Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

2. Advent, 9. Dezember 2001
Predigt über Offenbarung 3, 7-13 , verfaßt von Herbert Koch

Der Apostel Paulus war von der baldigen Wiederkunft des auferstandenen und erhöhten Christus zum jüngsten Gericht und dem Anbruch des ewigen Gottesreiches ganz fest überzeugt. Und zwar so, dass er damit noch in der Lebenszeitspanne seiner Generation gerechnet hat. Anders kann man ja eine bestimmte Aussage im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes nicht verstehen, die lautet: "Siehe ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen; wir werden aber alle verwandelt werden."

Aber die Zeit verging, und der Tag der Wiederkunft Christi blieb aus, Fragen und Zweifel waren die Folge davon, wie könnte es anders sein. Und in der Zelt, in der der Seher Johannes, der uns das letzte Buch unserer Bibel hinterlassen hat, sich mit seinen Botschaften an die Christen in Kleinasien, der heutigen Türkei, gewandt hat, in dieser Zeit - es war das letzte Jahrzehnt des 1 . Jahrhunderts nach Christus - kam auch noch hinzu, dass die Christen dort schweren Verfolgungen ausgesetzt waren. Denn sie waren in besonderer Weise damit konfrontiert, dass die römischen Kaiser als Götter betrachtet wurden. Der Kaiser Domitian nun, der zur Zeit der Johannesoffenbarung in Rom regierte, war der erste, der schon zu seinen Lebzeiten göttliche Verehrung für sich beanspruchte; und in Kleinasien war die römische Verwaltung besonders eifrig, den Kaiserkult den Menschen auch abzuverlangen. Für die Christen war das allerdings undenkbar. Sie mussten das verweigern, und das konnte böse Folgen haben, und so ist es nicht verwunderlich, dass in der Johannesoffenbarung viel von Geduld und Überwindung die Rede ist, die die wahren Christen auszeichnet, weil sie wissen, dass die Schrecken der Gegenwart die sicheren Zeichen dafür sind, dass die Endzeit doch angebrochen ist und die Wiederkunft Christi vor der Tür steht. Die Gemeinde in der Stadt Philadelphia, an die der Predigttext von heute gerichtet ist, hat sich in dieser Lage gut bewährt und bekommt deshalb Bewahrung zugesagt, wenn noch größere Versuchungen kommen werden. Geduld und Treue der Gemeinde können sich sehen lassen. Sie hat ihren Glauben an Christus auch unter dem Druck der Staatsgewalt nicht verleugnet.

Freilich: Auch diese Gemeinde hat die Wiederkunft Christi, an die sie offenbar recht unerschütterlich geglaubt hat, nicht erlebt. Und bis heute ist sie ausgeblieben. Im dritten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses existiert sie allerdings in unserem Gottesdienstformular weiter, indem es dort heißt: "... von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten". Aber ich denke, dass man diese Aussage wie manches andere zu den Museumsstücken rechnen muss, die wir in unserem Gottesdienstablauf weitertragen, ohne dass noch ein lebendiger Glaube dahinter stünde. Und die kirchliche Vermögensverwaltung arbeitet bei der Geldanlage auch mit Perspektiven, die nicht davon ausgehen, dass der jüngste Tag jederzeit hereinbrechen kann. Zumal eine solche Erwartung, wie sie hin und wieder einmal von der einen oder anderen Sekte aktualisiert wird, kaum zusammengeht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen unserer Zeit über die Beschaffenheit des Kosmos.

Und so wird man ehrlicherweise erst einmal sagen müssen: Die Vorstellung einer Wiederkunft Jesu auf den Wolken des Himmels, verbunden mit einem schlagartigen Ende der bestehenden Welt, das kann für uns heute zu den Inhalten unseres Glaubens kaum noch gehören; darf jedenfalls nicht zur Bedingung von Christ sein gemacht werden, so dass man auch sagen muss, dass von dieser Seite her betrachtet unser heutiger Text uns kein Predigttext mehr sein kann.

Im ganzen erledigt ist er damit allerdings keineswegs. Denn eines gibt es heute wie damals, nämlich scharfe Konkurrenz für den Gott, der uns mit Jesus begegnet, und an den zu glauben durchaus nicht zum religiösen Museum gehört.

Worin die damals wie heute besteht und worin das im Kern beruht, das hat wohl niemand besser beschrieben als Martin Luther in seiner Erklärung des 1. Gebots im Großen Katechismus. Wo er zwischen Gott und "Abgott" unterscheidet und beides mit dem Glauben in Zusammenhang bringt, den er als das "Vertrauen des Herzens" bezeichnet und dann sagt: "Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verlässest, das ist eigentlich dein Gott." Das muss freilich der wahre Gott nicht sein. Vielmehr sieht Luther viele, die sich ganz auf Geld und Gut verlassen und daran ihr ganzes Herz hängen, was er dann den "allergewöhnlichsten Abgott auf Erden" nennt.

Genau davon hat offenbar auch Paulus einiges gewusst und deshalb über die materiellen Dinge des Lebens gesagt, man solle sie "haben als hätte man sie nicht". Damit hat er nicht ein Ideal der Askese propagiert, so dass ein wahrer Christ einer wäre, der von allem, was im Leben Freuden bereitet, grundsätzlich die Finger lässt. Aber dass man einen bestimmten inneren Abstand zu den Dingen dieser Weit behält und sich nicht an sie verliert, darum geht es, und darum geht es mit einem bestimmten Ernst. Und das ist allemal auch ein Thema in der Adventszeit. Denn eines ist ja jedes Jahr wieder gewiss in dieser Zelt, dass die Schlagzeilen immer wieder dem Weihnachtsgeschäft gewidmet sind, wie gut oder weniger gut es ist. Als sei das alles, was wirklich wichtig ist.

Dass man aus Anlass der Geburt Jesu anderen Menschen etwas schenkt, ist ja ein schöner Brauch, der einen guten Sinn hat Aber was ist in der Wohlstandsgesellschaft daraus geworden? Vielfach doch etwas, wozu die Mahnung passt, nicht zu vergessen, das einem das, woran man sein ganzes Herz hängt, nun einmal zum Gott wird, was immer es sei. Das Herz muss aber frei bleiben für den allein wahren und wirklichen Gott. Und das ist der, von dem mit bestimmten Gründen erzählt wird, dass in einem erbärmlichen Stall seine Nähe zu den Menschen in der Person und der Botschaft eines einzigartigen Menschen ihren Anfang genommen habe. Und wir wissen doch schließlich, dass das nicht der Idylle wegen erzählt worden ist.

Superintendent Dr. Herbert Koch
Laagbergstr. 46a
38440 Wolfsburg

Fax: 05361-12874


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