Göttinger Predigten im Internet hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch |
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4. Sonntag nach
Trinitatis 16.7.2000 1. Petrus 3, 8-15a (15b-17) Detlef Reichert |
8. Endlich aber seid allesamt gleichgesinnt, mitfühlend, voll
Bruderliebe, barmherzig, demütig. Liebe Gemeinde, Es ist irgendetwas von dem, was wir heute individuell Lebensstil nennen oder aufs Ganze bezogen Grundmuster des Miteinanders. Jede Gemeinschaft hat sie in einem Mindestmass nötig, wenn es nicht vollends drunter und drüber gehen soll, - Punkte und Grundsätze, auf die man sich miteinander verständigt hat, auf die man sich verlassen kann, die gelten und -möglichst weitgehend- einsichtig sind. Von einem anderem Ausgangspunkt her als Petrus kennen wir die
analoge Situation. Nicht: Was gilt als Norm, und warum soll ich mich wie
verhalten, mit welcher Konsequenz? Suche nach Grundkonsensen, nach Modellen zum Leben. Petrus entwirft seines. Er schreibt es den kleinasiatischen Gemeinden, die sich da ein, zwei Generationen nach Tod und Auferstehung Jesu einrichten müssen in ihrer Welt, die ihre eigene Normen hat und auch ihr harsches Umgehen mit denen, die als Gemeinden Jesu Christi Neues leben wollen, die davon reden und sich ausbreiten. Nun klingt das alles bei Petrus gar nicht schwebend, sondern deutlich, klar und bestimmt. Durchaus beneidenswert. "Seid gleichgesinnt, mitfühlend, voller Bruder- oder Geschwisterliebe, barmherzig, demütig, vergeltet nicht Böses mit Bösem". Dabei, wenn man noch einmal hinschaut, merkt man "Ohne" kann auch Petrus nicht. Nämlich nicht ohne Rückbezüge und Rückgriffe. Er sagt, was er sagen will, und dann greift er zu einem langen Zitat aus dem Alten Testament. Mit ihm wiederholt er Ähnliches noch einmal, "wer leben will und gute Tage sehen, der hüte seine Zunge, dass sie nicht Böses rede, und seine Lippen, dass sie nicht trügen." Abgesicherte, akzeptierte Erfahrung soll stützen, was er sagt. So machen wir das, wenn uns am Überzeugen liegt, Petrus macht das auch so. Die Akzente sind nicht ganz deckungsgleich, aber das Wesentliche wird gestützt. Ob es den Gemeinden damals geholfen hat, ihren Alltag zu bestehen und ihren Glauben in ihm zu bewähren? Was war davon anwendbar, wo blieben vielleicht Spuren davon, aufweisbar bis zu uns? Oder wie wir zu fragen gewohnt sind: Bringt es uns etwas, was Petrus da schreibt? Ich erzähle jetzt keine Beispielsgeschichten zur Nächstenliebe, keine Erfahrungen von Barmherzigkeit und auch nicht von Gesprächsprotokollen zu gelungenen oder problematischen Versuchen in Demut. Es gibt viele und es gibt gute davon, und Sie selbst kennen genügend. Ich tue dies jetzt nicht, weil wir unweigerlich genauso schnell wie mit den ersten Eindrücken zum Predigttext bei einem Mehr oder Weniger an ja oder nein hängen blieben, - gefiltert und gerastert an der eigenen Erfahrung und an der eigenen Einschätzung unserer Wirklichkeit. Das Nadelöhr jeder Zustimmung oder Ablehnung zu dem Verhaltenskodex, den Petrus da entwirft, ist der Grund, den er deutlich herausstellt. Warum so handeln und so sich verhalten? Weil wir berufen sind, zu segnen und Segen zu erben. Hier entscheidet sich, was an individuellem Verhalten und gesellschaftlicher Konsequenz aus dem Glauben folgt. Hier entscheidet sich, was der Predigttext hilft. Hier, wo die Rede davon ist, dass Gott uns am Segnen beteiligt, dass wir selbst ermächtigt sind, andere zu segnen, andere einzubeziehen in der Horizont der Verheißung zum Leben. Hier, wo wir mit Petrus wahrnehmen können, dass wir selbst darin einbezogen sind: Im in gutem Sinn aufeinander einzuwirken, - einem Menschen zu seinem Recht zu verhelfen, - ihn anzuerkennen und ihn gelten zu lassen, - ihn an dem von Gott möglich gemachten Platz zu sehen, - uns dafür einzusetzen, dass dieser Platz ihm nicht streitig gemacht wird. "Segnet, denn dazu seid ihr berufen", das ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Verse mit seinem Zentrum in Christus. Von ihm geht der Segen aus, er bezieht uns ein, von ihm erhalten wir ihn. Zu Christus, dem Grund, gehören das Wie und die Konsequenz. Das Wie mit dem "heiligt den Herren Christus in euren Herzen" und die Konsequenz in der Hoffnungsrede, die Rechenschaft gibt. Wir stellen uns, bei Licht besehen, gerade dabei oft genug ein Bein. Wir probieren, auf der Suche nach vermeintlicher Klarheit, immer wieder zu trennen zwischen individuellem und gesellschaftlichem Handeln, um wenigstens im Kleinen für uns zu retten, was im Ganzen für alle nicht zu gehen scheint. Dem entgeht Petrus mit einer einfachen Grunderkenntnis des
Glaubens: Was bleibt von den ersten Sätzen am Anfang der Predigt, den ersten Eindrücken zwischen zu hoher Anforderung oder zu harter, andersartiger Wirklichkeit? Was mache ich mit ihnen? Ich mache es mit Petrus so: Die Hoffnung, von der ich reden soll und will, steht nicht in einem einzigen unaufhebbaren Widerspruch zu der langen Kette von Erfahrungen, wie die Welt nun einmal ist. Hoffnung steht nicht gegen Realismus und Wirklichkeitserfahrung, sondern sie nimmt beide auf, sie antwortet ihnen, und sie weist beiden ihren Platz zu. Da bleibt das Einspruchsrecht aller Wirklichkeitserfahrung, das darin besteht, aufmerksam zu machen und immer wieder nachzuprüfen, dass Hoffnung auf Christus nicht einfach auf eine Illusion heruntergeschraubt wird, auch nicht auf die Hoffnung auf Einigkeit und Gemeinsamkeit, auf ein Leben in Sanftmut und Friedfertigkeit, dass Hoffung nicht auf eine Illusion heruntergeschraubt wird, die über das hinwegtäuscht, was diesem anderen neuen Leben entgegensteht. Und es bleibt das Einspruchsrecht des Realismus, nachzuprüfen und Halt zu sagen, wo die Hoffnung auf Christus dazu missbraucht wird, anderen -möglichst noch denen, die unter Unrecht leiden- Duldsamkeit zu predigen. Allerdings haben beide damit dann auch ihr Bewenden. Denn da ist dann das Einspruchsrecht der Hoffnung, überall dort zu reden, wo Realismus und vorgängige Wirklichkeitserfahrung zur einzigen Orientierung des Handelns werden wollen, - dort, wo unser Handeln immer nur der alten Logik folgen soll , dass sein wird, was war. Die Hoffnung auf Veränderung wirkt, indem sie bereits verändert. Aus Hoffnung handeln, heißt anders handeln. Gegen das aufrechnende Kalkül der Taktik redet die Hoffnung, die das andere Leben will, - dagegen ruft die Hoffnung nach Unterbrechung: "Vergeltet nicht Böses mit Bösem". Da haben die Anfangsworte des Petrus dann ihren anderen, ihren eigenen Klang auch in späteren Ohren: "Seid allesamt gleichgesinnt, mitfühlend, voll Bruderliebe, barmherzig, demütg, vergeltet nicht Böses mit Bösem." Das ist keine Moral zum Stillhalten und zur Besänftigung. Geschrieben von einem und an solche, die unter Anfeindung gelebt haben, reagieren diese Worte nicht auf Schimpf und Spott mit gleicher Münze. Das hiesse, die Hoffnung verraten. Und sie suggerieren auch nicht :Haltet still und nehmt hin. Sondern eben: Unterbrecht diesen unseligen Mechanismus des Eines um Eines. Lasst darin, wie ihr handelt, die Hoffnung, sichtbar werden, aus der ihr lebt. Lasst sie deutlich werden. Handelt im Vorschein eurer Hoffnung. Dementiert nicht durch euer Handeln das, was ihr hofft, und zementiert nicht, was immer schon war. Tut dem gegenüber das, was ihr schon längst könnt: Mit dem Handeln Rechenschaft geben von der Hoffnung, die ihr habt. Mit ihr ist aller Realismus zu überbieten, denn die Hoffnung
sieht mehr als er. Amen. Dr. Detlef Reichert |
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