Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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4. Sonntag nach Epiphanias, 28. Januar 2001
Predigt über Jesaja 51,9-16, verfaßt von Heinz Janssen

9 Der HERR greift ein mit Macht und Trost
Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm des HERRN! Wach auf, wie vor alters zu Anbeginn der Welt! Warst du es nicht, der Rahab zerhauen und den Drachen durchbohrt hat?
10 Warst du es nicht, der das Meer austrocknete, die Wasser der großen Tiefe, der den Grund des Meeres zum Wege machte, daß die Erlösten hindurchgingen?
11 So werden die Erlösten des HERRN heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen.
12 Ich, ich bin euer Tröster! Wer bist du denn, daß du dich vor Menschen gefürchtet hast, die doch sterben, und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen,
13 und hast des HERRN vergessen, der dich gemacht hat, der den Himmel ausgebreitet und die Erde gegründet hat, und hast dich ständig gefürchtet den ganzen Tag vor dem Grimm des Bedrängers, als er sich vornahm, dich zu verderben? Wo ist nun der Grimm des Bedrängers?
14 Der Gefangene wird eilends losgegeben, daß er nicht sterbe und begraben werde und daß er keinen Mangel an Brot habe.
15 Denn ich bin der HERR, dein Gott, der das Meer erregt, daß seine Wellen wüten - sein Name heißt HERR Zebaoth -;
16 ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt und habe dich unter dem Schatten meiner Hände geborgen, auf daß ich den Himmel von neuem ausbreite und die Erde gründe und zu Zion spreche: Du bist mein Volk.

Die in der Predigt zitierten kursiv geschriebenen Bibeltexte können von einer anderen Stimme übernommen werden, um den Zuspruchcharakter der Botschaft des "Evangelisten des Alten Testaments" (Jesaja 40-55) hervorzuheben.

Liebe Gemeinde!

„Gott greift ein mit Macht und Trost“, so lautet die Überschrift über den Predigttext in der Bibelübersetzung von Martin Luther. Der heutige 4.Sonntag nach Epiphanias hat Gottes überlegene Macht über die Naturmächte zum Thema, was auch das Sonntagsevangelium von der Stillung des Sturmes durch Jesus veranschaulichen will. Als der Sturm gestillt war, sprach Jesus: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Markus 4,40) Wie die Geschichte von der Sturmstillung, so ruft uns auch der Predigttext zum Vertrauen auf Gottes Macht - damit alle Furcht weicht. I. Wir hören diesen prophetischen Text aus dem Buch Jesaja einen Tag nach dem 56.Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager von Auschwitz. Aus der israelitisch-jüdischen Glaubenstradition stammt der Text, aus der Hebräischen Bibel, dem Ersten Testament, wie viele heute betonen. Wie kann man nach Auschwitz von Gott und seiner Macht reden? - Und da sind auch die fast täglichen Meldungen von Katastrophen und Zerstörungen, die uns mit der Frage nach der Gerechtigkeit konfrontieren, und immer gegenwärtig sind nicht zuletzt die persönlichen Nöte, die Lebensschicksale jedes einzelnen Menschen.

Ob auf der Welt Dinge geschehen, die Gott weder verursacht hat noch zu verhindern vermag? Auch als Christen stehen wir - wie damals das jüdische Volk - vor so schrecklichen Katastrophen fassungslos.

„Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm des HERRN!“ - Mit einem Hilferuf an den „Arm Gottes“ beginnt der prophetische Text. Vielleicht haben wir es vorhin beim Hören schon gespürt, wie dieser Text aus der Tiefe, aus der Bedrängnis menschlicher Existenz, kommt. „Arm Gottes“, das ist in der Hebräischen Bibel ein Bild für Stärke, Kraft und Macht Gottes.

Die Israeliten haben es schon als Kinder gelernt, wie das mit den Anfängen ihrer Geschichte: Gott hat sich am Anfang mächtig erwiesen, als er die Israeliten aus ägyptischer Knechtschaft befreit hat und sie heil durch das Meer in die Freiheit führte. „Wach auf, wach auf, zieh Macht an, du Arm des HERRN!“ Die so um Hilfe riefen, waren gefangene Judäer in Babylon, im 6.Jahrhundert vor Christus. Ihre Gefangenschaft brachten sie in Verbindung mit der einstigen „Gefangenschaft“ ihrer Väter und Mütter in Ägypten. Ihre Hoffnung auf Befreiung mit der einstigen Rettungs- und Befreiungstat Gottes am Schilfmeer: „Warst du es nicht,... der den Grund des Meeres zum Wege machte, daß die Erlösten hindurchgingen?“ / „So werden die Erlösten des HERRN heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, und ewige Freude wird auf ihrem Haupte sein. Wonne und Freude werden sie ergreifen, aber Trauern und Seufzen wird von ihnen fliehen“ (V.10f.).

II. Mit ihrer Empfindung, Gott aufwecken zu müssen, verband sich offensichtlich das Gefühl, Gott schlafe und kümmere sich nicht um die Not seines Volkes - ganz im Gegensatz zu der Wahrnehmung des betenden Menschen von Psalm 121: „Siehe, der Hüter Israels schläft noch schlummert nicht...“

Wie oft hat Israel jenem Gefühl des Von - Gott - Verlassenseins in den Gottes-diensten, an den Wasserflüssen Babylons Ausdruck verliehen, seine Verzagt-heit vor Gott gebracht, seine Klagen über die hereingebrochene Katastrophe, über den Verlust und die Verwüstung des Landes, die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, dem Symbol für Hoffnung und Nähe Gottes.

So konkret ist dieser Bibeltext, so in das Leben verflochten, gerade nicht über dem Alltag unseres Lebens schwebend! Voller Sehnsucht, aber auch schon in der Gefahr zu resignieren, blicken die Geschlagenen zurück auf Gottes frühere Macht - auf Gottes Schöpfung, wie er das Chaos bändigte. Mit kräftigen Bildern unter Einbeziehung babylonischer Schöpfungsmythen, wird Gott an seine einstige Überlegenheit erinnert: „Warst du es nicht, der Rahab - Symbol für das Chaos - zerhauen und den Drachen - Symbol für das Böse - durchbohrt hat?“ Sie denken daran, wie Gott hilfreich in die Geschichte seines Volkes eingegriffen hat - damals am Meer, als die in Ägypten Geschundenen den Boden der Freiheit betreten durften.

„An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten...“, heißt es in Psalm 137. Kennen wir nicht alle mehr oder weniger solche Gefühle des Verzagtseins und des Rückblicks auf bessere Zeiten? Bedenken wir, wie unsere „älteren“ Schwestern und Brüder damals in babylonischer Gefangenschaft saßen und weinten. Ihre Situation, ihr Trauern und Seufzen, ging an Gott nicht vorüber. Gott vergewissert sein Volk: „Ich, ich bin euer Tröster...“ Indem der Prophet das Ich Gottes so betont, will er die Aufmerksamkeit des niedergeschlagenen Volkes dorthin weisen, von woher ihm wirklich geholfen werden kann: auf Gott.

Der israelitisch-jüdische Gottesname bedeutet nach einer schönen Umschreibung des jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber: Gott ist für euch, ist für euch da. - Wenn es uns z.B. in der Konfirmandenzeit oder in der Arbeit der anderen kirchlichen Gruppen nur gelingt, dies zu „buchstabieren“: Gott ist für uns, ist für uns da! Im vielstimmigen Chor der Heilszusagen Gottes klingt der Cantus firmus hindurch: dass die Mutlosen ermutigt werden und für die Gefangenen bald die Zeit der Befreiung anbricht, ein nach der Befreiungsnacht in Ägypten zweiter, ein neuer Exodus. „Die Wüste wird blühen...“, heißt es in einem neueren Lied. (Hier kann der Kantor/die Kantorin das Lied intonieren, vielleicht auch mit der Gemeinde singen.)

III. Wege werden sich auftun... - Gott ermutigt in dem alten Prophetenwort zur Furchtlosigkeit: „Wer bist du denn, daß du dich vor Menschen gefürchtet hast, die doch sterben, und vor Menschenkindern, die wie Gras vergehen und hast Gott vergessen, der dich geschaffen hat...Wo ist nun der Grimm des Bedrängers? Der Gefangene wird eilends losgegeben.“

Nicht alle haben damals auf die Trostbotschaft gehört - das ist heute nicht anders. Aber jenen, die sie hörten und sie auch heute zu Herzen nehmen, gab und gibt sie Kraft - gerade angesichts vieler Bedrängnisse - Kraft und Hoffnung zum Weitergehen. Gott kommt auch noch heute vielfältig, oft unscheinbar zu uns in unsere Not und spricht: „Ich, ich bin euer Tröster...“ - Was bringt dieser Zuspruch bei uns zum Klingen - bei Kindern, Jugendlichen, Erwachse-nen? Auf welche persönlichen Notsituationen fühlen wir uns angesprochen? - Ich bin dankbar für diese Botschaft. Wir wollen die Menschen gerade in diesen Tagen nicht vergessen, denen wir sie verdanken.

Gott tröstet - das bedeutet im biblischen Sinn: Gott richtet auf. Das hebräische Wort bezeichnet auch ein heftiges Atmen und tiefes Seufzen. So sehr ist es diesem Gott darum zu tun, uns aufzurichten, jeden einzelnen Menschen, seine Geschöpfe, sein Volk und seine Gemeinde. Gott hat dafür seine Boten, seine Engel. Vielleicht meldet sich "dein Engel" mit einem unverhofften Brief, einem Telefonanruf, einer e-Mail und nimmt im richtigen Augenblick Verbindung mit dir auf.

Da kann der Zuspruch Gottes plötzlich ganz konkret werden: „Ich, ich bin euer Tröster“, spricht Gott. Diesen „Trost des Evangeliums“, den wir schon aus dem Alten Testament hören und in den sich Jesus hineingestellt hat, meint auch der einladende Wochenspruch (Psalm 66,5): "Kommt her und sehet an die Werke Gottes, der so wunderbar ist in seinem Tun an den Menschenkindern“. Amen.

Liedvorschläge: Gott gab uns Atem (EG 432), Laudate omnes gentes (EG 181.6), Singet dem Herrn ein neues Lied (EG 287)

Heinz Janssen, Pfarrer an der Providenz-Kirche zu Heidelberg und Lehrbeauftragter für AT (Universität Frankfurt/M.)
Evang. Pfarramt Providenz
Karl-Ludwig-Str.8a
69117 Heidelberg
e-mail: providenz@aol.com


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