Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
(Tipps zum Speichern und Drucken: Hier klicken)

5. Sonntag der Passionszeit, Judika, 1. April 2001
Predigt über Johannes 11, 47-53, verfaßt von Heinz Behrends

I.

Er will das Leben der Insel, dieser ganz anderen Lebenswelt verstehen und darüber ein Buch schreiben, denn er ist Dichter, ein Schriftsteller aus England. Er befreundet sich mit einem der Urtypen der Insel. Er bleibt der aufmerksame Tourist, der das Leben der Menschen auf der griechischen Insel betrachtet, bis er eine Frau entdeckt. Sie wirkt geheimnisvoll, sie trägt schwarz und lebt alleine im Dorf. Er beginnt, sich in sie zu verlieben, sie verabreden sich, er bleibt eine Nacht bei ihr. Doch im Dorf bleibt nichts verborgen. Ein junger Mann, Sohn in einer großen Familie, erhängt sich, als er vom nächtlichen Treffen der beiden erfährt. Er war schon lange in sie verliebt gewesen und hätte sie gerne gehabt. Für seinen Vater ist schnell ausgemacht, wer am Tod seines Sohnes schuldig ist. Während die Menschen in die Messe gehen, inszeniert er eine Lynchjustiz. Die Männer lauern die Frau auf, umzingeln sie, immer mehr Männer und Frauen des Dorfes kommen hinzu und ziehen den Kreis enger. Der englische Dichter sieht es mit Schrecken von ferne an. Diese Welt bleibt ihm fremd, er kann nicht eingreifen, um sie zu retten. Doch da springt ihm sein griechischer Freund zur Seite. Sorbas ist sein Name. Alexis Sorbas. Er kennt die Leute. Er entreißt dem Vater nach kurzem Kampf das Messer. Erleichtert sieht der Zuschauer die Szene des Filmes und entspannt sich. Gerettet scheint die Frau. Doch in einem unbeachteten Augenblick springt der Vater noch einmal hinzu und ersticht sie. Er schlachtet sie, wie er gewohnt ist, seine Schafe zu schlachten. Ein Opfer muß gebracht werden. Der Kodex seiner Lebenswelt muß geordnet bleiben. Inneren Frieden gibt es nur, wenn die Frau geopfert wird. Sie hat mit der Liebe zum Fremden die Lebensordnung der Insel gebrochen.

Eindrucksvoll ist dieser alte Film über das Buch des griechischen Autoren Kantzantakis über Alexis Sorbas.

Atemlos schaut man zu, wie eine geschlossene Welt sich schützt durch einen Rachemord, einen Sühntod, einen Opfertod. Erschrocken, aber auch erleichtert gehen die Menschen im Dorf wieder auseinander. Die Seele hat wieder Ruhe. Jeder weiß, was ihm geschieht, wenn er die Lebensgesetze, die Regeln verläßt.

Es scheint mehr zu sein als eine Tradition einer griechischen Insel. Es scheint zum Menschen zu gehören, daß er Sühne braucht. Erst der Tod kann heilen, wo in einer Gemeinschaft eine Ordnung in Frage steht. So auch in der Zeit Jesu.

II.

Die Leute um die Pharisäer und Schriftgelehrten sind ratlos. Jesus hat den toten Lazarus zum Leben erweckt. Die Menschen sind beeindruckt. Er stört die Lebensregeln seiner Welt. Seine Zeichen sind seit der Hochzeit zu Kana nicht mehr zu übersehen.

Die Verantwortlichen für das geistliche Leben im Volk werden zu politisch Denkenden und halten Rat. „Lassen wir ihn so, dann werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer kommen und nehmen uns das Land und Leute,“ sagen sie. Sie ziehen ein ins politische Kalkül. So ist das. Menschen geraten in die Mühlen der Politik. Einzelne werden Gegenstand von Kalkül und werden eine Verschiebemasse, über die andere verfügen, um offensichtlich andere zu schützen.

Aber einer von ihnen geht noch einen Schritt weiter, er denkt tiefer als nur politisch. Er kennt die Seele der Menschen. Nicht von ungefähr ist er Hohepriester in diesem Jahr, Kaiphas. „Ihr habt keine Ahnung“, sagt er zu den Leuten, die eine Lösung suchen. „Ihr bedenkt nichts. Es ist besser, ein Mensch sterbe für das Volk, als daß das ganze Volk verderbe.“
Das klingt sehr unmenschlich, ist aber klug und richtig.
Es ist besser, einer stirbt als viele, wenn schon jemand sterben muß.
Pharisäer, Schriftgelehrte und Kaiphas bleiben aber Gefangene ihres Gedankensystems. Aber wie soll sie ihm auch entkommen?

Und Jesus unterwirft sich ihnen. Die Evangelien erzählen, wie er seinen Weg durch das Leiden geht, fragend, zitternd, aber ohne Zögern. Johannes sieht seinen Weg mehr als einen Triumphzug, heim zu Gott, seinem Vater, läßt aber das Leiden auch nicht aus. Jesus verkrallt sich nicht in dieses Leben. Er unterwirft sich den Gesetzen seiner Welt.

Die Täter sind eindeutig die Herrschenden in Palast und Tempel.

III.

Und damit geht Johannes einen großen Schritt über die Deutung des Todes Christi hinaus, wie wir sie bei Paulus finden, wie sie sich in unsere Theologie, in unseren Glauben eingenistet hat.

Diese schwer verständliche Opfertheologie. Gott hat seinen Sohn geopfert, damit wir frei werden von Sünden. Ein unmöglicher Gedanke ist das. Es wird Zeit, daß wir ihn in unserem Predigen, in unserem Glauben überwinden. Was für ein Gott, der seinen Sohn opfert, damit wir erlöst sind? Das sind die Gesetze der Menschen, das ist das Gesetz der Menschen auf der griechischen Insel. Hier wird der tief verwurzelte Opfergedanke überspitzt und der Rachedurst in die Deutung des Kreuzes hinein getragen.

Gott ist fern von allen Rachegedanken. Menschen haben Christus getötet aus politischem Kalkül. Der psychologisch geschulte Kaiphas, der Menschenkenner, wußte, daß ein Geopferter andere retten kann. Aber die Hinrichtung war nicht Gottes Werk.

So ist das Ende aller Opfergedanken in der Kirche angebrochen.

Aber Kaiphas hat natürlich recht. Blut kann reinigen. Wenn jemand sich eine Wunde an der Hand zugezogen hat, sagen sie zu ihm: Nicht gleich ein Pflaster draufkleben. Laß es erst mal bluten, das reinigt. Der Schmutz muß erst aus der Wunde ausgetrieben werden. Blut reinigt. Das ist wahr. Auf verschlungene Weise hat Kaiphas am Ende sogar recht. Er deutet den Tod Christi richtig. Menschen haben ihn getötet. Christus hat sich dem gestellt und ist nicht gewichen. Sein Vertrauen auf seinen Vater war größer als alle erfahrene Bedrängnis. Er hat sich dieser Welt unterworfen. Und am Ende ist es so gekommen wie Kaiphas prophezeit hat. Er wird die zerstreuten Kinder Gottes zusammenbringen. So ist es. Und darum sitzen wir heute hier zusammen. Wir leben.

IV.

Darum war ich traurig, als ich das Ende der Geschichte der Frau in Alexis Sorbas sah. Diese Lebenswelt auf der kleinen Insel ist noch gefangen in ihren Gesetzen. Die Liebe konnte noch nicht siegen. So scheint diese Welt immer noch unerlöst zu sein.

Ob ich auch zu den Unerlösten gehöre? Besetzt von den Gesetzen meiner Welt? Die nächsten zwei Wochen bis Karfreitag mögen Raum dafür geben, daß ich mich dieser persönlichen Frage stelle.

Theologisch-homiletische Überlegungen

Der Opfergedanke ist das Thema des Textes. Die paulinische Deutung des Opfertodes Christi ist in unserer Tradition tief verwurzelt. Sie wird verstärkt durch die Passionslieder der Tradition. Das dahinter verborgene Gottesbild ist schwer vermittelbar, obwohl die Opfertheologie psychologisch gesehen nicht einfach abzulehnen ist. Johannes macht im Text den Rat des Kaiphas für den Tod Jesu verantwortlich. Die Predigt versucht, die anthropologische Begründung des Opfertodes mit der Deutung des Johannes zu verbinden. Menschen wollen, daß Blut fließt, damit Versöhnung und Frieden im System wiederhergestellt sind. Christus unterwirft sich diesem System, um es zu überwinden. Das neue Gesetz, die neue Lebensordnung ist allein durch die Liebe und das Vertrauen geprägt.

Superintendent Heinz Behrends
Distelweg 8
37077 Göttingen
Tel./Fax: 0551 / 721222
Email: Heinz.Behrends@Nikolausberg.de


(zurück zum Seitenanfang)