Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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10. Sonntag nach Trinitatis
27.8.2000
Joel 3

Eberhard Harbsmeier

Predigt beim ökumenischen Gottesdienst in der Reformierten Kirche in Kopenhagen

Predigttext Joel 3:
"Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen über alles Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Alten sollen Träume haben, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen. Auch will ich zur selben Zeit über Knechte und Mägde meinen Geist ausgießen. Und ich will Wunderzeichen geben am Himmel und auf Erden: Blut, Feuer und Rauchdampf. Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe denn der große und schreckliche Tag des Herrn kommt. Und es soll geschehen: wer des Herrn Namen anrufen wird, der soll errettet werden. Denn auf dem Berge Zion und zu Jerusalem wird Errettung sein, wie der Herr verheißen hat, und bei den Entronnen, die der Herr berufen wird."

Liebe Gemeinde!

Es gibt Situationen, da weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Und es ist merkwürdig, daß uns oft, wenn uns Freude überwältigt, zum Heulen ist, und umgekehrt, wenn uns Unglück widerfährt, können wir das oft nur durch Humor und Lachen bewältigen.

Ich habe das oft erlebt als Pfarrer, daß den Leuten bei einer schönen Hochzeit plötzlich zum Heulen zumute ist. Ist das nur Rührung, oder spielt auch Angst eine Rolle?

Und es wird berichtet von einem Mann vor über 100 Jahren, der tragisch mehrere Kinder verlor, dazu auch zwei Mal seine Frau. Als seine dritte Frau gestorben war, meldet er den Todesfall dem Pfarrer mit den Worten: Herr Pastor, nun muß ich schon bald selber lachen, nun habe ich wieder meine Frau verloren. Ist das Zynismus? Oder spricht sich darin nicht die Erfahrung aus, daß ohne Lachen das Leben manchmal gar nicht zu ertragen wäre. So wie es in der alten griechischen Osterliturgie feste Sitte war, daß man mit dem Osterlachen sich über den Tod lustig machen sollte, es war sozusagen erwünscht, daß der Pfarrer durch derbe Scherze die Gemeinde dazu bringen mußte, über den Tod herzhaft zu lachen.

Man weiß manchmal nicht, ob man lachen oder weinen soll, so ergeht es einem wohl auch, wenn man diesen Text hört vom Propheten Joel, in dessen Mittelpunkt die Botschaft vom Tag des Herrn steht. Der Tag des Herrn, ist das nun etwas, worauf man sich freuen soll, oder soll man davor Angst haben? Um es gleich zu sagen: Ich kann diesen Text nicht so verstehe, daß man sagt: das kommt darauf an, wer man ist, die einen, wir natürlich, haben Grund zur Freude, die anderen müssen sich fürchten. Das wäre eine selbstgerechte und pharisäische Art, diesen Text zu verstehen. Ich denke, wir sollten ihn so verstehen, daß der Tag des Herrn, der Tag der Wahrheit, für jeden Menschen sowohl Grund zur Freude als auch zum Weinen ist. Und ich meine eben dies ist das Thema dieses Textes: Lachen und Weinen gehören eng zusammen, so wie der dänische Dichter Kingo das in seinem großen Lied "Sorrig og glæde de vandre til håbe" beschrieben hat, Leid und Freude sind Geschwister, man kann eines nicht ohne das andere haben. Wer sich gegen das Leid abstumpft, sein Leben narkotisiert, kann auch keine wahre Freude empfinden. Theologisch gesprochen: Gericht und Gnade gehören zusammen.

Und ich denke, wenn der Prophet Joel vom Tag des Herrn spricht, so meint er damit nicht nur etwas, was in einer fernen Zukunft geschieht, sondern er meint auch die Gegenwart, hier und jetzt: Immer dann, wenn sich etwas entscheidet, immer wenn das Leben auf dem Spiele steht, ist der Tag des Herrn, der Tag der Wahrheit. Die Alten haben das richtig verstanden, indem sie unseren Sonntag nach diesem Worte des Propheten Tag des Herrn nannten, immer dann, wenn wir das Wort der Gnade und des Gerichts hören, ist Tag des Herrn.

Und wenn der Prophet uns etwas über diesen Tag des Herrn sagen will, gebraucht er ein altes Wort, ein Wort, das uns vielleicht schon so vertraut ist, zu vertraut ist, daß wir es immer neu verstehen lernen müssen: das Wort vom Geist, den Gott schickt. Und ich denke, daß dieses Wort etwas zu tun hat mit Lachen und Weinen, Gericht und Gnade. Denn Geist hat ursprünglich etwas zu tun mit den Widersprüchen des Lebens. Die ursprünglichste Bedeutung des Wortes Geist kennen wir aus der Sprache des Sportes, wenn wir von Kampfgeist sprechen, Geist heißt Kampf, sich den Widersprüchen des Lebens stellen, denn ohne diese Widersprüche verarmt und verkümmert das Leben, und wer sich nicht den Widersprüchen des Lebens stellt, ist auch nicht fähig zum Gespräch. Das sollten wir auch in einem ökumenischen Gottesdienst beherzigen: Das Gespräch lebt vom Widerspruch, lebt davon, daß wir uns mit anderen auseinandersetzen. Wir finden unsere Identität nur im Gespräch, in der Aus-einander-Setzung mit anderen, im fruchtbaren Aushalten von Widersprüchen.

Ich denke, wir können uns am ehesten dem nähern, was der Prophet meint, wenn er von Geist spricht, indem wir von der Erfahrung des Gegenteils ausgehen, der Geistlosigkeit.

Wenn der dänische Theologe Kierkegaard beschreiben will, was Geistlosigkeit bedeutet, so denkt er nicht in erster an Unmoral, an einen ausschweifenden Lebensstil, wo alles erlaubt ist. Im Gegenteil, der typische Repräsentant der Geistlosigkeit ist der Spießer, der Kleinbürger. Und was ist typisch für einen Spießer, der sich an seine kleine Welt klammert:

1. Ihm fehlt Phantasie, deshalb klammert er sich an seine kleine Welt.
2. Ihm fehlt der Mut zur Zukunft, deshalb klammert er sich an die Vergangenheit bzw. das, was er dafür hält.
3. Ihm fehlt der Mut zum Leben, deshalb ist er gegen Veränderung.
4. Im fehlt die Offenheit für andere, deshalb ist er stets mit sich selbst beschäftigt in einem unablässigen Drang, sich selbst zu rechtfertigen.
5. Er ist ängstlich und freudlos, humorlos.

Ein Spießer ist jemand, der sich aus Angst vor den Widersprüchen des Lebens in seine kleine Welt einmauert.

Und dieses Spießertum ist keineswegs harmlos, gerade weil der Spießer ängstlich ist, ist er aggressiv. Die schlimmsten Folgen geistlosen Spießertums haben wir in unserem Jahrhundert erlebt bei den Nazis und den Kommunisten in der DDR, eine merkwürdige Mischung aus Brutalität und Spießertum. Was waren die Nazis anderes als wildgewordene Spießer, ihre Aggressivität entspringt der Angst. Und wenn man die ehemalige DDR betrachtet, so ist es ja mit Händen zu greifen, diese Mischung aus miefigem Spießertum und bösartiger Brutalität, die dieses Regime gekennzeichnet hat. Man brauchte sich nicht mehr als eine halbe Stunde in der DDR aufzuhalten, um diesen freudlosen und spießigen Mief in seiner Bösartigkeit geradezu körperlich zu spüren.

Aber liebe Gemeinde, ich will mich hier nicht aufs hohe Roß setzen bzw. die hohe Kanzel stellen und mich über geistloses Spießertum pharisäisch erregen. Nur wer noch nie vorm Fernseher abends eingeschlafen ist, der werfe hier den ersten Stein. Denn wer von uns kennte das nicht, diese Geistlosigkeit, diese Ängstlichkeit: Daß wir uns an das Überschaubare halten, an die Vergangenheit, daß Veränderung uns fremd ist, daß wir freudlos uns selbst rechtfertigen und uns selbst zu ernst nehmen. Gerade Krisenzeiten verführen zu einer solchen Haltung: Zurück in die Geborgenheit überschaubarer Verhältnisse und einer eindeutigen Moral.

Wir wollen uns schützen, indem wir geistlos das Leben banalisieren. In diesem Sinne ist Geistlosigkeit eine Versuchung und Anfechtung für uns alle.

Ich denke, daß wir die Rede des Propheten vom Geist auf diesem Hintergrund zu verstehen haben. Der Tag des Herrn, der Tag der Befreiung wird von dem Propheten als die Ausgießung des Geistes beschrieben. Und wir tun gut daran, darauf zu achten, wie der Prophet diese Befreiung von der Geistlosigkeit beschreibt:

1. Das erste, was der Prophet nennt, sind Träume. Den Geist Gottes haben, heißt Träume haben. Träume haben heißt Dinge sehen, die andere nicht sehen, Träume heißt die Phantasie sprechen lassen. Träumen ist öfter realistischer als die Vernunft. Das gilt ganz wörtlich: Ein Mensch, der nicht träumt, wird krank, eine Gesellschaft, die keine Träume hat wird krank, eine Kirche, die keine Träume hat, stirbt.

2. Das zweite, was der Prophet nennt, sind "Weissagungen". Gegenwart des Geistes heißt, sich an der Zukunft orientieren, sich nicht ängstlich an das klammern, was war, das ist im Grunde Unglaube, sondern sich an dem orientieren, was Gott uns gibt.

3. Das dritte bezieht sich auf das Leben, Errettung. Geist heißt im Hebräischen eigentlich Leben, Kraft. Geist heißt Mut zum Leben, heißt Hingabe an das Leben. Ohne Geist stirbt das Leben, ohne Geist verkommen wir in der Banalität unser selbstgemachten kleinen Welt. Deshalb spricht der Prophet von Wunder, dem Leben, das wir nicht selber machen und beherrschen, dem wir uns vielmehr stellen sollen.

4. Geist heißt auch, sich mit etwas Anderem beschäftigen als sich selbst, Geist heißt, Gott Herr sein lassen, den Namen des Herren anrufen. So hat Luther es im Kleinen Katechismus ausgelegt: Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Kraft glauben kann. Die Kraft zum Glauben, zum Leben ist nicht in mir selbst. Um zu sich selbst zu kommen, muß man sich zu etwas anderem verhalten. Geist ist Offenheit, nicht nur sich an seinen eigenen Meinungen erbauen, sondern Widersprüche ertragen, gerade das ja ökumenische Gesinnung: Nicht Widersprüche unter den Teppich kehren, sondern seine Identität finden in der Begegnung mit anderen. Nur wer weiß, daß Gott der Herr ist, ist auch wirklich fähig zum Gespräch.

5. Geist ist schließlich auch Freude, "seid fröhlich und getrost", heißt es beim Propheten. Auch wenn der Tag des Herren, oder, dürfen wir auch sagen, der Wahrheit "groß und schrecklich" ist, ist das kein Grund sich ängstlich und freudlos zu vekriechen vor Gott. Denn über allem Gericht, über allem Widerspruch steht das Ja Gottes, das Ja zum Leben.

Rektor Eberhard Harbsmeier
Folkekirkens Pædagogiske Institut
Kirke Allé 2
DK-6240 Løgumkloster
E-Mail: EBH@KM.DK


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