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2. Advent, 9. Dezember 2001
Predigt über Offenbarung 3, 7-13 , verfaßt von Anna-Katharina Szagun |
Vorplanung: An Materialien werden dazu benötigt: PHANTASIEREISE: Ich möchte Sie für ein paar Minuten einladen zu einer Phantasiereise, einer Reise in einen inneren Raum. Wir können innere Bilder nur mit geschlossenen Augen wahrnehmen. Bitte schließen Sie die Augen! Wir betreten ein großes vieltoriges Gebäude. Es besteht nur aus einem einzigen riesigen Raum. Unendlich viele unterschiedlich hohe Säulen tragen die Decke dieses Raumes. An manchen Stellen ist die Decke so niedrig, dass man nur gebückt hindurchgehen kann, - an manchen riesig hoch. Sie können die Decke kaum noch wahrnehmen, so weit oben schwebt sie. Mit der Höhe der Decke wechselt in diesem Raum ebenso das Licht wie die Luft und die Wärme. Sie wandern durch dunkle Partien: Dämmerlicht umfängt Sie, Kühle... Sie kommen in lichte Partien, - in manchen Bereichen ist es so hell, dass es Sie blendet... Sie spüren die Strahlen, die Wärme... Auch die Luft verändert sich: An manchen Stellen scheint sie zu stehen, - an anderen spüren Sie einen frischen Luftzug... Sie wandern herum, spüren Wärme und Kühle, betrachten die unterschiedlich hohen Säulen: Jede ist anders geformt. - Sie betrachten die Vielfalt an Größen und Formen. - Plötzlich merken Sie: alle diese Säulen sind lebendig. Sie atmen, - sie bewegen sich an ihrem Platz. Und alle sind irgendwie geheimnisvoll miteinander verbunden im Netzwerk der Decke... Sie gehen langsam durch den Raum bis zu dem Ort, wo Sie den Atem des Lebens, das Geheimnis der Verbundenheit mit allem, was lebt, am besten spüren können. Sie lehnen sich an eine Säule, - Ihre Säule. - Sie nehmen diesen Raum der Gegenwart Gottes in sich auf... (Stille) Und nun kommen Sie langsam - die Augen öffnend - zurück in den Raum hier, lassen bei dem nachfolgenden Musikstück all' das, was Sie gesehen, empfunden und gedacht haben, nachklingen. Und schreiben dann Ihre Bilder, Vergleiche, Assoziationen auf, - alles, was heute morgen für Sie >Gegenwart Gottes< ausdrückt... - Kurzes Musikstück für Orgel, Flöte, Gitarre o.Ä. - Wir hören den Predigttext des heutigen Sonntags aus Offenbarung 3, 7-13 7 An den Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, so dass niemand mehr schließen kann, der schließt, so dass niemand mehr öffnen kann: 8 Ich kenne deine Werke, und ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann. Du hast nur geringe Kraft, und dennoch hast du an meinem Wort festgehalten und meinen Namen nicht verleugnet. 9 Leute aus der Synagoge des Satans, die sich als Juden ausgeben, es aber nicht sind, sondern Lügner - ich werde bewirken, dass sie kommen und sich dir zu Füßen werfen und erkennen, dass ich dir meine Liebe zugewandt habe. 10 Du hast dich an mein Gebot gehalten, standhaft zu bleiben; daher werde auch ich zu dir halten und dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über die ganze Erde kommen soll, um die Bewohner der Erde auf die Probe zu stellen. 11 Ich komme bald. Halte fest, was du hast, damit kein anderer deinen Kranz bekommt. 12 Wer siegt, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Gottes machen, und er wird immer darin bleiben. Und ich werde auf ihn den Namen meines Gottes schreiben und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das aus dem Himmel herabkommt von meinem Gott, und ich werde auf ihn auch meinen neuen Namen schreiben. 13 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt. PREDIGT: Das Buch der Offenbarung ist voll von rätselhaft-faszinierenden Bildern. Der Verfasser hat sie den Schätzen seiner religiösen Traditionen entnommen und neu zusammengefügt zum Ausdruck seiner Glaubensbotschaft. Ich verstehe seinen Umgang mit den Bildern der Tradition als Ermutigung, ebenso frei mit den Schätzen der Tradition umzugehen... "Soll ich denn die Arznei mit der Schachtel fressen?" hat schon Lessing bezüglich der Bibelauslegung kritisch gefragt. Muss ich das, was heilt, nicht aus der zeitgebundenen Verpackung nehmen? Aber: Was ist denn nun Arznei an unserem Text, und was ist Schachtel? Muss dies für jeden Text jeweils durch eine Lehrautorität - etwa die Kirche oder auch die Wissenschaft - geklärt werden? Oder kann und muss jede(r) für sich selbst diese Unterscheidung zwischen Arznei und Schachtel treffen? Ich denke, bezeugen, was heilt und trägt, kann jede(r) nur für sich selbst. Es wird also ein ganz persönliches Mosaik, das aus Elementen unserer biblischen Tradition vor Ihnen entsteht; und jede(r) von Ihnen wird und kann das Mosaik aus den vielfältigen Bildteilen für sich ein Stück anders gestalten. Zwei Grundentscheidungen trennen mich vom Verfasser: Die eine betrifft sein Gottesbild, die andere den Zeitpunkt der Äonenwende. Der Verfasser der Offenbarung denkt Gott vor allem von der Macht her, einer Macht, die alle die Welt jetzt drangsalierenden Mächte letztlich beherrscht. Dem allmächtigen, allwissenden Übervater zur Seite thront der erhöhte Christus, der Menschensohn, ebenfalls Herrscher und Richter. Das Weltgericht, die Äonenwende, wie auch das Heil stehen noch bevor: Allen, die in Treue den rechten Glauben bewahrt und glaubensgemäß gehandelt haben, werden dann köstlichen Lohn empfangen: Verschont von Endzeitprüfungen, für immer eingetragen ins Buch des Lebens, gekleidet in das Weiß der Seligen, geschützt durch den weißen Stein mit Christi Namen, gespeist vom Baum des Lebens, werden sie zu lebendigen Säulen im neuen Jerusalem, ja, sie werden Anteil haben am Richter- und Herrscheramt Gottes. Dann, nach dem Endgericht über Lebendige und Tote, wird das neue Jerusalem von Gott aus dem Himmel herabkommen, und es wird als Wohnung Gottes unter den Menschen beschrieben. In Kap. 21 heißt es: Er wird in ihrer Mitte wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er, Gott, wird bei ihnen sein (21,3). Er wird alle Tränen von ihren Augen abwischen...(21,4). Alles wird neu gemacht, heißt es. Und : Wer durstig ist, den werde ich umsonst aus der Quelle trinken lassen, aus der das Wasser des Lebens strömt (21,6). Gemäß der Zahlensymbolik der jüdischen Tradition werden die Maße des neuen Jerusalems beschrieben. Gebaut ist es aus den edelsten Materialien der damaligen Zeit, Gold, Glas, Perlen und Edelsteinen. Und dann heißt es: Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel, er und das Lamm (21,22). Ein faszinierendes Bild, dieses neue Jerusalem, ein Bild, das eigentlich schon Hilfen gibt, zwischen zeitgebundener Schachtel und heilendem Inhalt zu trennen. Da ist ein Raum der immerwährenden Gegenwart Gottes mit Menschen als lebendigen Säulen: Ich sehe einen Wald von Lebensbäumen vor mir, die sich mit ihren Kronen berühren, vernetzen. Gedacht ist an einen Ort unten, nicht im Himmel, eine Wohnung Gottes mitten unter den Menschen, und das heißt doch wohl auch mitten in ihrem Alltag. Diese Wohnung Gottes unten, mitten unter den Menschen in ihrer Alltäglichkeit, soll ein Ort sein, an dem alle Tränen abgewischt werden und wo jede(r) umsonst vom Wasser des Lebens trinken darf. Es ist ein Ort, wo das Leid nicht das letzte Wort behält: Alle Tränen werden abgewischt. Es ist ein Ort, wo jeder, den nach neuer Lebendigkeit dürstet, vom Wasser des Lebens trinken kann. Und das heißt doch wohl, dass jede(r) dort neu Kraft, Hoffnung, Mut und Zuversicht schöpfen kann. Es ist ein Ort, an dem Gott selbst zum Raum geworden ist, der alles umgreift, umhüllt: Es braucht keinen Tempel mehr dort, weil Gott selbst der Tempel ist und alle in ihm wohnen - als lebendige Säulen. Alle wohnen ihm ein, so wie er ihnen als lebendiges Wasser, als Wurzelgrund wie als Atem des Lebens einwohnt, alles mit allem verbindet: Geheimnisvolles Einssein von Gott und Mensch. Zu diesem im Text gezeichneten Bild vom neuen Jerusalem verhält sich das Gottesbild eines herrschenden Übervaters sperrig. Wohnung mitten unter den Menschen, ihnen die Tränen abwischen, mit ihnen eins sein als umhüllender Raum: Wo bleibt da der Abstand, die Hierarchie? Nein, so kann und will ich Gott nicht denken, nicht von den Bildern des neuen Jerusalems her und auch sonst nicht. Dächte ich Gott als allwissenden, allgegenwärtigen Herrscher, so müsste ich ihm die Opfer von Auschwitz, von Afghanistan, von Hunger- und Erdbebenkatastrophen anlasten, ihn des Sadismus und Zynismus zeihen. Dieser allmächtige Übervater, der Jahrhunderte lang theologisches Denken innerhalb einer autoritätsfixierten Gesellschaft bestimmt hat, gehört für mich zur Schachtel: Ich kann nichts Heilendes an ihm entdecken, weder für mich, noch für andere. Was aber dann? Wie kann ich Gott anders denken? Bei dem Versuch, die Sprachbilder unseres Textes in heute Anschaubares zu übersetzen - also das neue Jerusalem hier vor uns entstehen zu lassen - kam ich auf das Bild eines Gewebes für Gott: Gott als umgreifende Verbundenheit, als Kraft der Beziehung, (Das bunte Netzwerk wird entrollt und hochgehalten), Gott als liebende und mitleidende Verbundenheit, die unsere Alltäglichkeit zugleich enthält und übersteigt. Eigentlich müsste es in dynamischer Form ausgedrückt werden, was gemeint ist mit diesem Gott, der sich ereignet in lebendigen, Freude und Schmerz teilenden Beziehungen zwischen Geschöpfen. - Gott zeigt sich mir als Netzwerk, das die großen und kleinen, die festen und die zerbrechlicheren Säulen miteinander verbindet und sie hält. Dies bunte Gewebe aus vielen Netzen, der Versuch einer Metapher, beschränkt wie jeder unserer Versuche, Gott mit allen Sinnen zu erfassen. Aber dies Netzwerk hilft mir zu verstehen: Gott ist eines, - ein Etwas, das alles und alle umhüllt. Und zugleich ist Gott eine Vielheit von Verbundenheiten, von unterschiedlichen lebendigen Netzwerken. Dies Gewebe kommt nicht glanz- und machtvoll daher, es beherrscht niemanden. Es ist ärmlich, verletzlich, hat zerrissene Stellen: Im Kreuz von Golgatha, in den Schmerzen unendlich vieler Geschöpfe begegnen wir dem ohnmächtig leidendem Gott auf der Seite der Opfer. - Und zugleich sehe ich zarte Verbundenheit, trotz der Ärmlichkeit des Einzelnen eine festlich-warme Buntheit, beschützend unterstützend, Raum gebend für Atem und Entfaltung. Wenn Gottes Gegenwart unter den Menschen so aussieht, dann kann ich mir vorstellen, dass dies ein Ort ist, wo Tränen abgewischt werden, wo jede(r) vom Wasser des Lebens trinkt... Da wäre ich schon gern. >Das geht nicht < sagt der Verfasser der Offenbarung, >jetzt noch nicht. Nach den Schrecken der Endzeit kommt noch das große Weltgericht, und erst dann beginnt das Reich Gottes, das neue Jerusalem<. Nein, sag ich, das ist Schachtel für mich. Dazu habe ich in den Evangelien und bei Paulus etwas anderes gelernt. Die entscheidende Wende liegt hinter uns. Das Reich Gottes - verkündigte Jesus - beginnt hier und heute. "Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade..." lese ich bei Paulus (2 Kor 6,2). Hier und heute findet beides statt, Gericht oder Heil. Hier und heute kann ich mich abkoppeln von der Kraft der Verbundenheit und in Selbstverkrümmung und Isolation mein Leben verfehlen. Abgetrennt vom Gewebe werde ich aus der Quelle der Liebe und Lebendigkeit nicht schöpfen können. Das ist Gericht hier und heute schon. Aber hier und heute kann sich Gott unter uns auch als Kraft der Verbundenheit ereignen; hier und heute wird dann alles neu: Wo solche Verbundenheit gelebt wird, da geschehen auch heute, mitten im Alltag Wunder. Da werden Hungrige gespeist, Erschöpfte gekräftigt, Entwurzelte aufgefangen, Alte begleitet, Kranke geheilt. In jedem von uns steckt >Das-von-Gott< als Fähigkeit zum Mitsein. Jede(r) kann seine Kraft - und sei sie noch so klein - hier und heute als Kraft der Verbundenheit leben und damit ein Stückchen Welt verwandeln.. Jede(r), der die ihm anvertraute Kraft so lebt, ist - mitten im Alltag - tragende lebendige Säule im Tempel der Gegenwart Gottes, christusförmig als Mensch für andere, in Verbindung mit allem, was lebt, - gebend und empfangend. Der Name Gottes, der Name Jesu ist auf diese lebendigen Säulen geschrieben, heißt es im Text. Es kann sein, dass Menschen nichts davon wissen (vgl. Mt 25, 31-46) und doch längst schon Säulen sind in dem geheimnisvoll dunklem Raum, der uns alle nährt... Bei Kurt Marti lese ich dunkle leuchtende höhle Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus, unserem Bruder. Amen FORTSETZUNG der GESTALTUNG: Lied: Gott ist gegenwärtig, EKG 165, Verse 1,5-6 Fürbittengebet: Gott, lass uns zu Werkzeugen deiner Verbundenheit werden: Gemeinsam beten wir: (Mutter und) Vater unser im Himmel... Wird Christus tausendmal Angelus Silesius weihnacht kurt marti Ich bin ein Baum Vom Himmel Rose Ausländer
Seneca Prof. Dr. Anna-Katharina Szagun, Universität Rostock |
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