit nach wie die Verbannten in Babylon - ohne Hoffnung auf Auswege. Dann sitzen wir wie die Jünger im kleinen Kreis hinter verschlossenen Türen und fragen uns: Wer sind wir, dass wir gegen das grenzenlose Elend in der Welt oder auch nur in unserer nächsten Umgebung angehen könnten?

Wie gut, wenn uns in solcher Lage ein Wort anspricht und in Bewegung bringt. Wie die Verbannten in Babylon das Wort des Propheten Jesaja: "Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen .." Wie die Jünger in Jerusalem das Wort des Auferstandenen: "Friede sei mit euch. Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch." Es ist schön, eine gute Nachricht zu bekommen; es ist auch schön, eine gute Nachricht zu überbringen!

Wie das aussehen könnte? Wir versuchen, einem Menschen, der sich verlassen fühlt, zu zeigen, dass wir ihn verstehen und in seiner Eigenart annehmen. Wir versuchen, einem Menschen, der mit einer Aufgabe nicht zurechtkommt, praktisch zu helfen und sagen ihm damit ohne Worte: Du bist nicht allein! und: Du schaffst es! Wir versuchen, einem Menschen, der trauert, wenigstens anzudeuten, dass wir auch angesichts des Todes an die Liebe Gottes glauben können. Die Weihnachtsfeiertage, die letzten Tage des alten Jahres und die ersten Tage des neuen Jahres werden uns manche Gelegenheit geben für solche Versuche. Gott wird sie segnen.

Bischof em. Prof. Dr. Christian Zippert
Marburg-Michelbach
Telefon: (06420) 821873
Telefax: (06420) 821875


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