Christi Himmelfahrt, 24. Mai 2001
Predigt über Johannes 17,20-26, verfaßt von Petra Savvidis

Vorbemerkung:
Manche Predigttexte sind dazu geeignet, die Predigerin zunächst zu entmutigen. Die redaktionsgeschichtlichen Probleme dieser Perikope sind immens, ihre Abgrenzung, ihr Ort sind schwierig, die theologischen Aussagen höchst komprimiert. Und das alles zu Himmelfahrt, diesem Fest, das ohnehin kaum "geerdet" ist, weil es Bräuche und Riten entbehrt. Anschauung durch Erleben, Himmelfahrtsgottesdienste im Grünen? Viele Gemeinde feiern open-air-Gottesdienste zu Himmelfahrt. So auch unsere. Und das ist gut so. Vielleicht lässt es sich wirklich besser predigen unter freiem Himmel zu Himmelfahrt. Manche Kolleginnen und Kollegen mögen dann zwar die Gefahr sehen, dass die Theologie um des Erlebens willen minimiert wird. Sicher lässt es sich aber mit einem offenen Himmel über der Gemeinde nicht schlechter predigen zu Himmelfahrt als in geschlossenen Kirchenräumen. Wenn, ja wenn denn klar ist, dass im Sinn von Kurt Marti "der Himmel, der ist, nicht der Himmel ist, der kommt..." Ein Nachbuchstabieren des Predigttextes ist diese Predigt in weiten Teilen geworden, nicht mehr.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.

Der Predigttext für heute steht im Johannesevangelium im 17. Kapitel:
20 Jesus hob seine Augen auf zum Himmel und sprach:
Vater, ich bitte nicht allein für die, die du mir gegeben hast,
sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden,
21 damit sie alle eins seien.
Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein,
damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.
22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast,
damit sie eins seien, wie wir eins sind, 23 ich in ihnen und du in mir,
damit sie vollkommen eins seien
und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.
24 Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast,
damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast;
denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war.
25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht;
ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast.
26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun,
damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Der Predigttext für heute ist ein einziges Gebet.
Jesus hat den Himmel vor Augen und betet für die Welt,
für die Menschen, die zu ihm gehören und für die, die noch dazukommen werden.
Er nimmt Abschied von der Welt und kehrt zurück in den Himmel.
Zum Abschied betet er, hält Zwiesprache mit Gott.
Wie ein Rechenschaftsbericht klingt das, er hat getan, was zu tun war,
jetzt legt er es zurück in Gottes Hände.

Einzelne Worte bleiben haften, vor allem:
"eins sein", "du in mir und ich in dir und sie in uns."
Das beschreibt Beziehungen, Verbindungen.
Himmelfahrt heißt eben nicht: "Auf und davon", "aus den Augen, aus dem Sinn".
Sondern Himmelfahrt schafft Beziehung, hält die Verbindung zwischen Himmel und Erde.

Und doch: auf den ersten Blick scheinen mir dieser Jesus, dieses Gebet sehr weit weg zu sein, fast schon abgehoben in einen fernen Himmel.

Und darum höre ich in diesen Worten auch die Warnung, nicht zu harmonisieren,
nicht zu schnell zusammenzubringen, was eben (noch) nicht zusammengeht.
Immer noch kennt die Welt Gott nicht, immer noch glaubt sie nicht und greift noch nicht nach seiner Liebe. Immer noch sind wir nicht eins, nicht mit uns, nicht miteinander, nicht mit Gott.
Wir haben eben nicht den Himmel auf Erden.

Buchstabieren wir ihn nach, diesen seltsam abgehobenen Text und schauen nach oben, die Augen himmelwärts:

Rechenschaft- Rückblick

"Du hast mich gesandt, du hast mir die Herrlichkeit gegeben, du hast mich geliebt.
Ich habe deinen Namen kundgetan, ich habe deine Herrlichkeit weitergegeben, ich kenne dich. Wir sind eins."
So sagt der Sohn zum Vater.
Lesen wir das mit menschlich-irdischen Augen, so sehen wir eine innige Beziehung, geprägt von Geben und Nehmen und Weitergeben; wir sehen eine lebendige Beziehung, die nicht in sich selbst ruht, sondern neue Beziehungen schaffen will.
Lesen wir das in theologisch-himmlischer Weise, so hören wir, dass Gottes ganze Herrlichkeit, seine ganze Fülle in seinem Sohn offenbar geworden ist, dass seine himmelweite Liebe für ihn auch uns umfasst.
Dass die Welt das erkenne, das glaube, darum schickte Gott seinen Sohn in die Welt.

Und der legt hier Rechenschaft ab und schaut zurück; er hat getan, was er zu tun hatte. Er hat gepredigt vom Himmelreich und von der Nähe Gottes, hat Gottes Namen neu beschrieben, hat Menschen geheilt, die zerrissen waren, und eine Zukunft eröffnet, in der Gott allein die Macht und die Liebe hat, zu richten und aufzurichten.

Rückkehr - Was bleibt?

Der Sohn kehrt zurück zum Vater, der ihn in die Welt gesandt hat - zurück in das Einssein, den Ursprung seiner Sendung - was bleibt?
Wieder bleiben mir Worte haften aus dem langen Gebet Jesu:
Glauben, Beten, Erkennen, Lieben, Herrlichkeit, Einssein.
Darum bittet Jesus seinen himmlischen Vater am Ende seines Weges auf der Erde.
Und das bleibt. Der betende Jesus bleibt, der weitergegeben hat, was er empfangen hat und damit den Grund gelegt hat für Erkennen und Glauben.
Und so sollen es diejenigen weitergeben, die ihm gegeben sind vom Vater, jetzt und in alle Zukunft. Alle die, die seinen Spuren folgen, die in ihm Gott auf die Spur gekommen sind.
Sie werden es weitertragen, weil sie sich in diese lebendige Beziehung von Sohn und Vater hineinnehmen lassen, weil sie eins sind mit ihnen und Glauben und Liebe und Erkennen empfangen.


Dass Jesus darum bittet, dass er das vor Gott bringt und nicht uns Menschen als Aufgabe stellt, das erleichtert und ermutigt mich. Er fordert nicht, er betet.
Und stellt damit alles, was die Gemeinde damals und alles, was die Gemeinde heute und in Zukunft predigt und verkündigt mit Worten und mit Taten, in Gottes Horizont.
Durch sein Beten bringt er Vergangenheit und Zukunft, Himmel und Erde zusammen. So bleibt er nahe, auch wenn er fern ist. Sein Abschied ist keine Trennung, kein "Auf und davon", sondern er bleibt im Gespräch, in lebendiger Beziehung zu uns und der Welt.

"damit sie eins seien" – Ausblick

Die, die das begriffen, ergriffen haben und ihn nahe und lebendig wissen, die tragen es weiter.
Gerade ihnen allen, auch uns heute, gilt das fast beschwörende Bitten um das "Eins-Sein". Denn so wird die Welt glauben und erkennen, dass sie geliebt ist von Gott, so sehr, dass er seinen Sohn schickte.
Es erleichtert und ermutigt mich, dass gerade auch das Einssein nicht gefordert ist, sondern erbeten. Die Geschichte des Scheiterns der Einheit der Christen ist so lang wie die Geschichte der Christen selbst und ein Grund, an der Kirche zu leiden. Aber hier ist ja dieses Einssein weder gefordert noch ein Zustand, sondern ist im Bitten zugleich in eine Bewegung gebracht. Auch beim Einssein geht es um Beziehung, die gesucht und immer wieder neu lebendig werden muss. Wo das gelingt im ökumenischen Miteinander, gibt es spürbar neue Impulse und Kraft, weiter um Einheit zu ringen und damit um Glaub-würdigkeit für die Welt.
Das Beten dafür ist nötig, heute besonders.
Dies Einssein, um das Jesus hier bittet für uns, das bedeutet aber noch mehr als ökumenischen Dialog. Es geht um das Einssein, das von Gott ist, aus dem aller Glaube, alle Erkenntnis, alle Liebe kommt, es geht um Versöhnung und Frieden.
Auch das ist kein Zustand, der ein für allemal erreicht werden kann, sondern bewegende Erfahrung unser Leben lang. Und es gehört zu den "himmlischen" Erfahrungen, wenn es gelingt, Zerrissenheit zu heilen, Frieden zu schließen und versöhnt zu leben, im ganz kleinen alltäglichen und im ganz großen Leben in der Welt draußen.
Das Beten dafür ist nötig, überall, wo Menschen miteinander leben.


Himmel und Erde -
"Ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast...."

Himmelfahrt ist kein "Auf und davon". Mit Himmelfahrt ist endgültig der Bogen zwischen Himmel und Erde gespannt und bleibt es. Jesus bittet darum, dass alle die, die auf ihn hören und in ihm leben, bei ihm sind, im Himmel und auf der Erde.
Und das heißt, dass Himmelfahrt, dieses seltsame Fest zwischen Ostern und Pfingsten, ein bewegendes, sogar beunruhigendes Fest ist.
Denn es bestätigt, dass wir uns nicht davonmachen können. Nicht dadurch, dass wir uns arrangieren mit den Verhältnissen, durch dieses schiedlich-friedliche Nebeneinander von Glauben und Leben, von Kirche und Gesellschaft, von Gottes Macht und weltlicher Macht. Und wir können uns auch nicht davonmachen, wenn wir nur nach oben gucken und auf den Himmel warten, der kommt und Seligkeit bringt, wenn wir uns nur vertrösten auf bessere Zeiten, weil hier ja eh nichts mehr zu retten und zu hoffen und zu tun ist. Nein:

Die Himmelfahrt des Gekreuzigten und Auferstandenen ist ein Ereignis, das unruhig machen kann. Denn es bringt uns dazu, diese Spannung zwischen Himmel und Erde auszuhalten. Es stellt die Frage, wie wir es halten mit der Macht, wem wir folgen, dem Zeitgeist, der herrscht, wie er will, oder dem Geist Gottes, der oft so unmerklich weht? Wer hat uns mehr im Griff? Die Macht von Menschen, viel zu oft missbraucht und tiefe Risse in der Welt hinterlassend? Oder Gott, dessen Macht so sanft daherkommt, der den Willen hat, zu heilen, und der sich oft gerade in der Ohnmacht so groß und unüberwindbar zeigt?

Es ist nicht zu Ende, es geht weiter, die Geschichte von Gott und der Welt.
Immer noch sprengt die Herrlichkeit Gottes unsere Vorstellungskraft,
immer noch sein Himmel unser kleines Menschenleben auf der Erde.
Seine Zukunft bestimmt unsere Gegenwart.
Und uns bleibt es, das weiterzusagen, damit die Welt erkennt und glaubt und Gottes Liebe spürt.
Und es bleibt uns zu beten, so wie Jesus es getan hat für uns, die Augen aufgehoben zum offenen Himmel. Amen.

Dr. Petra Savvidis, Witten
savvidisp@hotmail.com