Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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2. Sonntag nach Epiphanias, 14. Januar 2001
Predigt über Markus 2,18-20, verfaßt von Wolfgang Petrak

18, Und die Jünger des Johannes und die Pharisäer fasteten; und es kamen Leute zu ihm, die sprachen: Warum fasten die Jünger des Johannes und die der Pharisäer und deine Jünger nicht?

19, Und Jesus sprach zu ihnen: Wie können die Hochzeitsgäste fasten, während der Bräutigam bei ihnen ist? So lange sie den Bräutigam bei sich haben, können sie nicht fasten.

20, Es werden aber Tage kommen, wann der Bräutigam von ihnen weggenommen sein wird; dann werden sie fasten, an jenem Tag.

Liebe Gemeinde,

die Zeiten und das Essen. Weihnachten ist gewesen. Jetzt in der Epiphaniaszeit vermeint man zu spüren, wie bereits die Tage länger werden. Die Passionszeit wird kommen. Und dann Ostern, das Fest. Und damit der Frühling, das neue Leben.

Ja, es gibt Zeiten, in denen man gern ißt. Und viel, zugegeben. Es gibt Zeiten, in denen gefastet wird, zumindest bemüht man sich darum. Und: Es gibt Zeiten, in denen der Herr so nah zu sein scheint. Und dann gleich wieder so fern: Wie ist er erkennbar, was ist sein Wille, worauf läuft mein Leben hinaus, am Anfang des Jahres 2001 und überhaupt. Deshalb gehe ich den Zeiten nach, meinen und anderen.

1784: Herder hat Ideen zur Philosophiegeschichte der Menschheit geschrieben. Indes sagt der Schriftsteller Johann Georg Hamann zu diesem Zeitpunkt: „Das erste Gebot heißt: du sollst essen“. Wenn ich diesen Satz heute lese, muß ich lachen. Fröhlich. Erfahrungen fallen mir ein. Wie wir anfang der Sechziger bei der Tante zum Fernsehen eingeladen waren. Da gab es Schnittchen: Tatar mir Zwiebeln und Gurken auf Gersterbrot, Schweizer Käse auf Schwarzbrot. Und dazu Butter. Und Dunkelbier für uns Kinder, Korn für die Erwachsenen. Das war was anderes für einen, der sonst Marmeladenbrot mit Margarine oder Kochkäse kannte, fast schon paradiesisch. Zumal nach der Tagesschau noch das ‘Halstuch’ gesehen werden durfte: ein bißchen Spannung, ein bißchen Abgrund, und dazu das wohlige Gefühl im Bauch. Es verbindet sich mit jenem Bild aus der Schöpfungsgeschichte: „Du darfst essen“, wurde dem Menschen gesagt. „Na klar, sagte der und aß vom Baum der Erkenntnis. Und dann...

25.12.2000, 15.00 Uhr. Es hat gut geschmeckt. Wolfram Siebeckes Frage in ‘LEBEN’, „Weihnachten ohne Gänsebraten ist für mich wie...“, ist für mich eine rhetorische Frage. Natürlich hat es Gänsebraten gegeben. Hinterher, als alle angesichts der Fülle und des schon dämmrigen Lichts ihren Mittagsschlaf halten, schalte ich den Fernseher an, gieße noch einmal von dem Rotwein ein, nehme einen vollen Schluck, schalte den Apparat wieder ab, weil es doch nichts Vernünftiges gibt, nehme noch einen Schluck und lasse in Gedanken den Abend zuvor wach werden: die vertrauten Lieder und das Licht und die Wärme, die von dieser Geschichte ausgeht. „Es begab sich aber zu der Zeit, daß...“die Geburt des Kindes und die Läufe unserer Zeit. Alles hat seinen Anfang in gott. Schöpfung. Am liebsten würde ich jetzt Cat Stevens im wohnzimmer hören. Morning has broken. Aber das stört. Also noch einen winzigen Schluck Navarra und nicht im geschenkten Krimi, sondern wie früher bei Wilhelm Busch geblättert. Zufallig lese ich nach der „Frommen Helene“ dieses Gedicht:

Da kommt mir eben so ein Freund/mit einem großen Zwicker./“Ei“, ruft er, „Freundchen, wie mir scheint,_/Sie werden immer dicker.

Jaja, man weiß oft selbst nicht wie,/So kommt man in die Jahre;/Pardon, mein Schatz, hier haben Sie/ Schon eins, zwei graue Haare!“-

„Hinaus, verdammter Kritikus,/sonst schmeiß ich dich in Scherben./Du Schlingel willst mir den Genuß/Der Gegenwart verderben“.

Ich denke: Genau! Oder wie heißt es doch über den Augenblick: „Verweile doch“. Oder etwas unprosaischer: „So ein Tag, so wunderschön wie heute“. Die Augen werden schwerer.

9.1.2001, 22.30 Uhr. Tageschau. Gesundheitsministerin Fischer und Landwirtschaftsminister Funke sind zurückgetreten. Man merkt ihr selbst am Bildschirm an, wie nah ihr die Entscheidung geht, wie die eigenen Ziele und Ideale im Gegensatz zu der Realität stehen. Von ihm ist zu spüren, wie nah er den Bauern zu sein versucht, wie er vergeblich versucht hat, die wirtschaftliche Situation der Landwirtschaft politisch aufzunehmen und sich zu ihrem Anwalt zu machen, ohne die notwendige ökologische Orientierung zu vernachlässigen. Aber: Es hätte frühzeitiger vorausgesehen werden können, daß BSE auch bei uns auftreten wird. Und es hätte, so ein Kommentar, erkannt werden müssen, die industriealisierte Landwirtschaft und die Nahrungsmittelproduktion ihren GAU hat. Ein weiterer BSE-Fall wird aus Würtemberg gemeldet, das Tier stammt aus Bayern.

Es ist so unheimlich, daß weder die Ursachen noch die folgen klar sind. Ein entscheidender Grund wird die Verwendung von Tiermehl als Kraftfutter sein. Aber nur dieses? Andererseits: Weiß ich, was ich gegessen habe und welche folgen das haben wird? Kann man, darf man wirklich von einem GAU sprechen? Wo ist die Grenze zwischen Beunruhigung und ungerechtfertigter Panik? Muß das wirklich sein, das alle Tiere eines Bestandes getötet werden, wenn sich bei einem Tier der Verdacht bestätigt hat? Oder fordert eine säkulare Gesellschaft säkulare Opfer, damit letztlich alles so weitergehen kann wie bisher? Wohl sind Minister politisch verantwortlich für die Fehler ihrer Bürokratien. Doch mit einem Rücktritt sind die Ursachen nicht behoben. Denn sie liegen beim Verbraucher. Und das bin ich, der mit seinen preislichen Erwartungen Wiederkäuer zu Kannibalen werden ließ. Der Genuß der Gegenwart - nicht ganz frei nach Wilhelm Busch - verdirbt das Leben.

10.1.2001. Am Ende der Routineuntersuchung wird gesagt: „Lassen Sie sich vorn ein Rezept geben. Aber Sie müssen anders leben“.
1784. J.G.Hamann schreibt: „Weh uns, wenn es auf uns ankommen sollte, erst Schöpfer, Erfinder und Schmiede unseres künftigen Glücks zu werden“.

30 n.Chr (oder früher oder später: ich weiß nicht genau): Die Jünger des Johannes fasten. Weil das Reich Gottes kommen soll. Weil man die Welt mit ihren Zusammenhängen und das Leben mit seinen Produktionsweisen deshalb verlassen muß. Statt gewohnter Fülle in der Stadt die Existenz in der Wüste. Fasten: Auf überflüssige Pfunde verzichten, gewiß, aber das ist nur äußerlich. Es geht darum, von sich aus liebgewohnte Gewohnheiten aufzugeben, ja sich in seine bisherigen Ansprüchen zu demütigen, um dem HERRN zu zeigen, wie ernst man es mit der Umkehr meint. Sich zumindest am Versöhnungstag, dem Tag des Opfers zu reinigen, damit alles neu werde. Damit man Ihn für sich einnehmen kann, das hat was für sich.

Die Jünger des Johannes fasten deshalb. Die Pharisäer auch, manchmal. Obwohl von alters her der Wein und der Weinstock ein Zeichen für den kommenden Messias ist, für IHN. So wäre ja auch die Hochzeit zu Kana nichts Gescheites gewesen, ohne entsprechenden Wein. Und wenn es so ist, daß der Bräutigam einen ausgibt, dann halten alle mit, nicht nur die Brautfamilie. Statt zu entsagen soll etwas Neues beginnen: vom Gegebenen zu leben. Und durch Ihn. Und zu Ihm hin.

Als aber die Zeit erfüllet war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste, damit wir die Kindschaft empfingen „(Gal. 4,4f). Es wird uns gegeben, und wir dürfen empfangen. Um anders zu werden, das Leben neu zu verstehen.

Es sind nicht die Produktionsverhältnisse, nicht die selbst geschaffenen scheinbaren Freiräume des Genusses, die uns bestimmen sollen, sondern der, der uns gegeben ist. Sein Leben ist das Geschenk, damit wir unser Leben, unsere Zeit so verstehen. Anders zu werden ohne zu fasten. Deshalb heißt, so Hamman, das „erste Gebot: du sollst essen. Und das letzte: Kommt, denn es ist alles bereit“. Diese Einladung ergeht auch heute. Am 14.1.2001 an uns. Und wir werden dann vom Tisch gehen können, gestärkt, um die Schöpfung zu empfangen und zu bewahren.

Pastor Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen
Tel.:31838
Fax:0551/31627
E-Mail: petri.weende@t-online.de


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