10. Sonntag nach Trinitatis, 19. August 2001
Predigt über Jeremia 7,1-11, verfaßt von Matthias Opitz

Liebe Gemeinde,

"Bessert Euer Leben!" wie ein Paukenschlag dröhnen diese Worte des Propheten uns heute morgen entgegen. Hoffentlich haben Sie gut gefrühstückt, liebe Gemeinde, damit Sie solche scharfen Angriffe nicht auf nüchternen Magen schlucken müssen.

Der prophetische Text schießt heute Morgen nämlich scharf in unsere Ohren. Keine Platzpatronen, sondern schwere Geschütze hat Jeremia aufgefahren, um uns reichlich Salz in die Gottesdienstsuppe zu streuen.

Da möchte man auch als Prediger lieber in Deckung gehen und die Worte über sich hinwegdonnern lassen. "Wie kannst du uns so beschimpfen?" Möchte man dem Predigttext entgegentreten. "Wie kannst du diese Gottesdienstgemeinde nur so verschrecken?"

Wir Pastorinnen und Pastoren reden lieber von dem freundlichen Gott, der gutmütig den Menschen Geborgenheit schenkt. Solche Strafgerichtsworte wollen uns darum nicht so leicht über die Lippen. Doch es hilft alles nichts! Alle Gegenwehr bricht vor dieser Prophetenrede in sich zusammen. Wir müssen uns diesem Wort stellen.

Wir werden nämlich der Wirklichkeit Gottes nicht gerecht, wenn wir uns nicht auch seinem Zorn aussetzen. Darum, liebe Gemeinde: Heraus aus der Deckung und der Wirklichkeit des Wortes Gottes ins Auge gesehen! Vielleicht steckt in dieser unmissverständlichen Klarheit eine heilsame Kraft? Doch wir wollen uns den Worten vorsichtig nähern. Sozusagen über einen historischen Schleichweg: Wir wollen zunächst einen Blick auf die Zeit werfen, als diese Rede zum ersten Mal die Hörer erreichte. Gehen wir also zurück in das Ende des sechsten Jahrhunderts vor Christus. Gehen wir hinein in die laute und lebendige Stadt Jerusalem. Sehen wir, wie die ersten Pilger den Weg zum Gottesberg aufsteigen, in froher Erwartung eines herrlichen Gottesdienstes.

Unheimliche Zeiten waren das damals: Kriege hatte es gegeben. Das Assyrische Großreich war zusammengebrochen. Ägypten hatte Juda geschlagen. Der beliebte König Josia war gefallen. Doch die Mauern der Stadt waren noch intakt. Der Tempel stand wie ein Fels in der Brandung. Der Herr der Heerscharen wohnte also noch in Mauern. Gerade in dieser unruhigen Zeit war der Anblick der leuchtenden Tempelmauern über der Stadt ein Trost für die Jerusalemer Seelen. So zogen die Leute hinauf, um sich durch die Schönheit des Gottesdienstes wenigstens ein bisschen beruhigen zu lassen. Die Zeiten waren verrückt genug.

Doch dort am Eingang des Tempels stand ein Mann. Seine Augen blitzten. Seine Worte waren: Heuchelei warf er Ihnen vor. Drohend malte er ihnen den Untergang des Tempels vor Augen. So wie damals das Heiligtum von Silo, so sollten die Mauern des Tempels zerbrechen. "Und ich will euch von meinem Angesicht verstoßen, wie ich verstoßen habe alle Eure Brüder, das ganze Geschlecht Ephraim!" Die Leute wussten noch aus Erzählungen vom Schicksal der Einwohner im Norden Israels: Von der Verwüstung ihres Landes, der Deportation und der Zerstörung ihrer Städte. Davon erzählte man sich Heute noch. Ein Schaudern fuhr durch die Menge. Die schöne Sicherheit eines glanzvollen Morgens war dahin- die Stimmung verdorben.

Liebe Gemeinde, wenn Heute jemand so in den Fußgängerzonen unserer Städte rufen würde, niemand würde sich darum scheren. "Wieder so ein Spinner! Würden wir sagen und weitergehen. Doch damals hatten Worte Macht: Gottesrede und Fluch lagen dich beieinander. Nie konnte man wissen, ob nicht doch das Wort Gottes hier zu hören war, ob dieser Mann nicht doch ein Prophet sei. Bohrende Fragen stellten sich.

Kein Wunder, dass man versucht hat, den Jeremia zum Schweigen zu bringen. Gar zu beunruhigend war seine Rede. Sie ließ keinen Ausweg offen und keine Entschuldigung gelten. "Ändert euch! "Verbessert Euer Leben!" Eine andere Möglichkeit gab es bei ihm nicht.

Heute, liebe Gemeinde, Heute im nachhinein wissen wir: Seine Drohungen sind wahr geworden. In zwei wahnwitzigen Aufständen lehnten sich die Jerusalemer gegen die übermächtigen Großmächte auf. Schließlich wurde die Stadt geschliffen, der Tempel dem Boden gleich gemacht. Der Glanz Salomos versank in Schutt und Asche. Die Worte Jeremias sind also ganz und gar eingetroffen. Nicht gerade beruhigend finde ich.

"Aber Heute sind doch ganz andere Zeiten!" Mögen manche nun denken. "Was haben diese Reden mit uns zu tun? Wir brauchen uns doch hier nicht beschuldigen zu lassen!"

Sicher, liebe Gemeinde, die Stimmen der Mahner und Warner sind leiser geworden: Wer will schon noch die Ökos mit ihren miesepetrigen Warnungen hören? Das ewige Gerede von der zunehmenden Ausländerfeindlichkeit mögen viele auch nicht mehr haben. Auch, dass jüdische Mitbürger sich wieder fürchten müssen. "Was können wir hier schon daran ändern?" Sagen viele und wollen sich nicht länger beschimpfen lassen."Bessert Euer Leben und euer Tun, dass ihr recht handelt einer gegen den anderen!"

Doch die Worte des Propheten geben keine Ruh. Sie kriechen in unsere Gehörgänge und wirken weiter. Sie stellen Fragen. Fragen, die ich nicht so leicht wieder loswerden kann: Fragen nach der Einheit von Glauben, Reden und Handeln:

"Was tust du, um die Würde der Menschen zu schützen in diesem Land? Du sagst doch immer, dass Gott allen Menschen gleichen Wert schenkt! Was tust du, um die Erderwärmung aufzuhalten? Du sagst doch immer, "Gott hat uns die Erde anvertraut!" Was tust du, damit die Aidswaisen in Afrika in Würde leben können? Du bist doch für Gerechtigkeit?" Solche Fragen kriechen mir über das Gewissen. Aufgeweckt von den Worten des Propheten stiften sie Unruhe in meiner Seele. Heilsame Unruhe?

Und dann steigen Zweifel auf: "Bist Du Dir so sicher, dass Gott noch mit dieser Kirche ist? Mit einer Kirche, die fast gänzlich geschwiegen hat, als unter dem Nationalsozialisten die Menschen des auserwählten Volkes aus ihren Häusern gezerrt und ermordet wurden? Ist Gott noch mit einer Kirche, die sich Heute mehr Sorgen um ihre finanziellen Grundlagen, als um ihre Glaubwürdigkeit macht?"

Liebe Gemeinde, unangenehme Zweifel melden sich. Die reiben wie Sand auf der Haut. Die machen unsicher und unruhig. Doch ich glaube: Diese Unruhe erweckt unsere Gewissen. Diese Unruhe erwächst aus dem Wunsch, Glauben, Reden und Handeln mögen übereinstimmen.

Niemand braucht auf Dauer Menschen, die bloß schön daherreden können. Wir brauchen Glaubwürdigkeit. Leute, die ernst machen mit ihren Worten. Solche Leute sollten wir sein! Solche Leute will auch Gott haben. Sind wir solche Leute?

Sehen Sie! Und darum treffen die Worte des Propheten Jeremia auch Heute noch unser Herz! Denn die packen uns bei unserem eigenen Anspruch: Wir selber wollen doch keine Windeier sein, die ihre Meinung nach der Stimmung wechseln und zwar schön reden aber anders handeln!

Ich selber ertappe mich immer wieder dabei, wie ich die Kluft zwischen meinen Glauben und meinen Taten mit vielen Erklärungen zu überbrücken suche. Diese Brücke reißt nun Jeremias mit seiner Rede einfach weg! Er lässt keine Erklärung gelten. Sondern er stellt sich mir heute Morgen in den Weg und fragt mich, wie ich so mit meinem Leben überhaupt in der Kirche vor Gott treten kann: "Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle? Siehe, ich sehe es wohl! , Spricht der Herr!" Vor diesen Worten muss ich auch Heute noch mein Haupt senken. Die Worte des Propheten nehmen mir die Sicherheit in dieser Kirche. Dass ich hier stehen kann, ist nicht selbstverständlich: Da sind zu viele faule Kompromisse, zu viele Zugeständnisse, zu viele Sorgen und zu wenig Vertrauen in Gott. Kann ich so vor Gottes Angesicht treten?

Liebe Gemeinde, der Tempel von Jerusalem wurde zweimal zerstört. Doch Gott hat an seinem erwählten Volk festgehalten. Auch jetzt in dieser schwierigen Zeit.

Die Kirche hat in ihrer Geschichte fast immer vor dem Anspruch der Glaubwürdigkeit versagt. Doch ich glaube, Gott lässt auch seine Kirche nicht los. Denn Gott ist ein gütiger Gott. Er will bei den Menschen bleiben, damit sie den Mut nicht verlieren, damit sie ihr Leben bessern können.

Doch manchmal ist ein kräftiges Gewitter hilfreicher als ein lauer Nieselregen. Der kalte Schauer erfrischt und reinigt die Luft. Das Donnern und Blitzen weckt die Sinne. Und wir gehen wacher durch die Welt. Sehen wieder klarer, was nicht stimmt und suchen nach Wegen unser Leben zu verbessern.

Solch ein Donnerwetter sind die Prophetenworte des Jeremia auch Heute noch. Ich denke es ist gut, das wir sie hin und wieder hören, damit wir aus unserer Müdigkeit befreit werden und uns so sehen, wie wir wirklich sind. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Homiletische Entscheidungen:
Die bedrohlichen Ermahnung des Jeremias zur Glaubwürdigkeit, zur Einheit von Handeln und Glauben sollten nicht entschärft werden. Ich gehe als Prediger den Weg, dass ich mich von diesen Worten distanziere und deutlich mache: Dies sind die Worte eines Propheten. Gesprochen vor etlichen Hundert Jahren. Gleichzeitig stelle ich mich aber als modellhafter Hörer des Wortes zur Verfügung indem ich beschreibe, welche Wirkung diese Mahnungen in mir entfalten. Daran sollen die Hörer erfahren, in welcher Weise diese Rede auch heute noch unsere Gewissen schärfen kann. Die Angriffe des Propheten können und sollen uns auch heute noch verunsichern, aber sie kommen doch von einem Gott, der die Seinen nicht loslässt. An dieser Stelle entschärfe ich doch die Drohungen Jeremias. Den Israelsonntag streife ich nur am Rande, indem ich das Wunder benenne, dass Gott nach der Zeit 33- 45 immer noch an seiner Kirche festhält.

Matthias Opitz
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