Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Heiliger Abend - Christvesper, 24. Dezember 2000
Predigt über Johannes 7,28-29, verfaßt von Hinrich Buß

Anmerkungen

"Da rief Jesus, der im Tempel lehrte: Ihr kennt mich und wißt, woher ich bin. Aber nicht von mir selbst aus bin ich gekommen, sondern es ist ein Wahrhaftiger, der mich gesandt hat, den ihr nicht kennt.
Ich aber kenne ihn; denn ich bin von ihm, und er hat mich gesandt."

Liebe Gemeinde am Heiligabend,

eine schöne Bescherung ist das, was uns aus der Bibel auf den Gabentisch gelegt wird. In des Wortes doppelter Bedeutung: Willkommen und beschwerlich. Da tritt neben das Christkind der erwachsene Jesus. Selbstverständlich gehört zum Heiligabend das Christkind, die Geschichte von der Geburt Jesu, von Lukas so erzählt, daß die ganze Erde davon singt und klingt und wir uns einen Heiligabend in der Kirche ohne sie nicht vorstellen können. Sie ist der Beginn der Bescherung und vermutlich ihr schönster Teil. Damit nimmt alles seinen Anfang.

Doch nun kommt zusätzlich der erwachsene Jesus zu Wort, aus dem Johannes-Evangelium redet er dazwischen, er ruft sogar, laut in die stille Nacht hinein, in einer Art Unmutsäußerung, als wollte er Einspruch erheben: Ihr kennt mich, ihr wißt woher ich komme und stamme. "Zu Bethlehem geboren", wie soeben gesungen. Doch ich bin ein anderer, ein Unbekannter, ein Fremder, ein von weither Gesandter. Ist dies eine Störung oder macht es das Geheimnis nur noch größer? Lassen Sie uns schauen.

1. Zunächst die Bescherung. Es wird heute wieder viel auf den Gabentischen liegen, nehme ich an. Schnell gekauft. Oder eher mit Bedacht ausgesucht. An einem Beispiel illustriert, das mir vor einigen Jahren zu Ohren kam. Ein Mann um die 4o will ein Geschenk für seine Frau kaufen. Er geht an den Schaufenstern vorbei und sucht. Das macht er sonst nicht. Er hat zu arbeiten, und Gefühle zu zeigen ist nicht seine Sache. Er hält sie so verborgen, daß er am Ende selbst meint, er habe keine. Aber nun will er seiner Frau etwas zu Weihnachten kaufen. Etwas Schönes; und teuer soll es auch sein. In einem Schaufenster entdeckt er einen beleuchteten Wohnzimmer-Springbrunnen. Etwas Ausgefallenes, das seine Frau bestimmt nicht erwartet. Soll er ihn nehmen, soll er nicht? Der Springbrunnen glitzert so schön, daß er ihn kauft.

Eingepackt steht das stolze Stück unter dem Weihnachtsbaum. Die Frau macht sich zögernd darüber her, und als sie die Bescherung sieht, bricht es aus ihr heraus: "Aber Kai-Uwe, anderes hätten wir viel dringender gebraucht. Daß du gutes Geld für solche Sachen ausgibst!" Er knickt leicht ein und blickt verloren an sich herunter. Wieder nichts.

In Basel, habe ich gelesen, liegt auf dem Barfüßerplatz ein überdimensioniertes Wunschbuch aus für Groß und Klein. Darin steht u.a. die Eintragung, mit großen Lettern geschrieben: "Ich will einen neuen Mann." Na bitte! Das wäre etwas! Doch wird es mit dem neuen besser? - In dem geschilderten Fall hätte da auch stehen können: "Ich will eine andere Frau." Eine, die merkt, was der umständliche Gemahl an Gefühlen in sein großes Paket hinein gelegt hat.

Ja, in Geschenke ist oft viel an Überlegung und Zuneigung hinein gewickelt. Das Auspacken wird so zu einer Kunst. Meistens ist zusätzlich zum Gegenstand etwas Unsichtbares darin, eine Botschaft, die man entschlüsseln soll. Sie lautet: "Ich mag dich." Oder: "Bitte, sieh mein Geschenk an und finde es gut und mich auch."

So ist es mit Weihnachten überhaupt: Es lohnt sich behutsam auszuwickeln. Die Päckchen und erst recht die Geschichten. Damit wir nicht nur Wörter hören, sondern die Botschaft vernehmen, die darin steckt und unser Herz erwärmt.

Die Geburtsgeschichte nach Lukas hat eine große Resonanz gefunden bis in unsere Tage. Sie macht sich in vielen Spielarten bemerkbar. Erwachsene Männer kaufen einen Weihnachtsbaum und stellen ihn auf und kriechen auf dem Teppich herum, um mit den Kindern zu spielen. Erwachsene Frauen backen Plätzchen, auch wenn sie kaum Zeit dafür haben, sie hetzen sich ab, damit es wirklich ein schöner Heiligabend wird.

Natürlich müssen Glaskugeln aufgehängt, Weihnachtspyramiden aufgestellt und Krippenfiguren aufgebaut werden, am besten genau so wie im letzten Jahr. Wenn nicht, droht Ungemach. Warum? Diese Figuren gehören längst zur Lebensgeschichte. Man weiß, welche Tante den Engel mit dem einen Flügel geschenkt hat, und wann die Krippe ins Haus kam und welche Figuren nach und nach dazu gekauft wurden. Viele Familien haben eine Geschichte mit Weihnachten. Die eigene Biographie ist verwoben mit den Hirten auf dem Felde und den Engeln in der Höhe und den Weisen aus dem Morgenland. Sie sind Verwandte älteren Datums und höheren Grades, die sich alle Jahre wieder einfinden. Selbst Ochs und Esel haben ihren Platz in der guten Stube. Und wenn nicht, dann auf dem Weihnachtsmarkt. Auch die dudelnden Karussells drehen sich um das Kind in der Krippe. Es ist, wie wir vorhin gesungen haben: "In seine Lieb versenken will ich mich ganz hinab, mein Herz will ich ihm schenken und alles, was ich hab." Es gibt eine unvergleichlich schöne weihnachtliche Liebesgeschichte, in die viele Menschen über Generationen hinweg einbezogen sind.

2. Aber nun gibt es auch Gegenerfahrungen. Ein Single sagt sich: Diesen Familienrummel tue ich mir nicht an, ich fahre auf die Bahamas. Eine ältere Frau meint: Heiligabend ist der schrecklichste Tag im ganzen Jahr, da nehme ich ein Valium und schlafe durch. Es gibt Obdachlose, die nächtigen draußen, neben dem Schacht eines Kaufhauses z.B., um so ein bißchen Wärme zu spüren. Menschen auf der Schattenseite des Lebens.

"Extra Tip" weiß Rat. Die Zeitung hat dafür geworben, eine Kleinanzeige aufzugeben, mit dem einladenden Text: "Irgendwo ... gibt es ganz sicher einen lieben Menschen, der die Weihnachtszeit zu einem wirklichen Fest der Liebe werden läßt". Ja, es wäre schön. Aber was, wenn nicht?

An dieser Stelle ist es gut, auf den Einspruch Jesu zu hören. Er, der so viel von Liebe geredet hat, neigt nicht dazu, die Liebe von Menschen zu überhöhen, sie gar göttlich zu nennen. Wissend, wie wankelmütig sie sein kann. Gleich im Anschluß an die verlesenen Verse heißt es bei Johannes: "Da suchten sie ihn zu ergreifen". Um ihn einzusperren. Wer allein auf Menschen setzt, ist bald verloren.

Jesus führt die Liebe, die heiß ersehnte, auf Gott zurück. Dort hat sie ihren Ursprung. Von ihm her kommt der Wärmestrom. Aus der Ferne, aus der Fremde, von dem Ganz-Anderen. Von ihm her komme auch ich, gehöre an seine Seite, gehöre also in eine andere Welt. Doch ich bin von ihm gesandt, bin gewissermaßen der göttliche Wärmestrom in Person. Das macht den Impuls, der von Weihnachten ausgeht, so stark. Er erreicht gerade jene, die auf der Schattenseite des Lebens stehen.

Sie, die Tiefen durchschreiten, gewinnen in ihrem Blick eine Tiefenschärfe. Sie sehen durch das Dunkel des Kummers und des Befremdlichen hindurch und entdecken dahinter Gott als Geheimnis und ahnen seinen Glanz. "Wir sahen seine Herrlichkeit," heißt es am Beginn des Johannes-Evangeliums, "eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit." Nicht zu erwarten. Aber nun anzuschauen. Wer nimmt sie wahr?

Ich fand eine mich überraschende Anzeige einer Lampenfirma. Sie hätte werben könnten für die Helligkeit der Neonröhren und die Schärfe der Strahler, sie hätte ein erleuchtetes Fest wünschen können, doch tatsächlich war zu lesen "Gesegnete Weihnachten". Als wüßte sie, die Firma McKnips, daß der Segen und mit ihm der Glanz von Gott kommt. Hier hat jemand wirklich geschaltet.

"Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt", hat uns Jochen Klepper eingeschärft. Da entsteht ein Glanz, der durch Trauer und Leid hindurch strahlt, der von Einsamkeit und Trübsal nicht aufgehalten werden kann. Die Hirten auf dem Felde waren die ersten, denen dies Licht aufging. "Die Klarheit des Herrn leuchtete um sie", heißt es, sie blickten durch und fanden ihren Weg.

Wo solcher Glanz erstrahlt, fangen Menschen an zu singen. "Ehre sei Gott in der Höhe". Was kann es bringen, wenn man Gottes Lob anstimmt? Es bringt die Welt über sich hinaus ins Schwingen. Sie ist nicht mehr mit sich selbst beschäftigt, sie gewinnt Freiheit, sie gewinnt Wahrheit, sie gewinnt Höhe. Weil Gott zu uns gekommen ist, können Menschen über sich hinaus wachsen.

Amen

Anmerkungen

Die Fremdheit des Predigttextes wird aufgenommen und mit der bekannten Geburtsgeschichte (Lk 2,1-20), die zuvor im Gottesdienst gelesen worden ist, in Beziehung gesetzt.

"Schöne Bescherung" ist das Stichwort, welches das Willkommene und Befremdliche thematisiert. Es soll zugleich zum Ausdruck bringen, daß die Geburt Jesu der Bescherung bester Teil ist.

Das Lied "Zu Bethlehem geboren", in der Predigt aufgenommen, ist vorher gesungen worden.

Zur Christvesper um 18.00 Uhr können fast ausschließlich Erwachsene erwartet werden.

Dr. Hinrich Buß
Landessuperintendent für den Sprengel Göttingen
E-Mail: Hinrich.Buss@evlka.de


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