16. September 2001
Ansprache nach den Terroranschlägen in den USA über Matthäus 5, 4-10,
verfaßt von Dorothea Zager

Was wir am Dienstag miteinander erlebt haben, liebe Freunde, hat uns tief erschreckt und erschüttert. Dass Menschen aufeinander schießen, einander wehtun und töten - leider kannten wir diese grausame Wahrheit schon lange aus vielen, vielen Berichten rund um den Erdball. Dass aber nun ganze Flugzeuge mit unschuldigen Zivilpersonen an Bord zu einer Waffe umgewandelt werden, die dann wiederum tausende Menschenleben auslöscht, das ist etwas erschreckend Neues, etwas unfassbar Brutales.
Es gibt zwei mögliche Antworten auf die Geschehnisse dieses Tages: Entweder antworten wir mit Liebe. Oder wir antworten mit Angst
Natürlich haben wir jetzt erst einmal Angst.
Angst vor Vergeltungsschlägen.
Angst, dass Amerika panisch reagiert und Afghanistan übereilt angreift.
Angst, dass wir als Nato-Land mithineingezogen werden in den Konflikt.
Angst vor einem dritten Weltkrieg.
Angst aber verursacht Zorn. Und Zorn ist Ausdruck unserer Furcht. Wir fangen selber an, uns Vergeltung zu wünschen, Höchststrafen zu verhängen, Verdammung auszusprechen. Wir fangen an, nach einer gerechten Strafen zu rufen. Aber gerade darum ist die Lage für uns alle jetzt so gefährlich. Weil selbst wir als Christen in unserem tiefsten Herzen anfangen zu hassen.
Wir hassen die Schuldigen selbst.
Die Ideologen und Religionsführer, die sie gegen andere aufhetzen.
Die Terroristen, die sie ausgebildet haben.
Die Staatsmänner, die ihnen Unterschlupf gewähren.
Die Politiker, die uns nicht richtig schützen.
Die Politiker anderer Länder, die in ihrem Land den Frieden nicht zustande bringen, und damit den Weltfrieden gefährden.
Angst also bringt Zorn hervor.
Zorn aber nur wieder neue Gewalt.
Wir tragen aber doch, vergessen Sie das nicht, liebe Gemeinde, wir tragen aber doch in unseren Herzen die feste Erkenntnis - alle miteinander - am Krieg und am Terror ist nichts aber auch rein gar nicht gut. Er bringt nur Angst und Leid, Tod und Trauer, Gewalt und Vertreibung. Darum dürfen wir der Angst und dem Zorn, der Furcht und dem Ärger, keinen Raum geben in unserem Herzen.
Es muss doch auch einen anderen Weg geben! Jesus Christus, der sich selbst als Weg bezeichnet, zeigt uns den anderen, den richtigen Weg. Nicht den Weg der Angst und des Zorns, sondern den Weg der Liebe.
Jesus sagt:
Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.
Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen.
Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.
Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihrer ist das Himmelreich. (Matthäus 5, 4-10)
Jesus hat Recht. Sanftmut und Gerechtigkeit sind die Voraussetzungen für Frieden, Barmherzigkeit und ein ehrliches Herz, Friedfertigkeit und Demut - ja, das sind die Bausteine, auf denen Frieden baut. Jesus hat Recht.
Trotzdem kommen uns seine Worte vor wie von einem anderen Stern. Wie soll das gehen?? Was können wir wirklich tun? Was können wir tun, um Frieden zu schaffen, Frieden zu erhalten?
Wir tun uns furchtbar schwer damit. Selten gehören wir zu denen, deren handeln sanftmütig und gerecht ist, barmherzig und ehrlich, demütig und friedfertig. Im Gegenteil.
Das Klima der Herzen ist kühler geworden in Deutschland. Es geht die Angst um, der andere könnte uns etwas wegnehmen. Der andere könnte einen besseren Job bekommen als ich, mehr verdienen als ich, geschickter und mit einem glücklicheren Händchen an der Börse spekulieren. Die Angst geht um, zu viele Fremde kämen in unser Land, zu viele Green-Cards würden verteilt, zu viele strömten in unser Land, säßen an unseren Tischen, nutzten unser Sozial- und Rentensystem.
Jesus aber sagt: Wovor habt Ihr eigentlich Angst? Seid Ihr nicht alle Gottes Kinder? Kinder, die er liebt, deren Namen er kennt, und die er versorgen und leiten will in eine gute und sichere Zukunft? Wovor haben wir also Angst? Wer soll uns etwas wegnehmen können, wenn Gott uns so reich beschenkt?
Das Klima in unseren Herzen ist kühler geworden, liebe Freunde, so kühl, dass fast schon wieder Krieg herrscht - ein Krieg der Herzen gegeneinander. Es gibt Familien, die sich in unseren Dörfern nicht mehr grüßen, deren Kinder nicht mehr miteinander spielen dürfen, weil sich die Eltern überworfen haben. Es gibt Kollegen in unseren Betrieben, die solange gegeneinander intrigieren, bis einer aufgibt und geht. Es gibt nur noch eins von drei Ehepaaren, die wirklich glücklich miteinander sind. Es gibt Jugendliche, die mit ihrer Zeit nichts mehr anderes anzufangen wissen, als anderer Menschen Eigentum mutwillig zu zerstören.
In unseren Herzen rufen wir heute: Bitte, bitte bloß keinen Krieg! Aber in unseren Straßen und Häusern ist schon lange kein Friede mehr.
Warum? Warum gelingt es uns nicht mehr, den Frieden zu wahren? Weil uns etwas sehr, sehr wichtiges verloren gegangen ist, liebe Freunde und liebe Mitchristen: Unsere Liebe zu Gott. Unser Verantwortungsgefühl gegenüber Gott.
ER hat uns diese wunderschöne Welt anvertraut. ER hat uns das Leben geschenkt und die Liebe in uns erwachen lassen. ER schenkt uns Essen und Trinken, Nahrung und Kleidung, Heimat und Auskommen. Er beschenkt uns täglich so reichlich, spüren wir denn gar nicht, dass uns aus diesem Reichtum, diesem Wohlstand, diesem Glück auch eine Verantwortung erwächst? Eine Verantwortung, dies alles nicht nur für uns selbst zu behalten, sondern auch nach dem anderen zu sehen, dem Notleidenden, dem Flüchtenden, dem Einsamen?
Jesus sagt: Selig sind die Sanftmütigen; denn sie werden das Erdreich besitzen. Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Selig sind, die reinen Herzens sind; denn sie werden Gott schauen.
Im tiefsten Grunde unseres Herzens wissen wir, dass Jesus Recht hat. Und das wirklicher Friede nur dann unter uns Raum gewinnt, wenn wir so werden, wie Jesus es in seinen Seligpreisungen beschreibt. Das aber können wir nur, wenn wir - ein jeder für sich, Ihr Lieben - in unseren Herzen einmal gründlich aufräumen.
Geben wir dem Rassenhass in unseren Herzen keine Chance. Denn jeder Mensch hat den gleichen Wert vor Gott, egal welcher Rasse er angehört.
Geben wir dem Neid in unseren Herzen keine Chance. Denn wer viel hat, kann auch viel abgeben!
Geben wir der Angst vor dem Zu-kurz-kommen in unserem Herzen keine Chance. Denn Gott ernährt und erhält uns, wie sollten wir dann zu kurz kommen?
Geben wir der Gleichgültigkeit in unserem Herzen keine Chance. Denn Gleichgültigkeit macht uns kalt und tot. Wir aber wollen leben.
Ein Mitchrist hat mir dieser Tage gesagt: "Ich fühle mich so schrecklich ohnmächtig! Wir können doch überhaupt nichts machen."
Doch, liebe Gemeinde, wir können sehr viel tun.
Nicht nur um den Frieden beten. Nächsten Sonntag laden beide Gemeinden zum Bittgottesdienst ein. Das ist wichtig - aber auch relativ einfach; denn es braucht dazu nur unsere Gedanken und unsere Worte!
Das andere ist: um den Frieden kämpfen. Das ist genauso wichtig - aber auch um einiges schwerer. Wenn wir den Frieden bei uns selbst suchen. Und zwar aktiv. In unserem Handeln.
Unseren Kindern zeigen, dass es das Wichtigste im Leben ist, einander um Verzeihung zu bitten und einander zu vergeben.
Im Umgang mit einander, vor allem mit unseren Kindern und Jugendlichen, auf jede Form der körperlichen Gewalt verzichten.
Den Jugendlichen zeigen, dass in der Gemeinschaft von Menschen schöner ist als allein am Computerbildschirm.
Den Älteren Menschen ihre Eigenheiten lassen, ihnen Liebe und Zärtlichkeit gewähren, die sie genauso nötig brauchen wie Kinder.
Kinderlärm und Kinderspiele aushalten - andererseits aber auch Kinder zur Mithilfe und zum Pflichtbewusstsein erziehen.
Die Zunge hüten vor bösen, verletzenden oder beleidigenden Äußerungen.
Sich feste vornehmen: nicht nur über Tote, sondern auch über Lebende nur Gutes zu sagen. Und nur die Wahrheit.
Denen die Stirn bieten, die Vorurteile, Urteile oder böses Gerede unter den Menschen weitertragen, und widersprechen.
Sich gegenseitig sagen, dass wir uns lieb haben.
Sich gegenseitig zeigen, dass wir gerne helfen.
Sich gegenseitig zeigen, dass wir jederzeit füreinander da sind.
Wir sind nicht ohnmächtig, liebe Freunde. Wir können unendlich viel tun auf dem Weg des Friedens.
Seit vielen Tagen schon, liebe Freunde und liebe Mitchristen, steht auf meinem Schreibtisch eine Karte des Klosters Maria Laach, mit einem heiteren aber sehr tiefsinnigen Spruch, den ich Ihnen heute gerne ins Herz und in den Sinn schreiben möchte:
Kühlschränke gibt es genug. Feuerstellen brauchen wir!
Liebe Gemeinde, ich bitte Sie heute, an diesem Sonntag nach dem 11. September, der unser aller Leben verändert hat: Haben Sie Mut, die Angst in Ihrem Herzen zu besiegen. Und nehmen Sie dieses Wort mit als Ermutigung für eine friedvollere Zukunft. Lasst Herzenswärme in unseren Taten sprechen. Und Liebe aus unseren Worten. Dann hat die Herzenskälte, der Neid und der Hass keine Chance unter uns. Und es kann Frieden werden. Unter uns. Und mit Gottes Hilfe auch weltweit.
Selig sind die Friedfertigen; denn sie werden Gottes Kinder heißen.
Amen.

Dorothea Zager
E-Mail: DWZager@t-online.de