Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
(Tipps zum Speichern und Drucken: Hier klicken)

20. Sonntag nach Trinitatis
17. Oktober 1999
1. Mose 8, 18-22

Johannes Neukirch

Liebe Gemeinde,

ein großes Schiff, eine riesige Überschwemmung, Tiere, eine Taube, ein Regenbogen - ahnen Sie schon, worum es geht? Ja, die biblische Geschichte von der Arche Noah ist überaus bekannt. Schon als Kinder haben wir sie kennen gelernt - im Kindergottesdienst, im Religionsunterricht oder wo auch immer. Diese Geschichte fehlt in keiner Kinderbibel.

Warum ist ausgerechnet diese Erzählung so beliebt? Zu einem großen Teil liegt das sicherlich daran, dass sie sich so schön erzählen und vor allem so schön darstellen und malen lässt. Noah baute ein großes Schiff, die Arche, mitten auf dem Land, weit und breit war kein Wasser zu sehen - schon das ist ein interessantes Bild. In der Bibel gibt es dazu sogar genaue Anweisungen. Gott sprach zu Noah: "Mache dir einen Kasten von Tannenholz und mache Kammern darin und verpiche ihn mit Pech innen und außen." Es folgen noch genaue Maßangaben, wie groß das Schiff sein soll. Dann nimmt Noah von allen Tieren je ein Paar und führt sie in die Arche - das ist eines der beliebtesten Motive für die Illustration der Geschichte. "Und du sollst", sagte Gott, "in die Arche bringen von allen Tieren, von allem Fleisch, je ein Paar, Männchen und Weibchen, dass sie leben bleiben mit dir. Von den Vögeln nach ihrer Art, von dem Vieh nach seiner Art und von allem Gewürm auf Erden nach seiner Art." Nachdem die große Flut gekommen war und nachdem sie schon wochenlang unterwegs gewesen waren, schickte Noah immer wieder Vögel los, um herauszubekommen, ob schon wieder Land in Sicht ist. Schließlich kommt eine Taube mit dem Blatt eines Ölbaums zurück - da weiß Noah, dass die Flut zurückgeht. Zu guter Letzt sieht Noah einen Regenbogen - als Zeichen Gottes, dass so etwas nie wieder passieren wird. Auch dieser Regenbogen ist schon von unzähligen Kindern im Kindergottesdienst gemalt worden und die Bilder davon hingen schon in vielen Kirchen und Gemeindehäusern.

Aber die Geschichte von der Arche Noahs ist nicht nur deshalb so beliebt, weil sie so dramatisch und bunt ist. Es ist auch eine spannende Glaubens- und Hoffnungsgeschichte: Nur weil Gott es ihm sagt, baut Noah mitten auf dem Land ein riesiges Schiff. Er tut, was Gott ihm aufträgt. In der Geschichte werden Menschen und Tiere vor dem sicheren Tod gerettet. Gott schließt einen Bund mit Noah und seiner Familie und gibt ein Versprechen: Es soll keine Sintflut mehr geben.

So haben wir diese Geschichte vor Augen - die Arche als rettendes Boot, als Ort der Zuflucht, fast schon der Geborgenheit. Darüber kann es leicht geschehen, dass wir vergessen, was überhaupt zu dieser gewaltigen Überschwemmung, zur Sintflut geführt hat. Wir vergessen leicht, dass das auch eine brutale und grausame Geschichte ist. Denn es ist doch so: Noah und seine Großfamilie ("du sollst in die Arche gehen mit deinen Söhnen, mit deiner Frau und mit den Frauen deiner Söhne") und die Tiere werden gerettet. Der Grund dafür ist: "Noah war ein frommer Mann und ohne Tadel zu seinen Zeiten; er wandelte mit Gott."

Alles andere Leben auf der Erde kommt in der Geschichte um. Denn, so beginnt das ganze Drama: "Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe."

Und es wird in dieser Geschichte dann auch ganz genau beschrieben, wie das vor sich ging: Vierzig Tage lang regnet es ununterbrochen "und die Wasser nahmen überhand und wuchsen so sehr auf Erden, dass alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden. Da ging alles Fleisch unter, das sich auf Erden regte." Schließlich lesen wir: "Allein Noah blieb übrig und was mit ihm in der Arche war."

Auf der einen Seite der brutale Gedanke, dass Gott die Schöpfung der Menschen bereut und sie alle umbringen will. Auf der anderen Seite das Symbol der Arche, die Rettung, und der Regenbogen als Zeichen, dass Gott mit den Menschen einen Bund schließt, ihnen das Versprechen gibt, sie am Leben zu erhalten, ihnen treu zu bleiben. Wie passt das zusammen?

Lassen Sie uns einen Blick auf das Ende der Sintflut richten, auf den Augenblick, als die Wasser wieder weg waren. Gott sagt dann zu Noah, er soll zusammen mit seiner Familie und allen Tieren die Arche verlassen:

"So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen. Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."

An dieser Szene merken wir wieder, warum die Noah-Geschichte so beliebt ist: Gott hat hier so menschliche Züge! Er lässt sich von dem dankbaren Noah beeinflussen. Es ist ihm offensichtlich nicht egal, ob auf seiner Erde Menschen sind oder nicht. Denn wenn da niemand mehr gewesen wäre, könnte ihm auch niemand ein Dankopfer bringen, dann würde er nicht den "lieblichen Geruch" riechen. "Gott spricht in seinem Herzen" - das ist ein anrührender Gedanke: Gott hat eine Beziehung zu uns Menschen. Weil Noah ihm dankbar ist, lässt sich Gott in seinem Herzen ansprechen! Und nicht nur das: Er beschließt, dass so etwas wie diese grausame Sintflut nie mehr geschehen soll.

Da stellt sich doch aber die Frage: Was hat sich denn durch die Sintflut grundlegendes geändert? Vor der Sintflut war es doch so: "Gott sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar." Und nach der Sintflut ist es immer noch so: "denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf." Letzten Endes, so folgt daraus, hat sich durch die Sintflut bei den Menschen nichts geändert. Aber Gott hat sich geändert: Er hat zwar immer noch genug Gründe dafür, immer wieder eine neue Sintflut zu schicken, er tut es aber nicht mehr! Statt dessen nehmen Gott und Noah einen Kontakt auf, treten in eine Beziehung zueinander.

Ich glaube, wir sollen durch diese Geschichte von der Arche Noah begreifen, wie Gott zu uns steht, was er für ein Verhältnis zu uns hat. Offensichtlich will er gar keine anderen Menschen haben als die, die es gibt, keine anderen als uns. Wenn er das gewollt hätte, dann hätte er nicht Noah und seine Familie die Arche bauen lassen. Gott hat sich sozusagen damit abgefunden, dass wir so sind, wie wir sind. Er hat die Schöpfung nicht wiederholt und versucht, es beim zweiten Mal besser zu machen. Aber er möchte, dass wir, so wie Noah, "mit Gott", also mit ihm "wandeln". Er möchte, dass wir eine Beziehung zu ihm haben, er möchte - so ist es in unserer Geschichte ausgemalt - "den lieblichen Geruch" unserer Dankopfer riechen! Er tut sehr viel für diese Beziehung: Er hält er sich zurück, er legt sich selbst eine Grenze auf, er will uns retten.

Dieses ganze Drama mit der Sintflut, der Arche und dem Regenbogen sagt uns: Du, Mensch, bist wertvoll für Gott. Er will etwas von dir! Wegen dir hält er seine Gerechtigkeit zurück und schickt keine zweite Sintflut. Wegen dir spricht er in seinem Herzen: Ich will das Leben erhalten! Genug Grund für uns, Gott treu zu sein, dankbar zu sein und mit ihm zu wandeln.

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Geversdorf
E-Mail: johannes.neukirch@t-online.de

(zurück zum Seitenanfang)