Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Christfest, 25. Dezember 2000
Predigt über Johannes 3,31-36, verfaßt von Robert Schelander

Liebe Gemeinde!

Gestern war Heiliger Abend. Wahrscheinlich haben Sie einen Weihnachtsbaum gehabt, die Kerzen entzündet, vielleicht haben Sie Lieder gesungen, Geschenke verteilt und sich an ihnen gefreut bzw. Freude bereitet. Vielleicht gehört auch eine Krippe und das Lesen des Weihnachtsevangeliums für Sie zum Weihnachtsfest dazu. Vielleicht sind Sie jetzt sogar etwas erleichtert, dass das anstrengende Fest vorbei ist. Nehmen wir uns jetzt die Zeit, noch mal nachzudenken über das, was da geschehen ist – gestern bei diesem Fest und überhaupt in dieser Nacht, da vor 2000 Jahren Jesus geboren wurde. Gott kommt und wird Mensch, so glauben und so bekennen wir es. Hören wir auf den Predigttext für den heutigen Christtag.

„Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an.
Wer es aber annimmt, der besiegelt, daß Gott wahrhaftig ist. Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß. Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.“ Joh. 3, 31-36

Der Evangelist Johannes schreibt von der Menschwerdung Gottes. Gott ist der, der oben ist, und wir Menschen sind hier auf Erden – unten. Es ist uns, weil wir unten sind, nicht möglich, das, was im Himmel ist, zu sehen. Das ist die Ausgangslage. Doch jetzt kommt Bewegung in das Bild. Jemand, der oben ist, macht sich auf, steigt herab, kommt nach unten zu uns. Er ist mitten unter uns, er wird unseresgleichen. Und er lässt uns einen Blick in das, was oben ist, tun. Er spricht davon und er handelt danach. So können wir den Himmel sehen, aber nicht als eine entfernte, entrückte Welt, sondern mitten unter uns. Nicht als Ideal, das hoch über uns schwebt, damit wir eifrig strebend ihm nacheifern – quasi als hochherzigen Menschen – sondern als eine Erkenntnis, die in unser Herz gelegt wird. Eine geistvolle Erkenntnis, die uns das neue, ewige Leben – so schreibt Johannes – sehen lässt.

Freilich nicht alle können es sehen, können es glauben.

Liebe Gemeinde, Johannes spricht sehr nüchtern von Weihnachten, der Menschwerdung Gottes. Keine Krippe, kein Ochs und Esel, kein Stall. Manche Menschen schätzen diese Nüchternheit, scheint sie doch ein Gegengewicht zu unserer oft religiös überladenen Weihnachtszeit zu sein. Hier noch ein Engel und da noch eine Kerze - nach dem Motto, darf es ein bisschen mehr sein an religiösen Symbolen, Bräuchen, Texten und Liedern. Die Welt der Wirtschaft feiert kräftig mit, bis das letzte Rentier, die neueste Weihnachts-CD und der harmonischste Duft – es ist ja Weihnachten – verkauft sind. Bevor wir uns aber zu sehr ereifern über die böse Wirtschaft, die uns um ein besinnliches Weihnachtsfest betrügt, bedenken wir: Die Wirtschaft, der Markt, das sind die Verkäufer und Käufer, also letztendlich wir selber!

Bei Johannes fehlt das alles, kein Rentier, keine Musik, keine Engel, keine Schafe und Hirten. Nur: „Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude ...“ Doch ganz ohne Bilder kommt auch Johannes nicht aus. Meine Fantasie, mein inneres Auge wird vor allem durch das Oben und Unten angeregt. Gott kommt zu Weihnachten. Woher kommt er eigentlich?

Gott kommt von oben.

Wenn ich an Weihnachten in meiner Kindheit zurückdenke, so fällt mir dies zuerst ein: Gott kommt von oben. Vielleicht haben Lieder meine Fantasie angeregt. „Vom Himmel hoch da komm ich her.“ Ich konnte dies sehen, wie das Christkind auf einem Schlitten hinunter fährt. Meine Bilder stammen aus der alpenländischen Umgebung. (Ich bin in Österreich aufgewachsen.) Schnee war auf alle Fälle mit dabei. Es ist faszinierend, welche Bilder von Weihnachten wir im Kopf haben. Vielleicht haben Sie ähnliche Bilder.

Liebe Gemeinde! So kam Gott, wenn ich mich an meine Kindheit zurückerinnere.

Ein zweites Bild erscheint in meiner Rückerinnerung. Weihnachten erlaubt einen Blick hinein in den Himmel. Da ist eine Tür, die sich öffnet, und das Christkind und die Engel kommen daraus hervor. Es ist nicht viel zu sehen, schließlich öffnet sich die Tür nur einen Spalt weit. Aber doch so viel, dass ein heller, warmer Raum deutlich wird. Ich vermutete immer, dass dahinter ein Weihnachtsbaum sich befände, hell erleuchtet mit Kerzen und Kugeln. Damit wurde das irdische Weihnachtszimmer selbst zum Abbild des himmlischen Raumes.

Erst zur festgesetzten Stunde durften wir Kinder hinein. Erst wenn ein Glöcklein läutete, öffnete sich die Tür und darin stand der brennende Baum. Ja, so musste es hinter dem Spalt der geöffneten Himmelstüre aussehen.

Vielleicht haben Sie ähnliche oder ganz andere Kindheitsbilder von Weihnachten im Kopf. Weihnachten ist jedenfalls auch ein Fest des Auges.

Liebe Gemeinde, ich weiß nicht, wie es Ihnen mit solchen Bildern geht. Ob Sie sie verschämt verstecken oder aufgeklärt hinter sich gelassen haben? Ob Sie abgeklärt darüber lächeln oder kritisch darüber den Kopf schütteln? Vieles davon ist jedenfalls auch heute noch der Stoff, aus dem Weihnachten gemacht wird. Immer wieder bin ich erstaunt, wie verzaubert Kinder sind, wenn sie dann den brennenden Baum sehen und etwas von dieser Atmosphäre spüren. Weihnachten ist offensichtlich doch ein Fest für Kinderherzen und –augen.

Doch für manche liegt genau darin auch der Anstoß. Diese Bilder – so der Vorwurf –, dieser religiöse Kitsch, der uns zu Weihnachten geboten wird, verdeckt die eigentliche Botschaft von Weihnachten.

Ich höre die Anklage eines guten Freundes: Wie kannst du Weihnachten feiern, obwohl du weißt um die Armut und Not in der Welt. Hier wird das Kind zum Christkind hochstilisiert, und dort – z.B. in der Dritten Welt – leben Kinder unter unzumutbaren Verhältnissen. Hier werden Kinder mit Geschenken überhäuft, die sie vielleicht nicht einmal brauchen, und dort fehlt ihnen das Lebensnotwendigste. Nein, meint er, diese Art wie Weihnachten gefeiert wird, bringt nicht den Himmel auf Erden, sondern deckt in Wirklichkeit die, die unten sind, zu mit einer Glitzer- und Glamourschicht.

Ich denke, wir müssen die Kritik ernst nehmen. Sie äußerst sich ja auch bei mir selbst und bei anderen, wenn Sie von einem neuen Weihnachten reden, wo es um mehr Besinnung geht, um den radikalen Verzicht, z.B. auf Geschenke, um sich eben jenen Blick auf Weihnachten nicht verstellen zu lassen.

Aber was machen wir mit unseren Bildern von Weihnachten und ich mit meinen kindlichen Erinnerungen? Sollen wir den Blick, abwenden von dem, was oben ist, hinunter auf das, was unten ist?

Vielleicht kann aber unser Text selbst eine Antwort auf die Frage nach dem richtigen Blick auf Weihnachten sein: dem Blick nach oben oder dem Blick nach unten. Der, der oben ist, erzählt von dem, was oben ist, dem Himmel, aber er tut es unten. Gott ist Mensch geworden, nicht in den festlichen Weihnachtszimmern mit Christbaum, Kerzen, Weihnachtsmenü und Bach-CD, sondern – wie es bei Lukas berichtet wird - in einem Stall. Einen Schafstall, den vermutlich keiner von uns, so wie wir heute angezogen sind, betreten würde.

Liebe Gemeinde, wir werden Gott nicht finden und das Leben nicht sehen, wenn wir den Blick nur nach oben richten, auf das Helle, Lichte und Warme. Gott ist zu Weihnachten zu uns gekommen – nicht am hohen Himmel – sondern unten im Dunkeln, Kleinen, Schmutzigen, dem Harten und Schweren.

Liebe Gemeinde, ich wünschen Ihnen gute Weihnachtserinnerungen, dass Sie den Blick auf das, was oben ist, mit dem, was unten ist, verbinden können. Dass Sie sich freuen können und aufgerichtet werden durch den Blick auf die himmlische Herrlichkeit, dass Sie gestärkt den Blick auf das Bedürftige und Niedrige wagen können bei sich und anderen.

Prof. Dr. Robert Schelander
E-Mail: Robert.schelander@univie.ac.at
http://www.univie.ac.at/etf/


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