Pfingstmontag, 4. Juni 2001
Predigt über Johannes 4,19-26, verfaßt von Hartmut Jetter

Ein Gespräch am Brunnenrand "über Gott und die Welt".

Eigentlich wollte sie ja nur Wasser holen, Wasser aus dem Brunnen mit dem Namen des Erzvaters Jakob. Doch - bereits der Gang der namenlosen Frau mit dem Krug auf dem Haupt war ungewöhnlich: Wer geht auch schon bei der Gluthitze des Mittags zum Brunnen? Nur jemand, der anderen Leuten aus dem Weg gehen will - und dem Geschwätz. Doch gerade dazu kommt es: Ein fremder Mann. Er spricht sie an, ganz ungeniert. Er verwickelt sie in ein Gespräch und am Ende lässt sie den Krug stehen. Der ist nun nicht mehr interessant. Interessant ist nur noch der Eine, der von sich sagte: Ich bin's. Wahrhaftig! Da ist sie doch dem Messias begegnet, wiewohl sie es eins so gelernt hat: Der kommt später, zu seiner Zeit. Aber, mit eigenen Ohren hat sie es gehört: "Ich, ich bin's". Dieses Aha-Erlebnis trägt sie mit fliegenden Füßen in ihr Dorf: Der Mann draußen, der hat mir alles (über mich) gesagt: die ganze und volle Wahrheit. Zuerst über den Durst und über das Wasser. Das lag ja nahe. Denn der Fremde hatte Durst und die Frau war hilfsbereit. Er aber überraschte sie mit dem Ausspruch vom "lebendigen Wasser". Gute Frau! Das Brunnenwasser hier ist einwandfrei und schmeckt wundervoll. Aber wer davon trinkt, wird wieder durstig, durstig nach Leben. So trinke doch von mir! Ich habe und ich geben "lebendiges Wasser".

Ein bisschen schwere Kost für die einfache Frau. Also: Themenwechsel - etwas näher am Leben, an ihrem eigenen. Über ihren Mann, pardon: ihre Männer. Ja, damit scheint sie bislang weniger zurecht gekommen zu sein. Ein wunder Punkt. Nun so plötzlich, aus heiterem Himmel, und noch so überdeutlich? Außerdem, was geht es ihn an? Ach, reden wir doch lieber von etwas Unverfänglicherem.

Etwa - wie hast du's mit der Religion? (Goethes Gretchen lässt grüßen!) Genauer: mit der von uns Samaritern und der von euch Juden. Hier setzt unser Predigtabschnitt ein. Die Frau benennt ein offenes Problem: Wo betet unsereins recht? Wir und unsere Väter sagen: hier, auf diesem Berg (und wir dürfen gerne einfügen: Sie deutet dabei mit ihrer Hand hinüber zum Berg Garizim). Kurzes Innehalten, und dann: Ihr Juden sagt: Nein, Jerusalem, die Stadt des großen Königs David und in ihr der Berg Zion - das ist der Ort der wahren Anbetung. Ich frage dich: Bitte - wo? Es kann doch nicht zwei Wahrheiten geben!? Du bist ein Prophet, das sieht man dir an, du weißt es genau.

Die wahren Anbeter

Beredtes Schweigen, denn: "Anbeten", dass also ein Mensch vor seinem Gott kniet und zu ihm betet, das versteht sich doch von selbst. Damals jedenfalls. Für ihn, den Juden wie für sie, die Samaritanerin. Hingegen die Frage nach dem richtigen Wo und dem rechten Was - die stellt sich beiden und wird in beiden Völkern verschieden beantwortet. Bis jetzt. Doch: Liebe Frau, laß dir etwas sagen - "schon jetzt" ist die Zeit, da sich diese Frage nicht mehr stellt. Es gibt keinen Vorrang eines bestimmten, privilegierten "allerheiligsten" Ortes - so wie etwa Mekke für Muslime oder auch wie mancher Wallfahrtsort. Es gibt keinen Alleinanspruch, wie ihn die Juden euch Samaritanern gegenüber reklamieren. Vielmehr wird es "schon jetzt", aber erst recht in zukünftigen Zeiten darauf ankommen, dass Menschen - egal wo sie herkommen, ob aus dem gesetzestreuen Judentum oder einem vom Gesetz abgefallenen oder aus irgend einem anderen Volk dieser ganzen von Gott geliebten Welt - dass sie den Vater anbeten "im Geist und in der Wahrheit" ist entscheidend.

Mit einer solchen Lektion hat er natürlich seiner Gesprächspartnerin einiges abverlangt. Das können wir auch heute noch nachempfinden. Auch wenn er das Gesagte noch einmal wiederholt - das geht über ihren Horizont. Hier erscheint eine Religion mit einem völlig neuen Koordinatennetz. Doch so viel hat sie begriffen: Der Fremde ist mehr als ein Prophet! Sie denkt jetzt nur noch an den Einen, auf den sie alle warten, die in Jerusalem ebenso wie die in Samarien: den Messias. Niemand anders wird diese grundstürzende Revolution von Glaube und Spiritualität bringen wie Er. Und damit greift sie nicht ins Leere, sondern ins Volle: "Ich, ich bin's, der mit dir redet."

Nachlese zu Pfingsten, zum Fest des Heiligen Geistes

Die Geschichte von Johannes 4 ist damit noch nicht zu Ende. Da passiert noch mancherlei. Aber für unsere "Nachlese" auf das Pfingstfest 2001 mag das genügen. Stoff genug für ein erneutes "Brunnengespräch". Ich entwerfe ein anderes, mögliches Szenarium:

Ein Prediger setzt sich beim heutigen "Gottesdienst im Grünen" - traditionell beliebt am zweiten Pfingsttag - so ähnlich auf einen Brunnenrand. Ich habe dabei einen besonders schönen und einzigartig zur Sammlung einladenden Ort im Visier - die Brunnenkapelle im Kreuzgang des Benediktinerklosters Blaubeuren am Südrand der Schwäbischen Alb nahe Ulm. Oder noch ein anderes Zwiegespräch im IC zwischen - sagen wir - Würzburg und Kassel - richtig: wo es so viele und lange Tunnelstrecken hat. Das moderne Brunnengespräch mag auch mit "Wasser" beginnen, mit den vielen Regentagen, dem letzten Hochwasser oder auch mit irgend einem Brunnenwasser von Bad Kissingen oder Bad Salzuflen oder anderswo. Unversehens aber kommt das Gespräch bi den "neuen Werten" an, bei Männergeschichten von Frauen oder Frauengeschichten von Männern. Doch am Ende, gerade rechtzeitig noch, landet es beim lieben Gott und bei der Kirche. "Ach ja - sie wissen schon - mit ihr habe ich so meine Schwierigkeiten - aber glauben sie mir: Beten tue ich - noch. Und denken sie nur: es hilft!"

Ja gewiß - es wäre nun etwas mühevoll, auf unser Kapitel aus Johannes umzusteigen. Aber - schlecht wäre es auch nicht, wenn wir jetzt "die Kurve kriegten" und mit unseren Hörern oder Gesprächspartnern ein Stück weit die "Anstrengung des Begriffs" wagen könnten. Etwa: Was hätte es denn heute mit der Formel "Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit" auf sich? Wie bringen wir das heutzutage "auf die Reihe"? Ahnen wir wenigstens, dass uns hier ein "Schlüsselwort der Heiligen Schrift" (Wilhelm Stählin) begegnet?

Man kann lange darüber rätseln, wie es zu verstehen und wie es für heutige Predigthörer übersetzt werden kann. Viel leichter ist es, sein Missverständnis aufzuzeigen. Denn allzu flink sind Protestanten dabei zu sagen: Das ist das Ende aller Institutionen in Sachen Religion und Kirche. Äußere Formen, aber auch so eine Frage wie die nach dem "richtigen", "besseren", "einzig wahren" Ort, nach der rechtgläubigen Liturgie, nach den korrekten Gebärden, Riten und Stilformen - all das ist doch in dieser Religion der rein "geistigen Gottesverehrung" von untergeordneter Bedeutung. Gebete z.B., aus Büchern vorgelesen, die "liegen doch daneben". Allein das freie "Beten des Herzens" entspräche diesem "Gott ist Geist". "Ein einziger dankbarer Gedanke gen Himmel ist das vollkommene Gebet" kann G.E. Lessing sagen.

Vergeistigung gegen Verweltlichung?

Doch alle Mühe von Aufklärung und Idealismus zur "Vergeistigung" von evangelischer Theologie und Frömmigkeit sind eingeholt worden von gegenteiligen Denkströmungen (etwa der Romantik) und gegensätzlichen Erfahrungen (etwa es sei allzu kindisch, wenn der Glaube auch der Bilder, der Räume, der Riten und der Bücher bedarf). Als wir - um nur diese eine Erfahrung zu nennen - nach dem Krieg in unsere Städte zurückkehrten und u.a. auch vor den Ruinen unserer Dome und Kapellen standen, da kam niemand auf die den Gedanken: Das ist die Stunde von Johannes 4, Vers 23 und 24. Wer wird jetzt noch einmal beginnen, Kirchen zu bauen? Laßt uns Gottesdienst feiern ohne! Ohne Orgeln und Kreuze, ohne Kniebänke und Glocken. O nein! Das Gegenteil! Noch bevor wir unsere Wohnhäuser wieder hochgezogen hatten, haben wir auch unsere Gotteshäuser wieder hingestellt. Daß wir ohne alle Räume und Stätten des Gebets unseren Gott feiern und anbeten - das kann nicht Ziel und Ende einer "Anbetung im Geist und in der Wahrheit sein."

Im Geist der Liebe Jesu

Doch wie dann? "O heiliger Geist ... erleucht uns durch dein göttlich Wort!" (EG 131, 4). Diese pfingstliche Bitte hieße, auf Johannes 4 bezogen: Die Formel aus ihrem Zusammenhang im Ganzen des Johannes-Evangeliums zu verstehen: "Im Geist beten" - das kann nichts anderes heißen als: Im Geist Jesu beten. Im Geist der von ihm verkündigten und gelebten Liebe, der Gottesliebe und der Bruderliebe. Der Vater, der den Sohn gesandt hat, ist durch den Sohn unser aller Vater. Nur als solchen beten wir ihn "in Wahrheit" an. Die Liebe zu Christus und zu den Schwestern / Brüdern "im Herrn", die macht unser Gebet zur "wahren Anbetung".

Im Geist der Wahrheit

In keinem anderen Buch des Neuen Testaments ist das so klar zu lesen: Die Wahrheit ist eine Person, keine Doktrin. Er selbst sagt es: "Ich bin der Weg und die Wahrheit ..." (14,6). Das klingt zwar fremdartig. Dafür steht die Figur des Pontius Pilatus mit seiner skeptischen Frage "Was ist Wahrheit?" Er kann sich da schwer hineindenken, dass "die Wahrheit" in Person vor ihm steht. Aber er ist es, der die ganze und volle Wahrheit über den Menschen kennt und bezeugt: "Wer Sünde tut, der ist Knecht der Sünde. ... Wenn euch der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei." (8, 34.36) Oder, in der Gebetssprache Luthers: "Hilf uns, lieber Gott, die Wahrheit erkennen und annehmen, die Wahrheit unserer Schuld und die Wahrheit deiner Gnade".

Das klingt dogmatisch, d.h. weltfremd, und es steht auch bei Christen derzeit nicht allzu hoch im Kurs. Auch weichen viele Theologen an diesem Punkt aus und sagen: Ja, das ist eben Paulus und Augustin und Luther. Die Tiefe unserer Trennung von Gott wird in der Verkündigung vieler Sonntagspredigten sträflich unterschätzt. Es dient aber nie der Wahrheit des Evangeliums, wenn wir auf diese Wahrheit verzichten oder sie verharmlosen. Recht pfingstlich zu bitten, hieße vielmehr: "Heiliger Geist! Mache uns bereit, die Wahrheit zu hören: nicht wie wir sie haben möchten, sondern wie sie ist". Der Geist Gottes ist es, der uns in alle Wahrheit leitet. Dafür steht Johannes 4 mit seiner Geschichte vom "Brunnengespräch" mit der Frau aus Samarien.

Daran weiterdenken

Nicht entfernt hat unsere Betrachtung alles zur Sache gesagt. Aber anregen wollte sie, dem Geist der Wahrheit auf der Spur zu bleiben durch eigenes Nachdenken. Dazu dürfen wir uns berufen auf das Wirken des Heiligen Geistes, der uns - nach Martin Luther - "mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben heiligt und erhält". Er helfe uns zur wahren Anbetung Gottes, im sonntäglichen Gottesdienst ebenso wie im Gottesdienst des Alltags.

Dr. Hartmut Jetter, Oberkirchenrat i.R., Stuttgart