2. Sonntag nach Trinitatis, 24. Juni 2001
Predigt über Jesaja 55,1-5, verfaßt von Elisabeth Tobaben

Vorbemerkungen

Liebe Gemeinde!
Leben aus erster Quelle - heilendes Wasser aus dem Tal der spudelnden
Quellen.
"
Ein Vater halt zärtlich sein kleines Kind im Arm.
Beie strecken vor einem strahlend blauen Himmel lachend und fröhlich ihre
Hand aus nach der großen grünen Flasche mit dem typischen roten Quellenkreuz.
Sie versuchen, die Tropfen zu fassen zu kriegen, die wie eine Fontaine auf sie
herunterfallen. Sprudelnde Quelle.
Das ganze überlebensgroß auf einer Reklame-Plakatwand: Werbung fur Pyrmonter Mineralwasser.
"Leben aus erster Quelle ?"
Mineralwasserfirmen scheinen sich im Augenblick darin überbieten zu wollen, die Vielschichtigkeit des zu stillenden Durstes auszumalen.
Es geht (natürlich?) immer um viel mehr, als nur um Wasser zum Trinken.
Lebensdurst soll gestillt werden.
Gesundheit und Heilung wollen die Badeorte verkaufen, Lebensqualität - und
Zukunft.
Und deswegen greifen ihre Webagenturen in raffniertester Weise Fragen auf, die z.B. gerade Kurpatienten häufig tatsächlich stellen;
Grundsätzliche Fragen sind das oft, Fragen nach dem Leben, seinem möglichen Sinn, nach Zielen und Hoffnungen.
Verschlüsselt manchmal, vielleicht sogar ohne sich schon so ganz über dieTragweite der eigenen Frage im Klaren zu sein.
Die besondere Situation trägt dazu bei - ich beobachte es auch bei mir selbst
und anderen-: Ich frage wirklich anders, wenn meine gewohnten Lebenszusammenhänge zerbrechen, alte Erklärungsmuster nicht mehr tragen oder ich nicht (mehr) ausreichend deuten kann, was (mit) mir geschieht.
Und wenn ich dann noch viel Zeit für mich habe, wie etwa bei einer Kur, dann
kann es schon sein, daß mit dem Wasser der Anwendungen auch die Seele
wieder in Fluß kommt.
Woher die Kräfte nehmen, alles noch einmal neu zu gestalten fragt sich manche und mancher, wo die Energie hnden, mich noch einmal umzuorientieren?
Und Überhaupt: welche neuen Ziele soll ich ansteuern, was vielleicht auch
zurücklassen und aufgeben?
Von welchen liebgewordenen Gewohnheiten kann oder muß ich mich trennen?
Nicht nur in der Kur, auch im ganz normalen Alltag können immer wieder solche extremen Fragesituationen auftreten, das wissen wir alle.
Auch Jugendliche fragen oft nicht viel anders, wenn eine Prüfung droht oder eine Klassenarbeit doch nicht so gelingt wie erwartet, sich das Studienfach oder die Lehre als doch nicht ganz so interessant oder für mich geeignet herausstellt oder der Stoff immer unübersichtlicher wird...oder auch sonst tauchen Fragen auf besonders an Punkten, wo es um die Entscheidung geht:
-weitermachen oder abbrechen?
-Wieviel Zeit brauche ich für Familie und Freunde?
- bleibt 'nebenbei' die Zeit, mich politisch, sozial zu engagieren? ln Partei, Verein oder in der Kirche?
Grundsatzfragen tauchen vielleicht auch auf, wenn ich Überlege:
Was mache ich jetzt mit zurückliegenden Erfahrungen, gerade auch wenn ich mich an Erfolge und ganz gut gelungene Aktionen erinnere und merke: es läuft nicht mehr so, ich schaffe das alles nicht mehr?
Anders gefragt: Wie kann ich leben mit den Brüchen in meiner Biographie, wie
mit dem, was ich eigentlich als “Umwege" empfinde?
Wenn ich etwas Neues anfange, war dann das Bisherige alles umsonst?
Leben aus erster Quelle -
manchmal scheint es so versteckt wie das rettende Lebenswasser im Märchen,
das auch erst nach einer langen Reise und unter Bestehen vieler Abenteuer
gefunden werden kann und dann immer noch gefährdet ist, bis es auf genauso
abenteuerlichen Wegen nach Hause gebracht und getrunken werden kann...
Wenq ich Jesaja und seinen Visionen glaube, ist ja eigentlich ist alles ganz ein
fach.
"Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser" sagt Jesaja.
Es ist alles da, ich brauche nur zu kommen, die Mangelerfahrung ist zwar unangenehm, wird gleich wieder aufgehoben, denn der Durst kann ja gestillt werden!
Umsonst! einfach so!
Ich muß gestehen, das geht mir zu schnell, und es kommt mir auch so zu einfach vor!
Denn was mache ich mit meiner gegenwärtigen Erfahrung?
Was mit Durst und Sehnsucht, die mich jetzt, heute quälen?
Ich wittere -zumindest die Gefahr- einer fundamentalistischen schwarz-weiß Malerei, einer Vertröstung auf die irgendo in weiter Ferne liegende bessere Zukunft.
Deswegen möchte ich lieber noch einen Moment bei dem starken Bild bleiben,
das Jesaja da gebrauchtl
Durst - der kann schrecklich sein, schon ein heißer Sommertag oder eine lange Wanderung lassen das vorstellbar werden.
Unter der sengenden orientalischen Sonne sowieso, und gar in der Wüste!
Wenn man die Fotos anguckt von unserer letzten Wüstenwanderung im Sinai, dann ist auf fast jedem Bild jemand mit einer diesen großen Plastik-Wasserflasche zu
sehen. Man muß viel mehr trinken unter solchen klimatischen Bedingungen, als man manchmal selber glaubt!
"Mir klebt die Zunge am Gaumen vor Durst", sagen wir ja auch, und begreifen, daß ohne
Wasser unsere Existenz höchst bedroht ist.
Wasser ist lebensnotwendig.
Übrigens: das hilft mir auch, die Taufe besser zu verstehen!
Lebensnotwendig wie das Symbol, mit dem wir sie vollziehen, ist auch die Beziehung zu dem lebendigen Gott für mein Leben.
"Lebensdurst- Sehnsucht nach ganzem, erfülltem Leben" - das kann auch anstrengend werden.
Vielleicht unterstellt man diesen Lebensdurst deswegen meist (ein bißchen abfällig) Menschen, die sich keine Ruhe gönnen können, die alles mitnehmen wollen, auf tausend Hochzeiten gleichzeitig tanzen müssen und sich vor Aktionismus Überschlagen.
So, als wäre er vermeidbar, überflüssig und etwas Negatives, dieser Lebensdurst.
Aber täuschen wir uns da nicht?
Muß diese Sehnsucht nach ganzem Leben nicht sogar in jedem und jeder von uns angelegt sein?
Wie konnten wir sonst überhaupt ansprechbar sein für Gottes lebendmachendes
Wort, wenn wir nicht diese Sehnsucht in uns hätten?
Die Ausformungen mögen ja ein bißchen verschieden sein je nach Typ und Charakter, nach Stand der Lebenserfahrung und erfahrener Prägung.
Wie lebendig wir aber diese Sehnsucht in uns sein lassen, das ist eine andere Frage!
Natürlich konnen wir versuchen, sie einfach nicht mehr wahrzunehmen, sie zu
ersticken in uns, zuzudeckeln, wegzustecken. Nur nicht so genau hingucken.
Aber auch verschüttete Quellen suchen sich eben doch manchmal den Weg an
die Oberfläche.
Sie können wieder ausgegraben werden, wir müssen nicht auf den Zufall warten.
Jesaja jedenfalls setzt den Durst einfach voraus, geht so herrlich selbstverständlich davon aus, daß Leben so funktionieren, so gelingen kann, wie Gott es gemeint hat.
Eine große Vision, ein Zukunftstraum!
Ich würde schon auch gern so träumen können, die Kräfte spüren, die aus diesen
Träumen kommen, die Verwandlung wahmehmen, die sie schaffen.
Wie das gehen kann?
"Neigt eure Ohren her ... höret, so werdet ihr leben!" sagt der Profet.
Worte, göttliche Worte, die den Durst der Seele stillen, wenn ich sie in mich aufnehme - wie das Wasser - und sie in mir wirken lasse.
Seinen Bund bietet Gott an, er will in Beziehung treten zu seinen Menschen, zu mir,
zu uns - höre ich - und staune!
Vielleicht ein bißchen so, wie es der Mensch auf dem Bild versucht (Skulptur von Toni Zenz: Der Hörende, in der Pax-Christi-Kirche in Essen):

Der ganze Mensch ist zum Hörenden geworden.
Die Hände hat die Gestalt wie riesige Ohrmuscheln hinter den Kopf gelegt.
Die hoch aufgerichtete gerade und schmale Form, alles ist auf das eine Ziel ausgerichtet.
Die Augen kommen mir sehr nach innen gewandt vor, sie nehmen zugleich auch
über sich etwas wahr. Sie leuchten richtig.
Was mögen sie sehen da oben?
Der Mund ist geschlossen, wirkt fest und entschlossen, fast, als würde der Mensch
vor Spannung die Luft anhalten.
Er horcht in sich hinein und nach draußen.
Nichts scheint die Figur mehr ablenken zu können.
Sie ist "ganz Ohr³. Eingetaucht in Klang.
Konzentriert und gesammelt.
Sie zeigt, daß es um mehr geht als den reinen Hörvorgang, so wichtig er ist als
Voraussetzung.
Ich muß auch verstehen. was an mein Ohr dringt, Laute einer fremden Sprache, die
ich nicht kann, werden mir unverständlich werden, auch wenn ich sie gut hören
kann.
Es geht um mehr, beide- Jesaja und der Künstler stellen einen Menschen dar, der
sich ganz öffnet für Gott.
Jetzt geht es darum, offen zu sein und bleiben für das, was von Gott kommt, es mit
allen Fasern aufzunehmen, mit Gedanken, Verstand und Gefühlen zu umkreisen.
Immer wieder zu trinken von der Quelle des Lebens.
Annehmen. Mich beschenken lassen.
Umsonst, damit nicht alles umsonst ist:
Leben aus erster Quelle.

Amen.

Vorbemerkungen:
Allgemein anerkannt ist, dass V.1-2 das Bild eines orientalischen (Wasser)-händlers zu Grunde liegt. Inhaltlich geht es in der Profetenrede um den immerwährenden Bund, den Gott mit seinem Volk schließt. Jahwe wird in diesem Zusaammenhang als Quelle des Lebens ausgerufen. In der Theologie Deuterojesajas beinhaltet die Zusage des Bundes auch die Rückkehr aus dem Exil und die Wiederaufrichtung Israels, so dass man von einem "neuen Heilsgeschehen" sprechen kann (v. Rad). Ab V. 4 kommt als weiteres Motiv die Wirkung Israels auf die Völker hinzu. Israel wird zum Zeugen durch das, was ihm geschieht, und die Völker werden kommen und zu Jahwe laufen (V.5) Gnaden Davids:
So wie man bereits in der Geschichte das Eintreffen der Verheißungen Jahwes beobachten kann, so kann auch das Vertrauen wachsen in die Weissagung des Neuen.

Pastorin Elisabeth Tobaben, Moringen
E-Mail: elisabethtobaben@t-online.de