Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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21. Sonntag nach Trinitatis
24. Oktober 1999
Matthäus 10, 34-39

Friedrich Wintzer

Vorbemerkung zur Predigt:

Der Predigttext handelt von der Sendung Jesu und von den Erfahrungen in der Nachfolge Jesu. Dabei wird der Gedanke von der Familienspaltung aufgenommen, wie er Mi. 7,6 anklingt. Mt. 10,34 ist mit U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus Bd. 2, S.137 so zu verstehen: "Nicht um das Schwert zu bringen, ist Christus gekommen, sondern durch das Kommen des Christus kommt es zu Scheidungen und Kämpfen." Die Seligpreisung derer, die Frieden schaffen (Mt. 5,9) wird nicht aufgehoben, aber die möglichen leidvollen Konsequenzen der Nachfolge werden benannt.

Predigt

Der neutestamentliche Text für die heutige Predigt stammt aus der Rede Jesu bei der Berufung der Jünger. Im 10. Kapitel des Matthäusevangeliums kündigt Jesus in dieser Rede an die Jünger an, daß es in seiner Nachfolge auch Entzweiungen und Leiden geben werde. Dieser Text lautet in den Versen 34 - 39: 34. Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird`s finden.

I

Betroffenheit, Erstaunen und auch Abwehr löst dieser biblische Text sicher bei vielen aus. Wir verstehen das Christentum ja in erster Linie als eine sehr versöhnliche Lebensorientierung. Was bedeutet dann diese provozierende Ankündigung Jesu: "Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde... Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert." Dieser Bibelabschnitt enthält eine radikale Rede. Wir werden in das Nachdenken gebracht durch diese Worte.

Manche Christen haben diese Worte sogar sehr ernst, bitter ernst genommen. Sie haben diese wörtlich verstanden. Diese Worte wollen jedoch sagen, daß durch das Kommen des Christus es zu Kämpfen und Leiden kommen kann. Manche Christen aber setzten diese Wort direkt in die Tat um. In den Kreuzzügen des Mittelalters zogen die Heere der Christenheit nach Jerusalem, um die Heilige Stadt zu erobern. Sie brachten nicht Frieden, sondern führten das Schwert. Wer sich jenen in den Weg stellte, geriet in Lebensgefahr. Auf beiden Seiten kamen Menschen um. Um Jesu Christi willen, so meinten die an den Kreuzzügen Beteiligten, zogen sie in den Krieg. Es gab sogar Prediger, die sie zu diesen Kreuzzügen drängten.

In den Religionskriegen des späten Mittelalters sind die Christen untereinander nicht anders verfahren. Mit Betroffenheit erinnern wir uns heute daran, daß Protestanten und Katholiken wegen der unterschiedlichen Ansicht über die Glaubenswahrheit gegeneinander kämpften. Weltliche Machtinteressen vermischten sich damals mit den konfessionellen Gegensätzen. Es entstand der 30-jährige Krieg. Nach dessen Ende formulierte der Dichter und Pfarrer Paul Gerhardt in einem Lied zur Jahreswende die tief empfundene Bitte an Gott: "Schleuß zu die Jammerpforten, und laß an allen Orten, auf so viel Blutvergießen / die Freudenströme fließen." Hatte Paul Gerhardt nicht besser verstanden, was Gottes Wille ist? "Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens" lautete doch die Weihnachtsbotschaft.

II

Eins ist freilich richtig: der Abschnitt aus dem Matthäusevangelium will darauf hinweisen, daß das Christentum eine Religion der Entscheidung ist. Mit dem christlichen Glauben wird eine Lebensorientierung eingeschlagen, die Konsequenzen hat. Der christliche Glaube ist keine Lebensform der Beliebigkeit, sondern er hat Konsequenzen für die, die ihn ernst nehmen. Wer sich in der frühen Kirche taufen ließ, wandte sich damit von der Religion ab, welcher die eigene Familie anhing. Die als Christen Getauften nahmen z.B. in Rom nicht mehr am staatlichen Kaiserkult teil, bei dem der Kaiserstatue Rauchopfer dargebracht wurden. Die Aufnahme in die Gemeinschaft der Christen bedeutete einerseits, eine neue Familie mit Schwestern und Brüdern gefunden zu haben. Aber andererseits vollzog sich auch die Trennung von den Familienmitgliedern, die weiterhin dem heidnischen Kaiserkult anhingen. Mit den Worten Jesu: "Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert."-

Gefeiert wird in der Taufe die Erleuchtung durch Christus und der Zugang zu dem Reich Gottes. Als Konsequenz dieser Taufentscheidung ergab sich nicht selten die Ablösung von der bisherigen Familie. Von einer ähnlichen Trennung berichtete neulich im Fernsehen ein junger Mann, der vor 10 Jahren in Leipzig an der Friedensdemonstration teilgenommen hatte, welche von der Nikolaikirche ausging. Er litt darunter, daß draußen unter den Volkspolizeieinheiten auch sein eigener Vater war.

III

Im Matthäusevangelium steht neben diesem Bibelabschnitt aber noch ein anderes Jesuswort. Eine Seligpreisung lautet: "Selig sind die Frieden schaffen, denn sie werden Gottes Kinder heißen." (5,9) Dieses Wort klingt fast wie eine Gegenrede zu dem heutigen Predigttext, in dem Jesus sagt, er sei nicht gekommen, Frieden zu bringen. Die Seligpreisung derer, die Frieden schaffen, ist ein Grundmotiv des christlichen Glaubens. Sie erfordert auch die Entschiedenheit des christlichen Glaubens. Gerade diese Seligpreisung hat angesichts der Kriegsgefahr zwischen Ost und West in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Menschen und Gruppen zum Nachdenken und zu Protesthandlungen angeregt. "Laßt uns Frieden machen, aber keinen Krieg" lautete die Parole, die angesichts der militärischen Hochrüstung vor Jahren plakatiert wurde. Bei der Feier des heiligen Abendmahls geben sich Christen ein gegenseitiges Zeichen des Friedens, weil der Friede in der Nachfolge Christi die Herzen leiten soll. "Versöhnen, nicht spalten" lautet der politische Leitsatz des jetzigen Bundespräsidenten. Dieser hat ihn auf dem Hintergrund des christlichen Glaubens formuliert. Er ist nicht als ein Zeichen vereinfachenden Harmoniestrebens mißzuverstehen. Der Friede ist ein hoher Wert für Christen. Unter friedfertigen Menschen sind auch notwendige Auseinandersetzungen möglich, weil sie ohne Haß sind.

IV

Neben der Ermutigung, Frieden zu schaffen, steht im Neuen Testament auch die Erzählung von Jesu wahren Verwandten. (Mk. 3,31-35) Sie beschreibt, daß Jesus den Willen Gottes über die Familienbande stellen konnte. Einst ließen die Mutter Jesu und seine Brüder Jesus rufen, der mit einer Gruppe aus dem Volk zusammen saß und redete. Als das Jesus hörte, daß die Familie nach ihm rief, antwortete er: "Wer ist meine Mutter und meine Brüder?" Und Jesus wies auf diejenigen hin, die um ihn im Kreise saßen und sprach: "Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter." -

Die Gegenüberstellung der Seligpreisung aus der Bergpredigt und der Jüngerrede im 10. Kapitel des Matthäusevangeliums zeigt, daß die Friedensnachfolge Jesu Christi nicht mit einem allgemeinen Harmonisierungsstreben zu verwechseln ist. Auseinandersetzungen müssen oft sein, damit Menschen ihre Identität vor allem im Jugendalter finden und nicht mehr nur angepaßt leben. Jesus selbst hat den Weg gesucht, von dem er meinte, daß er dem Willen Gottes entspricht. Darum trennte er sich von der Familie und schloß sich Johannes dem Täufer an. Darum predigte er das Kommen des Gottesreiches und rief zur Buße auf. Er ging aber wieder aus dem Kreis um Johannes den Täufer heraus und berief seine eigene Jüngerschar. Er rechnete damit, daß sein Weg als "Prophet" Gottes in das Leiden führen werde. Und er schloß seine Nachfolgerinnnen und Nachfolger nicht aus. Er weist darauf hin, daß seine Nachfolge in das Leiden führen kann: "Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist mein nicht wert."- Die Nachfolge Jesu Christi hat verschiedene Gestalt. Der Weg des Glaubens hat Dietrich Bonhoeffer im 3. Reich in den Widerstand geführt, an dessen Ende der gewaltsame Tod auf Beschluß eines Sondergerichts stand. Albert Schweitzer gab in der Nachfolge Jesu Christi seine wissenschaftliche Laufbahn auf und ging nach dem zusätzlichen Medizinstudium in ein Entwicklungsgebiet Afrikas, um die Nächstenliebe in die Tat umzusetzen und den kranken Menschen zu helfen. Beide Christusnachfolger hätten dem Wochenspruch dieser Woche zugestimmnt, der im 12. Kapitel des Römerbriefes steht: "Laß dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Bösen mit Gutem."

Vor 10 Jahren in der Zeit der Wende hat der Theologe Klaus Peter Hertzsch aus Jena ein Lied gedichtet, das Gewissheit auf den unterschiedlichen Wegen der Nachfolge schenken will. Es bezieht sich auf die Wege, auf denen Leben und Leiden, Gelingen und Scheitern, Gemeinschaft und Zertrennung nahe beieinander liegen. (EG 395) Der Anfang der 1. Strophe lautet:

Vertraut den neuen Wegen, auf die der Herr uns weist,
weil Leben heißt: sich regen, weil Leben wandern heißt.

Und die 3. Strophe beginnt:
Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt!
Er selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land.

Amen

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Prof. Dr. Friedrich Wintzer, Meckenheim bei Bonn


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