Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Heilig Abend, Christvesper
24. Dezember 1999
Jesaja 9,1-6

Jürgen Berghaus

Lieder: EG 36, 1 - 3 . 9 . 10 (Fröhlich soll mein Herze springen); EG 23, alle 7 (Gelobet seist du, Jesus Christ); EG 56, alle 5 (Weil Gott in tiefster Nacht); EG 44, alle 3 (O du fröhliche)

Liebe Gemeinde !

„Die Angst vergeht, die Nacht ist um, das Gottesreich will kommen !“ Diese knappen Zeilen sind zu finden in dem Gedichtband „Weihnachtsnachrichten“ von Armin Juhre. Ich meine, sie fassen das Wesentliche des heutigen Tages und auch unseres Predigttextes in einer gelungenen Weise zusammen. Gewiß wäre da noch viel mehr zu sagen, aber Nachrichten sind eben kurz - und gerade so bewahren sie das, worauf es ganz besonders ankommt.

Weihnachten : Jesus ist geboren! Die Sehnsucht der Menschheit wird erfüllt! Gott kommt in Israel zur Welt! Himmel und Erde begegnen sich! Engel künden vom geschehenen Heil! Hirten und Könige knieen vor dem Krippenkind! Eine ganze Nachrichtensendung könnte man füllen mit solchen Schlagzeilen. Kein Wunder also, daß Weihnachten sich im Laufe der Jahrhunderte zu einem Fest entwickelt hat, dem heutzutage allergrößte Bedeutung zukommt innerhalb des Christentums und wohl auch noch ein Stück über seine Grenzen hinaus.

In einer einzigen Predigt ist es nicht möglich, sämtliche Aspekte dieses Großereignisses anzusprechen. Unser Bibeltext aus Jesaja 9 jedoch kann eine gute Hilfe sein, Wesentliches zu entdecken und dies vielleicht sogar nach dem Ende der Festtage nicht gleich wieder zu vergessen. Dem will ich jetzt weiter nachgehen unter den Stichworten : Menschen im Dunkel - Freude über Befreiung - Die Herrschaft des königlichen Kindes. Am Ende soll noch danach gefragt werden, wie sich unser Glaube an Jesus Christus zu den Verheißungen des Alten Testaments verhält.

1. MENSCHEN IM DUNKEL

Unser Predigttext beginnt mit einer eher negativen Wahrnehmung: Ein Volk sitzt im Finstern, Menschen wohnen im „Tal der Todesschatten“. Es ist keineswegs selbstverständlich, so zu beginnen. Allzuoft richten sich unsere Augen doch nur auf das, was im Scheinwerferlicht passiert. Die „Stars“ wecken unser Interesse, die Gewinnertypen, die Leute ganz oben.

Und die anderen? „Eure Armut kotzt mich an!“ habe ich mal als Aufkleber an einem gar nicht so billigen Auto gelesen. Wie gehen wir mit jenen Mitmenschen um, deren Einkommen weit unter dem des Durchschnitts liegt / die ohne Aussicht auf Heilung chronisch krank sind / deren geistige und körperliche Kräfte im Alter spürbar nachlassen ? Nehmen wir sie wirklich ernst in ihrer Bedürftigkeit, und leisten wir unseren Solidarbeitrag als Geldzahlung oder als Zeitspende ? Oder schieben wir sie nicht eher zur Seite, diese lästigen Abfallprodukte unserer Wohlstands- und Leistungsgesellschaft ?

Am Anfang der Weihnachtsbotschaft steht der klare Blick auf all das Elend in unserer Welt. Die Krippe im Stall von Bethlehem und die Menschen im Tal der Todesschatten ziehen unsere Aufmerksamkeit weg von der Glitzerpracht und hin zu real existierenden Notlagen. Gewiß würde es bei weitem unsere Möglichkeiten überschreiten, alle Probleme dieser Welt sehen und beheben zu wollen. Aber an einem Punkt genau hinzuschauen, sich von den Sorgen der jeweils Betroffenen anrühren zu lassen und hier ganz gezielt etwas zum Besseren zu wenden - das ist uns wohl allen aufgetragen.

2. FREUDE ÜBER BEFREIUNG

Unser Predigttext aus Jesaja 9 verfällt angesichts der Menschen im Dunkel nun aber keineswegs in Trübsinn. Die ganze Stimmung dieses Bibelabschnitts ist vielmehr auf Jubel, Freude und Fröhlichkeit hin ausgerichtet. Nicht unsere still-besinnliche Weihnachtsbaum-Idylle steht hier im Hintergrund, sondern eher ein Polterabend, ein Hochzeitsfest, eine Millenniumsfeier der knalligen Sorte.

Grund für das ausgelassene Treiben ist eine tiefgehende Befreiungserfahrung: das drückende Joch und die Peitsche des Antreibers sind zerbrochen, Militärstiefel und Uniformen werden verbrannt. Liebe Gemeinde, laßt uns solch ein Gefühl für Befreiung nicht zustopfen mit Festtagsessen und Süßigkeiten, sondern laßt uns danach Ausschau halten, wo wir unter schweren Lasten stöhnen / wo uns eigene oder fremd gesetzte Ziele gnadenlos antreiben / wo wir (vielleicht unbewußt) teilhaben an Strukturen der Gewalt gegen andere oder wo wir selbst von solcher Gewalt als Opfer betroffen sind.

An Weihnachten soll die Botschaft von der Befreiung laut werden, und wir dürfen uns davon anstecken lassen und ausgelassen jubeln - ohne Angst, daß sich das doch nicht gehört unter gesitteten Menschen. Wer wirklich befreit ist von zentnerschweren Gewichten auf der Seele, dessen Jubel drängt nach außen und läßt einen nicht reglos im bequemen Sessel sitzen bleiben.

Liebe Gemeinde, Freude über Befreiung kann man niemandem vorschreiben. Sie setzt voraus, daß ich mir meiner eigenen Fesseln und falschen Abhängigkeiten bewußt werde und mich sehnlichst nach einem Loskommen davon ausstrecke. Dann erst bin ich wirklich bereit, der Freudenbotschaft von Gottes befreiendem Wirken aufmerksam zuzuhören und sie auf mich ganz persönlich zu beziehen.

3. DIE HERRSCHAFT DES KÖNIGLICHEN KINDES

Entscheidender Hoffnungsinhalt für Menschen im Dunkel und zentrale Begründung für die Freude über Befreiung ist nach unserem Predigttext aus Jesaja 9 die Herrschaft des königlichen Kindes. Darum will ich uns die Verse 5 und 6 noch einmal vorlesen : (...)

Liebe Gemeinde, alles, was Jesaja bisher sagte, läßt sich sprachlich und inhaltlich aus seiner Zeit und aus den Überlieferungen Israels verstehen. Nun jedoch wird die Königssalbung eines jungen Prinzen zum Ausgangspunkt für eine gewaltige, weit in die Zukunft hinausgreifende Hoffnung. Sie macht sich fest an den Ehrentiteln, die dem Königskind zugesprochen werden. Gerade jüdische Bibelausleger haben immer wieder um das rechte Verständnis dieser Namen gerungen : wundervoller Ratgeber, mächtiger Gott, Vater auf ewig, Friedensfürst.

Der letzte dieser vier Ehrentitel erfährt noch weitere Ausmalung: ein machtvolles Königreich des Friedens wird dem Davidssohn zugesprochen; es hat ewigen Bestand und ist erfüllt von Recht und Gerechtigkeit. Welch ein Kontrast zu all dem Zank und Streit, zu jenen ganz menschlichen Verführbarkeiten, wie sie uns auch aus der Politik unserer Tag gut bekannt sind. Für mich besteht kein Zweifel : bis zum Jahresbeginn 2000 wird diese Verheißung wohl kaum in Erfüllung gehen !

Damit bin ich bei meiner Schlußfrage angelangt : Wie verhält sich mein Glaube an Jesus Christus zu den Verheißungen des Alten Testaments? Ich will ganz persönlich antworten. Wir leben noch nicht in der von Jesaja erhofften Welt des ewigen Friedens, und gerade darum halte ich mir die Verheißung des Propheten immer wieder als Ziel all unserer Wege vor Augen. Andererseits sehe ich im Krippenkind Jesus den gekreuzigten und auferstandenen Christus; im Glauben an IHN habe ich schon jetzt Sündenvergebung und neues Leben. Das eine ist da, das andere wird ersehnt. Ich freue mich darauf, bei der Vollendung der neuen Welt Gottes jenem erwachsen gewordenem Kind wiederzubegegnen, dessen Geburt im Stall von Bethlehem wir heute und alle Jahre wieder feiern. „Die Angst vergeht, die Nacht ist um, das Gottesreich will kommen !“ Amen.

Jürgen Berghaus, Pfr., Ev. Johanneskirche LEV-Manfort
E-Mail: eki-manfort@telda.net


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