13. Sonntag nach Trinitatis, 9. September 2001
Predigt über Matthäus 6,1-4 verfaßt von Katharina Coblenz-Arfken

1. Hütet euch, eure Gerechtigkeit vor den Menschen zur Schau zu stellen;
Ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
2.Wenn du Almosen gibst, sollst du es nicht von dir ausposaunen lassen,
wie es die Heuchler in den Synagogen und auf den Gassen tun,
damit sie von den Leuten gelobt werden.
Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin
3. Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen,
was die rechte tut,
4. damit deine Gabe verborgen bleibe; und dein Vater,
der in das verborgene sieht, wird dir`s vergelten.


Liebe Gemeinde,

die kleine Sarah ist zu Bett gegangen und soll noch ihr Nachtgebet sprechen. Statt wie gewohnt zu sagen "Hab ich Unrecht heut getan, sieh es, lieber Gott, nicht an," betet sie: "Hab ich Unrecht heut getan, geht`s dich, lieber Gott, nichts an!"
So denken nicht nur Kinder. Erwachsene stellen es nur oft geschickter an, wenn sie eigenes Fehlverhalten nicht wahrnehmen wollen.

Jesus hinterfragt in diesem Abschnitt der Bergpredigt unsere Gerechtigkeit und damit im Grunde unseren ganzen Lebensstil.
Was ist die Motivation für unser Handeln? Konkret macht das Jesus am Beispiel des Almosengebens. Das Wort "Almosen" stammt noch aus dem Griechischen, wo es "eleemosyne" heißt und "Barmherzigkeit" bedeutet. Wir kennen das aus dem "Kyrie eleison - Herr, erbarme dich". Das Tun der Barmherzigkeit stellt Jesus hier in diesem Kapitel den Ratschlägen für das Beten (Verse 5-14) und Fasten (Verse 16-18) voran.
Das Zusammenleben der Menschen konnte nur funktionieren, wenn es auch die Gaben für die Armen gab. Denn nicht selbstverschuldete Armut kann jeden Menschen treffen, sei es durch Krankheit, sei es durch einen Unglücksfall.
Es steht außer Zweifel, daß wir den Menschen, denen es schlechter geht als uns, helfen, sie auch materiell unterstützen. In dem barmherzigen Samariter, von dem das Evangelium des Sonntags erzählt (Lk 10,25-37) zeigt uns Jesus, wie ein Mensch Barmherzigkeit übt - eben indem er das nächstliegende tut. Die Hilfe ist nicht vorgeplant, nicht berechnet. Der Reisende ist der, der dem Notleidenden begegnet, ihn sieht und das tut, was er kann: Er behandelt die Wunden notdürftig, bringt ihn zum nächsten Krankenhaus, sprich Herberge, und bezahlt die Kosten für die Pflege des Verletzten. Er erwartet dafür keinen Dank. Es kommt darauf an, daß er hilft. Das ist wesentlich. Dazu braucht es kein Gehabe.
Aber schon zur Zeit Jesu muß Wohltätigkeit zum Laufsteg menschlicher Eitelkeiten geworden sein. Wenn ich schon etwas Gutes tue, müssen das doch die anderen sehen. Und es war auch so, wer besonders viel Spenden in der Synagoge oder Bei Fastengottesdiensten öffentlich versprach, der wurde besonders geehrt und durfte z.B. neben dem Rabbi sitzen (U.Luz, Der Evangelium nach Matthäus, Neukirchen 1985, S.323).

Heute lautet die Devise "Tu Gutes und sprich darüber". Ausposaunt werden die guten Taten in Zeitungen, Fernsehshows, Spendenlisten. In der Kirche sucht man nach Sponsoren, die sich dadurch auch einen guten Namen machen können. Besonders eignen sich Glocken dafür, aber auch bunte Kirchenfenster. Etwas sichtbares also.
Genau hier warnt Jesus uns davor, dem Schein zu verfallen. Er ruft uns zur Achtsamkeit, daß wir nicht Schauspieler werden, um vor den Menschen im rechten Licht zu stehen. "Denn Gott, der ins Verborgene sieht, wird es dir vergelten." Gott durchschaut uns, er blickt in unser Herz. Hier ist wieder die Radikalität Jesus zu spüren, die unser Umdenken fordert. Die Quelle dafür ist und bleibt die Liebe Gottes.
Die Menschen, die so mühsam bedacht sind auf die Wirkung ihrer guten Taten, haben wohl wenig von dieser Liebe Gottes verspürt, die ihnen schon längst geschenkt ist. Sie suchen sie am falschen Ort. Das Gesehenwerden von den Menschen kann die Liebe Gottes nicht ersetzen. Im Gegenteil.

Das makabere ist dabei ja, daß es oft inmitten unserer Kirche geschieht, daß wir von unseren Eitelkeiten gefangen werden. Ich erinnere mich wieder an die Fahrt nach Klaipeda im Baltikum. Es war zwei Jahre nach der Wende als ein Vertreter einer reichen Gemeinde aus dem Westen und eine Vertreterin einer ärmeren östlichen Partnergemeinde in ein Dorf bei Klaipeda fuhren um Kontakte zu den Christen dort zu knüpfen. Zur Kirche von Kritingale gehörten mehr als eine Handvoll Christen aber weit weniger als hundert. Sie wollten ihr geschändetes, zweckentfremdet gebrauchtes und zerstörtes Gotteshaus wieder aufbauen. Siebzig Jahre lang stand die Kirche ode als Stall, Munitionslager, Baustoffhandlung.. Das Unternehmen erschien uns hoffnungslos. Meine in den letzten Gottesdiensten gesammelte Kollekte von 600.-DM übergab ich - "viel zu wenig" dachte ich traurig. Meine westlichen Kollegen, der Pfarrer hatte noch einen finanzkundigen Fachmann mitgebracht, übergaben vorsichtshalber nichts, sie wollten erst einmal sehen, ob daraus etwas würde. Wenn der Bau vorankommt, dann wollten sie gern ganz gezielt für ein Kreuz oder einen Altar spenden.
Zu dieser Spende kam es nicht, wohl aber zur Einladung zum Einweihungsgottesdienst dieser Kirche nach zwei Jahren. Die Christen in Kritingale hatten ihre Kirche gemeinsam wieder aufgebaut - vielleicht ganz ohne Spenden, denen man ansah, woher sie kamen und wo die Spender vermerkt waren.

Das zweite Beispiel ist noch nicht lange her, da trug der Pfarrer des Ortes die Jacke mit der großen Aufschrift Notfallseelsorge - obwohl, wie sich später herausstellte, er überhaupt keinen Dienst hatte. Wollte er gesehen werden? Aber als bei der Veranstaltung am Abend ein Kirchenbesucher ohnmächtig wurde, der Rettungswagen bestellt und der Hilfsbedürftige hinausgetragen werden musste, rührte er sich nicht. Er bekam es einfach nicht mit.
Nimmt uns vielleicht unsere Eitelkeit so gefangen, daß wir nicht mehr das nächstliegende sehen? Man spricht heute von Imagepflege, das Bemühen um das eigene Ansehen, das sehr viel Kraft kostet.
Wie entlastend klingt da der Rat Jesu, daß die linke Hand nicht wissen soll, was die rechte tut.
Die "linke Hand", ist ja die Hand auf der Seite des Herzens, symbolisch gesprochen die Hand der mütterlich bergenden Liebe. Alles Handeln und Leben aus dieser Quelle braucht keine zu Schaustellung. Diese zerstört sie. Die Liebe als die Kraft im Verborgenen wirkt weiter als wir mit unserem Verstand begreifen mögen.
Gott, der ins Verborgene sieht, ist ja auch der Gott, der uns aus Liebe ins Leben gerufen hat.
Wenn wir in dieser Liebe bleiben und aus ihr handeln, dann haben wir den Lohn bei Gott und sind unabhängig vom Beifall der Menschen. Alles Berechnen und Vergelten wird überflüssig.
Ignatius von Loyola sagt in seinen viel gelesenen geistlichen Übungen: "Jene Liebe, die mich bewegt und das Almosen geben läßt, soll von oben herabsteigen, von der Liebe zu Gott." (Geistliche Übungen, Leipzig 1978, S.143) Dann strahlt Gott auch aus unserem Leben wieder und das Tun der Barmherzigkeit bleibt eine Sache des Herzens.

Liedvorschlag EG 82,7 "Laß mich an andern üben,
was du an mir getan;
und meinen nächsten lieben,
gern dienen jedermann
ohn Eigennutz und Heuchelschein
und, wie du mir erwiesen,
aus reiner Lieb allein.
Justus Gesenius 1646


Katharina Coblenz-Arfken
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