Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Predigt im Gottesdienst am Vorabend der Konfirmation
Frühjahr 2000

Ele Brusermann

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und Jesus Christus unserem Bruder. Amen.

Liebe Konfirmationsfamilien, liebe Gemeinde!

Wie feiert man eigentlich ein christliches Fest?
Das werden sich einige im Blick auf die Konfirmation gefragt haben in den letzten Wochen und Tagen.

Klar, da gab es so typische, traditionelle Dinge vorzubereiten. Wahl eines Essens, zu Hause oder im Gasthaus, die Kleidung war auch so ein Thema. Macht man das eigentlich noch mit dem Tüchlein im Gesangbuch und den Maiglöckchen? wurde ich häufig gefragt. Oder die Einladung: wie gestalte ich eine Einladung zur Konfirmation? Gibt es christliche Symbole die ich nutzen möchte?
Wie feiert man so ein Fest?

Eines ist, finde ich ganz wichtig: nämlich dass wir es jetzt beginnen.
Christliche Feste beginnen am Abend. Das mag manchen überraschen, - obwohl es uns eigentlich ganz selbstverständlich ist. Denn wir feiern jedes Jahr den Heiligen Abend - den Abend vor dem Weihnachtsfest.
Und am Abend vor dem Verrat und der Kreuzigung feierte Jesus das Abendmahl am Gründonnerstag.
Und wir feiern die Osternacht, weil die Frauen am frühen Morgen des Ostertags vor dem leeren Grab standen. Die Auferstehung war Ereignis, Geschichte geworden.

Dass christliche Feste am Abend beginnen, zumindest für den inneren Kreis, die Insider, die Jünger damals, und uns heute, hat mit der jüdischen Tradition zu tun.
Im Unterricht haben wir darüber gesprochen: Für die Juden beginnt der neue Tag nicht um Mitternacht, sondern am Abend, genau: wenn der dritte Stern am Himmel sichtbar wird. Denn es heißt im Schöpfungsbericht der Bibel: es ward aus Abend und Morgen der Tag.

In dieser Tradition sind die christlichen Feste im Ursprung gefeiert worden, und feiern wir heute unsere Konfirmation. Jetzt beginnt sie mit dem Abendmahl im inneren familiären Kreis - morgen früh der öffentliche Höhepunkt - und morgen Abend wird sie bei den meisten auch beendet sein, sitzt man wieder im kleinen Kreis zusammen.

Mit den Wurzeln unseres christlichen Glaubens in der jüdischen Tradition haben auch die Steine zu tun, die am Eingang der Kirche im Weg lagen!
Jetzt liegen sie vor uns.
Und jeder dieser Steine hat seine eigene besondere Form und Größe und Farbe. Wenn jeder seinen Stein eine Weile betrachten würde, in der Hand wiegen und ertasten, dann könnten wir die Steine auf einen Haufen zusammenlegen - und jeder würde seinen wieder herausfinden. Sie sind so individuell, einmalig und einzigartig wie wir selbst.

Und das hat unseren Konfirmandenkurs in ganz besonderer Weise und stärker als in anderen Jahren geprägt: Ihr habt eure Individualität sehr stark eingebracht. Da sind die Eigenarten und Eigenheiten manchmal ganz schön aufeinandergeprallt, steinhart. Manch einer ist dem Anderen zum Stein des Anstoßes geworden, und so war denn unser Weg auch immer wieder ganz schön steinig.

Letztes Jahr auf einen Reise in Israel sind meine Frau und ich auch immer wieder auf Steine gestoßen. Für Juden ist es eine Tradition bei einem Besuch an einem Ort des Gedenkens, einem Grab auf dem Friedhof oder einem Mahnmal einen kleinen Stein niederzulegen.
Ein Zeichen: ich war hier.
Und auch: ich lasse ein Stück von mir hier liegen.
Vielleicht habe ich mir etwas von der Seele geredet, vielleicht ist mir ein Stein vom Herzen gefallen, eine Last von mir genommen.
An manchen Gedenkstätten haben sich so beeindruckende Steinhaufen gebildet.
Steine können ein Zeichen für Verbindungen, für Bindungen sein. Nicht nur Diamonds, girls best friends, sondern auch einfache Kiesel oder Felssteinchen. Da hat einer einen Stein in der Hand gehabt - und ihn weggelegt. Erinnert ihr euch?

In der ersten Zeit unseres Kurses haben wir eine Geschichte von Jesus nachgespielt:
Da hatten die Pharisäer und Schriftgelehrten eine Frau zu ihm gebracht, die beim Ehebruch erwischt worden war.
Und sie sprachen zu ihm: „ Meister, diese Frau ist des Ehebruchs schuldig. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst Du?”
Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger in dem Sand.
Als sie fortfuhren ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: „Wer unter euch frei von jeder Schuld ist, der werfe den ersten Stein.”
Und er bückte sich wieder und malte weiter in dem Sand.
Als die Leute das hörten, gingen sie weg, einer nach dem anderen; und Jesus blieb allein mit der Frau.
Er richtete sich auf und fragte sie: „Wo sind sie, hat dich niemand verdammt?”
Sie antwortete: „Niemand, Herr!” Und Jesus sprach: „So verurteile ich dich auch nicht, gehe hin und sündige hinfort nicht mehr!” (Joh. 8,3-11)

Eine Geschichte, die Gefühle frei macht, weil wir spüren, wie es plötzlich nicht mehr um das Problem Ehebruch geht, sondern viel grundsätzlicher und zugleich hautnäher um die Frage, wie wir mit Schuld und Versagen von uns und anderen umgehen.
Und da sind wir gerne sehr kleinlich, diskutieren über Schuld und Sühne, größere und kleinere Sünden, geringe und unverzeihliche Schuld. Der ganze Krampf und Kampf um anklagen und verteidigen, nachtragen und rechtfertigen, den wir aus Diskussionen und Streitereien kennen, wenn es um Eingeständnis und Aufrechnen geht.
Und am Ende ist dann alles verdorben, weil jeder jeden bezichtigt und das eigene nicht mehr sehen will.

Jesus läßt sich nicht ein auf dieses miese Spiel, in das wir ganz leicht geraten. Er fängt keinen Streit an sondern gibt Zeit zum Nachdenken, jeder über seine Schuld, und es wird möglich, das jeder sich seine Schuld eingestehen kann, ohne sein Gesicht zu verlieren, und es fliegt kein einziger Stein.

Und als alle weg sind, kein Finger mehr auf die Frau zeigt, kein gehässiges Geschwätz mehr, da kann die Sache mit ihr beredet werden, miteinander bereinigt. Da hört bei aller Liebe die Liebe nicht auf, sondern kommt es trotz Schuld zur Vergebung, die einen neuen Anfang möglich macht, der immer noch schwer genug bleibt.

Ihr habt euch sehr gute - und vor allem sehr persönliche Bibelsprüche zu eurer Konfirmation gewählt. Das wird aus den Begründungen euer Wahl deutlich. Einen möchte ich vorlesen, nicht weil er irgendwie besser ist, sondern hier so gut herpasst:

Gott spricht: Ich tilge deine Missetat wie eine Wolke und deine Sünde wie den Nebel. Kehre dich zu mir, denn ich erlöse dich! ( Jes. 44,22) Die Begründung der Wahl: „Wenn man sich diesen Spruch durchliest, regt er einen zum Denken an und man stellt sich vor, wie Gott diese ganze Wolke auflöst und man ist wieder befreit. Der Spruch hat einen geheimnisvollen Touch, er steht in meinen Augen für Hintergrund, Wahrheit und Tiefe.

Wir haben einen Stein vor uns, einen ganz persönlichen. Ist er als Waffe gegen andere begehrt, oder ein Symbol eigener Last und Fehlerhaftigkeit? Ich möchte gerne, das wir nachher zum Abendmahl unsere Steine mit nach vorne bringen und hier auf den Boden legen, am besten in der Form eines Kreuzes.
Vielleicht einfach nur zum Zeichen, das wir da waren, vielleicht auch weil wir etwas loswerden, dalassen wollen. Kein anderer weiß, was uns bewegt.
Ich denke, das ist ein guter Anfang dieses Festes.

Miteinander Abendmahl feiern heißt: Miteinander leben, befreit von dem was oft zwischen uns steht. Auch ein Neuanfang ist möglich mit Gott und mit unseren Mitmenschen. Und dann ist eine Kirche nicht ein Gebäude aus alten Steinen, sondern ein Ort der Begegnung von Menschen, ein Platz, wo man etwas los werden kann, ein Gasthaus - für fröhliche Leute. (Titelbild des Liedblattes)
Wir sind eingeladen, sie immer wieder für uns und andere dazu zu machen.
Denn:
Keinen Tag soll es geben, an dem Du sagen mußt: Ich halte es nicht mehr aus.-
Keinen Tag soll es geben, an dem Du sagen mußt: Niemand ist da der mich hört.-
Keinen Tag soll es geben, an dem Du sagen mußt: Niemand ist da, der mit mir spricht.-
Keinen Tag soll es geben, an dem Du sagen mußt: Niemand ist da, der mich liebt. -
Denn Gott ist da, Tag für Tag.
In Jesu Namen, Amen

Pastor Ele Brusermann, Schulstr. 1, 28844 Weyhe - Leeste
E-Mail: Ele.Brusermann@evlka.de

Die Predigt wurde am Vorabend der Konfirmation am 20.5.2000 in Leeste gehalten. Sie entstand mit Verwendung des Beitrags „ Wer nimmt den ersten Stein ?” von Hans H. Reimer in: Arbeitsbuch Gottesdienst Gütersloh 1990 Seite 153 ff.


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