Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Letzter Sonntag nach Epiphanias, 4. Februar 2001
Predigt über Johannes 12, 34-41, verfaßt von Christofer Frey

Predigt(entwurf): Universitätsgottesdienst, Bochum-Querenburg

34 Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?
35 Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht.
36 Glaubt an das Licht, solange ihr's habt, damit ihr Kinder des Lichtes werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.
37 (Der Unglaube des Volkes)
Und obwohl er solche Zeichen vor ihren Augen tat, glaubten sie doch nicht an ihn,
38 damit erfüllt werde der Spruch des Propheten Jesaja, den er sagte (Jesaja 53,1): »Herr, wer glaubt unserm Predigen? Und wem ist der Arm des Herrn offenbart?«
39 Darum konnten sie nicht glauben, denn Jesaja hat wiederum gesagt (Jesaja 6,9-10):
40 »Er hat ihre Augen verblendet und ihr Herz verstockt, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, und ich ihnen helfe.«
41 Das hat Jesaja gesagt, weil er seine Herrlichkeit sah und redete von ihm.

[1. Wege zum Text]

Womit soll der Prediger angesichts dieses so kurzen Berichtes vom Unglauben der Menschen anfangen? Mit dem Licht, das sich so oft verbirgt, mit dem Volk, das vor dem Licht, ja vor seiner Quelle steht und es doch nicht sieht, mit einem Mann namens Jesus, der von sicht selbst spricht ? Im Grunde spricht er nicht nur von sich selbst, weil er sein Leben auf kommende Ereignisse ausrichtet, die Gott ihm widerfahren lassen will.

Irgendwie müssen auch wir uns in dieser Szene aus dem Johannesevangelium einfinden können, obwohl der heute zum Nachdenken aufgegebene Abschnitt nur einen groben Schattenriss von seiner Sache zeichnet. Sinnvoll wäre es, das ganze Evangelium zuende zu lesen und Gott in einem Menschen zu finden, der zunächst nicht anders als wir die Grenzen des Lebens erfährt: Jesus, nicht der mächtige, sondern der niedrige Menschensohn.

[2. Die ursprüngliche Situation]

Wir Heutigen stehen am Ende einer langen Kette von Lesern und Hörern. Was mögen die ersten unter ihnen erfahren haben, als ihnen dieses Evangelium gebracht wurde?

Einst kamen Freundinnen und Freunde Jesu zusammen, um sich durch einen Menschen voller Geist mit Jesus verbinden zu lassen – mit Jesus, wie er war, wie er ist, wie er kommt. Die Freundschaft mit Jesus und unter sich mag zwar groß gewesen sein, aber auch sie drohte, alt zu werden und dahin zu welken, war doch der Stifter dieser Freundschaft von ihnen gegangen; das Licht seiner Gegenwart schien in die Dämmerung des Vergessens überzugehen. Ja, er war von ihnen gegangen: als Krimineller hingerichtet, zur Enttäuschung aller, die auf große Ereignisse gewartet hatten – die Schatten des Todes gewinnen erst neben dem Licht des Lebens ihr scharfes Profil. Einer kleinen Gemeinde, der Schar der Freunde Jesu, sagt der Mann mit dem Namen Johannes: Lasst euch noch einmal zurückversetzen in jene alte Zeit, die bis heute im Licht erscheint – herrschten nicht damals bereits Unverstand, Dummheit, mangelte es nicht an freier Sicht? Und ihr? Seid ihr nicht nahe daran, dem alten Unverstand nachzueifern?

So oder ähnlich mag es der Prediger vor beinahe 2000 Jahren gemeint haben, als die Treue der Freunde Jesu offenbar zu schwanken begann. Ich wünschte, ich wüsste mehr von dem, was einst geschah.

[3. Irrtum kann überall auftreten]

Auch wenn wir so wenig wissen und unser Text nur so grobe Striche zeichnet, so tritt doch eines klar heraus: Alle, die Jesus in dieser Szene verkennen, sind typische Menschen, sie haben kein besonderes Gesicht; jeder kann unversehens in ihre Rolle schlüpfen. Wie fest auch Jesu Freunde zu Jesus stehen wollen, sie sind- damals wie heute - nicht vor Irrtum bewahrt. Das muss deutlich gesagt werden, weil es sonst heißen könnte, da mache sich wieder einmal der alte Antijudaismus oder Antisemitismus breit: Juden verkennten den Messias, weil sie meinten, dass er immer bei ihnen bleiben sollte. Allen muss deutlich sein: Der wahre Gottesbote geht auf den Weg seines Leidens, er wird demnächst in Schmerzen und Todeskampf erhöht, hochgehängt an das Kreuz der Verbrecher.

>Da antwortete ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?< Macht Johannes, der Evangelist, es sich bequem, zeigt er auf andere, weist er kritisch auf das Volk, um sich selbst ins Licht zu setzen, oder vermutet er einige derer, die sich vom Licht entfernen, auch in seiner Gemeinde? Überall kann jenes Volk sein, das Jesus verkennt.

Auf die Freunde Jesu, die sich mit Johannes versammelten, konnten nicht nur die Schatten der Christenverfolgung fallen, über sie konnte auch die Dunkelheit des Vergessens und der Nachlässigkeit kommen, am schlimmsten wäre es jedoch gewesen, wenn ihr Licht erlöschte. Zu allen Zeiten fällt es schwer zu verstehen, dass dieser Jesus im Licht Gottes nun in den Tod nach Jerusalem gehen muss, und Licht nur zu finden ist, wo es im harten Kontrast gegen das Dunkel scheint: Licht und Dunkel - Leben und Tod. Darum werdet Kinder dieses besonderen Lichts, das immer wieder das Dunkel im Leben besiegen will!

Soviel zum Volk, das Jesus umgeben haben soll, als er nach Jerusalem kam, soviel auch zu den Freunden Jesu, die sich mit Johannes irgendwo im Osten versammelten, als Jesus schon seit vielen Jahren von den Menschen gegangen war.

[4. Licht auf dem Weg des Lebens]

Wohin geht der Weg des Lebens, damit auch unser Weg heute? Jesu Licht musste auf ihn leuchten und ein Ziel zeigen. Das Wort „Licht“ steht nicht nur für wahre Erkenntnis, sondern hat sich – Jahrhunderte nach Johannes - mit der Aufklärung verbunden. Aufklärung sucht nach der Wahrheit jenseits von Aberglauben und fragt darum auch, ob Religion den Menschen überhaupt helfen könne. Das Volk um Jesus hatte Religion, es träumte von seinen neuen Zielen, hoffte auf eine Herrschaft, die bleiben würde, auf ein Reich der Gerechtigkeit, das Menschen anvertraut wäre. Auch die Aufklärung hat geträumt, dass alles einmal besser würde. Deshalb hoffte ein Philosoph, der aus den Kreisen der Frommen gekommen und zum Licht der Vernunft fortgeschritten war, eine Wende zum Guten: Je schlimmer die menschengemachten Katastrophen, desto nachdrücklicher könnte, ja müsste der Wille zum Frieden werden. Nach ihm kamen jedoch zwei Jahrhunderte wachsender Verzweiflung, weil sich diese Form der Vernunft nicht durchsetzte. Die Hoffnung, Vernunft werde alles zum Besseren wenden, ist eines der fast erloschenen Lichter. Und doch beruft sich immer wieder Wissenschaft darauf.

[5. Aufgaben der theologischen Fakultät]

Eine theologische Fakultät hat sicherlich besondere Gründe, über ihre Rolle im Netzwerk der Vernunft nachzudenken. An den Rand der Wissenschaften gedrängt könnte sie doch immer noch in ihrer Universität bewusst halten, dass sich die Vernunft ihr Licht nicht selbst aufsteckt, weil sie auch nicht von selbst menschenfreundlich ist. Muss die Vernunft nun wieder Religion suchen? Vielleicht lässt sie von der Skepsis und geht auf die Suche, weil alle Menschen irgendeine Gewissheit brauchen, und sei es nur die bescheidene, dass dies alles einmal vorbei gehen wird. Religion kann zum Erstaunen vieler Konjunktur haben; aber das wahre Licht – das Johannes in die Welt ruft - ist keine Religion, keine Weltanschauung , sondern ist ein Mensch, wie wir in Grenzen und vor der Frage des Todes. Religion kann man haben, aber Mensch kann man nur sein. Wohin das alles? – diese Frage bleibt unausweichlich. Und Johannes zeigt, dass die Wahrheit, das Licht, nicht einfach zu registrieren ist, sondern Gott als Mensch begegnet.

Die theologische Fakultät könnte – wenn sie zu sehr um sich selbst kreise – diese wichtige –Aufgabe vergessen; und die Kirche würde das nachmachen, wenn sie im Pragmatismus stecken bliebe und nur ihren Bestand durch bloßes Schrumpfen, nicht durch Erneuerung, retten wollte. Sie würde diese Welt nicht mehr begleiten, sondern ständig moralisch belehren.

[6. Exemplarische Anwendung]

Heute ruft uns das Evangelium auf, in das Licht zu treten, beim Licht, das erschienen ist, zu bleiben: Das Licht des Christus soll auch die Vernunft erleuchten – damit sie menschenfreundlich werde, damit sie das konkrete Leben wahrnehme und seine Verletzlichkeit ernst nehme. Überall ist es bedroht; ich nenne nur zwei Beispiele:

In Davos diskutierten unlängst 3000 Manager, Politiker und andere Träger großer Namen die Weltwirtschaftsentwicklung. Sind sie im Licht, oder geht es ihnen verloren? Wie verträgt sich das Licht der Wahrheit mit der Macht? Können und Geld fehlen denen, die dort kaum gehört werden und die sich immer mehr als ohnmächtig erkennen. Die Völker der Dritten Welt erfahren ihre Situation als Machtlosigkeit angesichts der geballten wirtschaftlichen Kraft des Nordens. Deshalb gilt: Kein Fortschritt ohne Recht und Rechtlichkeit für alle!

Das zweite Beispiel: Wie könnte ein Strahl vom Licht der Vernunft in Gehirne fallen, deren innere Wege gewissermaßen verstopfen, weil Placken den Austausch verhindern? Unlängst war ich bei einem Hearing zur Alzheimerkrankheit und ihrer Erforschung. Forscher wünschen sich, mit Embryonen zu experimentieren, weil sie an deren Zellen Kräfte der Wiederherstellung erkennen möchten. Wie lassen sich zu vielen Entwicklungen fähige Zellen in eine bestimmte Richtung verändern? Das ist ihre Frage. Was treibt solche Wissenschaft an: Eine warme, menschenfreundliche Hinsicht, die leidende Menschen wahrnimmt, oder ein kühler Blick, der nicht bestreiten kann, dass menschliches Leben zum bloßen Instrument wird?

[7. Glaube, nicht Religion]

Ist Gott das Licht der Vernunft? Ist es das Wort, von dem unser Evangelium an seinem Anfang kündet? Was könnte die Vernunft mit ihrem oft so schwachen Licht dazu beitragen, dass wir in dieser vorletzten Wirklichkeit Menschlichkeit im Sinn behalten? Da wird uns die Diagnose gestellt, dass Menschen in einer geplanten, in einer gezähmten Welt auch etwas Irrationales brauchten; die Welt müsse wieder verzaubert werden, wie sie es für Kinder war, die noch Glauben hätten. Ihr Theologen, warum ergreift Ihr nicht Eure Chance? Gott läßt sein Licht dort nicht leuchten, wo man sich eine Religion bestellt und dabei vielleicht dem oft so anstößig konkreten Menschen - im anderen oder auch in sich selbst - ausweicht, so wie das „Volk“ dem Menschen Jesus auswich, weil es ein vermeintlich sicheres Bild hatte, wie der Menschensohn, der Bote Gottes sein sollte. Für den wahren Gott ist kein Nebenraum reserviert, in dem für das Dunkle und Geheimnisvolle herrscht oder gar eine Religion, die man sich selbst bastelt. Wer große Buchhandlungen bestritt, findet heute allerdings unter „Religion“ nur wenig Theologie und umso mehr Esoterik.

Die Freunde Jesu - um den geheimnisvollen Johannes versammelt - wären vielleicht in esoterischen Zirkeln aufgegangen, wenn da nicht ein besonderer Anstoß gewesen wäre: Der wahre Gott zeigt sich niedrig, und wenn einer hoch hinaus wollte, dann in die Höhe jenes Kreuzes, das von sozialer Verachtung und vernichtender Bösartigkeit zeugt. Solche Grenzen sind anders als jene, die eine forschende Vernunft herausfordern und immer wieder überschritten werden sollen. Die Vernunft reicht nicht so weit, dass sie alle jene Grenzen, an die unser Leben stößt, wegdenken könnte, schon gar nicht den Tod. Sie anzunehmen schenkt uns der Glaube, der Jesu Weg betrachtet; er wird ein Licht finden, das ein Ziel ausleuchtet, das unserm Leben und Tun Halt gibt, weil es Hoffnung über alle schmerzlichen Grenzen dieser Zeit hinaus weckt.

Prof. Dr. Christofer Frey
E-Mail: christofer.frey@ruhr-uni-bochum.de


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