"Alphabet für Christen"
Predigt zu Johannes 14, 15-19
in der Jakobi-Kirche, Hannover-Kirchrode am 27.5.2001
von Jobst v. Stuckrad-Barre


Aus den Abschiedsreden Jesu im Johannes-Evangelium haben wir eben Kap. 14, 15-19 gehört. Jesus bittet, daß der Vater, daß Gott also der zurückbleibenden Gemeinde den Tröster, den Geist der Wahrheit geben wird; der wird sie instandsetzen, den Weg ins Leben weiterzugehen. Maßstab auf diesem Weg wird seine Liebe sein - was gleichbedeutend ist mit dem Halten seiner Gebote.
Wir sind also nicht allein auf dem Weg durch die Zeit, sind nicht wie Waisen zurückgelassen, haben vielmehr seine Verheißung, daß er bei uns ist, wie wir in ihm leben. Was Menschen so oft nur als Problem des Verstehens beschreiben, es ist in Wahrheit Existenzgrundlage der Glaubenden: Er lebt und wir sollen auch leben!
Was gibt uns dieser Tröster, der Geist der Wahrheit, an die Hand, damit wir "getrost und all-in-ein" leben können? Ein kleines "Alphabet des Glaubens" möchte ich heute für uns daraus entnehmen, mit dem wir all die andern nötigen Wörter und Sätze zusammenbauen können, die es zum Christenleben braucht. Ein Alphabet auch in dem Sinne, daß es um Grundworte geht - es darf also dieses und jenes fehlen, weil es sich gut von den Grundwörtern ableiten oder aus ihnen zusammenfügen läßt.

Das Wort, mit dem alles anfängt, das Wort, das wir nehmen können, wenn wir nicht wissen, was wir reden, vor allem, wie wir beten sollen, ist: Abba, lieber Vater; das Wort mit dem das Grundgebet der Christenheit anfängt: Vater unser, sein Name werde geheiligt, sein Reich komme, sein Wille geschehe. Damit sind unsere Möglichkeit schon genannt, alle sind sie beschlossen in dem, was Gott für uns ist und wir für ihn. Doch wenn ich gleich bei dem ersten Buchstaben Schluß mache, werden Sie zu Recht sagen, das reicht nun doch nicht. Sie aber im Sinn behalten - in dieser Anrede: Abba ist alles weitere schon enthalten.

Also wer A sagt, muß auch B sagen - und da wir mit der Anrede an Gott, den Vater, schon das Beten im Blick haben, gehe ich weiter zum Brot, das jeder zum Leben braucht und von dem allein wir doch nicht leben können. Es steht also für das Leben, das uns geschenkt ist, das wir teilen mit einander und mit denen, die nicht genug haben, um den nächsten Tag davon zu leben. Es ist dieses einfache Wort, in dem alles angedeutet wird, was Christus für uns ist - seine Lebendigkeit und seine Hingabe für die Menschen, die in Unfrieden und Mangel leben. Darum gehört für die, die an ihn glauben und diesen Glauben weitergeben, die Christen, der Dank ganz obendran: Dank für dieses Leben vor Gott und von Gott. Mitten im Alltag sind wir schon im Anbruch der Ewigkeit, des Ewigen Lebens, das uns vom Vater durch den Sohn geschenkt wird.

Sind wir, bin ich noch bei Johannes? Oh ja, denn Jesu Bitte um den Fürsprecher, den Tröster, den Geist der Wahrheit sichert zu, daß er bei uns sein wird in Ewigkeit. Vielleicht denken Sie jetzt schon, ist der Pastor noch ganz bei Trost, wenn er so weiter macht, sind wir um 12.00 Uhr noch nicht aus der Kirche `raus. Aber noch bin ich nicht bei K wie Kirche, sondern beim Fürsprecher und Geist der Wahrheit, der uns zu Heiligen macht, wie wir allsonntäglich sprechen: Heilig durch den, der uns aus der Gottvergessenheit herausholt und die Sünde abtut. Wem wir das alles verdanken? Jetzt hätte ich mit einem Kunstgriff die Abkürzung INRI nehmen können; begnüge mich aber lieber mit dem kleinen Wort in: ich in meinem Vater, sagt Jesus nur einen Vers weiter bei Johannes, ich in ihm und ihr in mir und ich in euch.

Jetzt müssen Sie bei J nicht weiter raten, was mir da zentral erscheint. Jesus ist es, der die Nähe des Vaters und damit die Hoffnung der Menschen bringt; ihm verdanken wir es, daß wir nicht bloß aus uns selbst leben, sondern geöffnet werden für das Sein vor Gott und in Gott. Und damit wir die Wirklichkeit nicht aus dem Auge verlieren - am Kreuz kommt die Nähe Gottes zur Welt: Jesus stirbt für uns, für Angst und Abwehr der Menschen: gegen Gott und gegen einander und gibt uns in seiner Auferstehung Grund und Mut zu neuem Leben. Die Liebe, die darin zum Vorschein kommt, gibt uns deshalb neues Leben, weil sie nicht für ideale Situationen gedacht, sondern für die da ist, die leiden an den Nöten und der Ungerechtigkeit der Welt, Not der andern Menschen wie der eigenen. Es sind diese Menschen, für die Jesus gestorben und auferstanden ist, damit sie frei werden.

Der Name Gottes ist also ein für allemal verbunden mit der Ohnmacht Jesu am Kreuz - aus dieser Ohnmacht erwächst die Zukunft, die ganze Hoffnung der Welt. Einer, der für diese Kreuzestheologie die entscheidenden Worte und Wege gefunden hat, ist Paulus, den wir deshalb in unser Alphabet aufnehmen, etwas lieber als Petrus, der der Macht zu oft erlegen ist, er und seine Nachfolger seither.

Wieder muß ich zu einem kleinen Wort greifen, um den Zusammenhang mit dem Gekreuzigten zu wahren: Quer zu unser Denken liegt oft, was in der Nachfolge Jesu zu sagen und zu tun ist. Die Verkündigung des Reiches Gottes und seiner Nähe geht nicht konform mit dem, was in der Welt gerade angesagt ist: Geld, Macht und schiere Größe - quer dazu steht das Reich Gottes, das für die Armen, Entrechteten und Verdrängten da ist. Ich gebe zu, daß Johannes das ein wenig anders formuliert, doch ist das Alphabet des Glaubens ja gerade dazu da, uns miteinander zum Sprechen zu bringen, fröhlich und kritisch, hoffnungsvoll und dankbar dem, der uns den ganzen Segen seines Wortes, seiner Schöpfung gibt; entscheiden Sie selbst.

Damit sind wir in einer vorletzten Gruppe von Wörtern noch einmal bei der ganzen Bandbreite unseres Tuns, unserer Taten wie Untaten, und merken, wie sehr wir auf den angewiesen sind, der vergibt. Von wo aus wir es auch angehen, die Vergebung ist das befreiende und auslösende Wort, das Gott uns und der Welt schenkt. Sodaß wir hier mit Johannes an der Wahrheit sind, die uns der Tröster bedeutet - nur in diesem Geist, der aus der Vergebung erwächst, kommen wir zum Leben, sind wir in ihm und er in uns. Nur indem wir das uns Fremde erkennen und sehen, daß Gott die Fremdheit durch Liebe überwindet, kommen wir zu dem Licht, das uns aus dem Christus scheint: ein Fremder, ein xénos (cenoj), war Jesus den Seinen, als er ihnen auf dem Weg nach Emmaus erschien - Xenophilie mit dem Fremdwort; wichtiger ist es, daß die Liebe des Andern geschieht.

Spätestens hier, ich will kein X für ein U machen, kommt das kleine Sprachspiel mit dem Alphabet an ein Ende. Obwohl auch Y, der Ysop im Kreuzigungsbericht noch einmal in die zentrale Geschichte weist - begnügen wir uns damit, daß aus den gefundenen Wörtern die Geschichte Gottes mit uns immer wieder neu erzählt werden kann und muß. Ihn, Gott, dürfen wir anreden, Abba, daraus schöpfen wir alle Zuversicht für uns und über uns und unser Ende hinaus. Weiterzusprechen haben Sie, denn mit dem letzten Wort geht es von ganz neuem los: Amen.


Jobst v. Stuckrad-Barre
Kleiner Hillen 1
30559 Hannover
e-mail: stuckradbarre@gmx.de

Alphabet für Christen

Abba
Brot/Beten
Christus
Dank
Ewigkeit/Ewiges Leben
Fürsprecher
Geist
Heilig
In
Jesus
Kreuz/Kirche
Liebe
Menschen
Nähe/Name
Ohnmacht
Paulus
Quer
Reich Gottes
Segen/Schöpfung
Tun
Untaten
Vergebung
Wahrheit
Xenophilie
Ysop
Zuversicht


Dieses Kärtchen habe ich nach der Predigt verteilen lassen und dazu angeregt, doch ein eigenes Alphabet zu entwerfen und mir in den nächsten Tagen zukommen zu lassen; das erste mit acht Änderungen bzw. Ergänzungen bekam ich schon beim Verabschieden der Gemeinde an der Kirchentür mit der Bemerkung, es habe Spaß gemacht!