Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
(Tipps zum Speichern und Drucken: Hier klicken)

Pfingstsonntag
11.6.2000
1. Korinther 2, 12-16

Georg Kretschmar

Liebe Gemeinde,

1. einer der großen deutschen Dichter, Sänger und Streittheologen der Barockzeit, Johann Scheffler, gen. Angelus Silesius (1624-1677) hat im Blick auf Weihnachten einmal geschrieben: „Wär´ Christus hundert Mal in Bethlehem geboren / und nicht in dir / so wärst du doch verloren“. Das ist ein Satz, der zum Nachdenken anregt. Er weckt auch Rückfragen. Wie verhält sich dies „in uns“ zur Aussage des Nicaenischen Glaubensbekenntnisses, dass Gottes Sohn „für uns Menschen und zu unserem Heil“ Mensch geworden ist? Im Blick auf Pfingsten ist dagegen anscheinend alles klar: wir feiern doch nicht eigentlich, dass vor etwa 1963 Jahren einmalig am Wochenfest in Jerusalem die Aposteln den Heiligen Geist empfingen, verzückt in Zungen redeten und zum ersten Mal öffentlich das Christusevangelium verkündigten. Wir preisen Gott für die Gabe des Heiligen Geistes an die Kirche, in der Kirche, überall und zu allen Zeiten, Gottes Gabe an uns.

Und eben davon schreibt der Apostel Paulus an die Korinther: ihr seid Menschen, die Gottes Geist empfangen haben, Menschen, die Träger dieses Geistes sind. Sicher, diese Gewissheit des Apostels gründet darin, dass in Jesus Christus Gott Mensch geworden ist, dass er für uns gekreuzigt wurde, dass er von den Toten auferstanden ist und als der zu Gott erhöhte seinen Geist ausgegossen hat. Denn der Geist Gottes, der uns gegeben ist, ist „Christi Sinn“ (V. 16). Aber diese ganzen Zusammenhänge setzt der Apostel hier einfach voraus. Ihr, Gemeinde in Korinth, ihr, Christen, wo auch immer in der Welt, habt diesen Geist Gottes, den Geist Christi empfangen.

Da gab es damals und gibt es auch heute Rückfragen. So etwas kann man doch nicht einfach behaupten, dass wir den Geist empfangen haben, das muss man doch erkennen können, vielleicht sogar überprüfen. Ein solches Kennzeichen ist dann etwa das Zungenreden, wie es den Aposteln am Pfingsten widerfahren war. Aber da winkt der Apostel Paulus ab. Gewiss gibt es diese Fähigkeit. Sie mag auch geistgewirkt sein. Aber der Heilige Geist wirkt doch oft auf eine ganz andere Weise. Sehr viel höher schätzt Paulus die Gabe, prophetisch zu reden – das könnten wir übersetzen: so zu predigen, so das Evangelium weiter zu geben, dass die Gemeinde, Hörende es verstehen, und dass sie vor allem verstehen, dass sie es in der Verkündigung des Evangeliums nicht nur mit dem Prediger, sondern mit Gott selbst zu tun haben.

Andere würden gern ergänzen: das alles gilt dir natürlich nur, wenn du ein Gläubiger bist, der sich bekehrt hat. Das ist im Grundsatz sicher richtig. Aber der Apostel Paulus setzt das einfach voraus. Er weiß doch, dass die Gemeinde in Korinth aus Christen besteht, die erst vor kurzer Zeit zum Glauben gekommen sind. Solche Gemeinden haben wir auch in unsrer Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Russland und anderen Staaten. Wie Paulus könnten wir sie anreden: „früher, als ihr noch Heiden – oder Atheisten – wart, da habt ihr gelebt, wie es eben unter Atheisten oder Heiden Brauch ist. Und jetzt hat der Heilige Geist euch neu gemacht, ein neues Leben, Hoffnung und Zuversicht geschenkt“. Und wenn der Apostel dies an einem Widerfahrenes fest macht, dann ist es die Heilige Taufe, da habt ihr den Heiligen Geist empfangen und diese Gabe müßt ihr festhalten. Darum müßt ihr euer ganzes Leben ringen. Das gilt auch dann, wenn die eigene Erinnerung nicht zu einer Taufe etwas als kleines Kind zurück reicht.

Aber wenn wir hören, „wir haben Christi Sinn“, dann brauchen und sollen wir nicht zuerst nach unsrem Glaubensstand fragen, ob wir wirklich unser Herz ganz Christus übergeben haben, weil hier nur dann das gelten kann, was der Apostel schreibt. Auch wenn ich noch voller Fragen bin, dann soll ich nicht die Ohren zuklappen, weil all das, was der Apostel schreibt, mir ja noch nicht gilt. Dann darf ich mich darauf verlassen, dass Gott mir, jedem von uns, einen bestimmten Auftrag gegeben hat, dass er uns wachsen lassen will im Glauben und im Verstehen.

2. Und eben das ist das eigentliche Thema dieses Abschnittes. Er stellt scharf gegen einander den Geist der Welt und den Geist Gottes, menschliche Weisheit und die Weisheit Gottes, die Er den Seinen schenkt. Aber das erzählt der Apostel Paulus nicht nur im Sinne eines Berichtes, sondern er sagt es den Lesern und Hörern zu: früher, ehe ihr Christen wurdet, hattet ihr nur Zugang zur menschlichen Weisheit, aber jetzt hat Euch Gott Seinen Geist, den Geist Christi geschenkt und darin die Weisheit, die geistlichen Dinge zu verstehen, eben „was uns von Gott geschenkt ist“.

Wenn man menschliche Weisheit und die Weisheit aus Gott nebeneinander stellt, dann kommt natürlich die menschliche Weisheit schlecht weg. Das ist richtig und angemessen, wenn die menschliche Weisheit sich einbildet, sie könne die letzte Wahrheit ergründen, die Wahrheit, die unserem Leben erst Sinn und Ziel gibt.

Aber in ihrem Bereich ist menschliche Weisheit eine großartige Gabe Gottes. Wozu brauchten wir Schulen, Universitäten, auch kirchliche Seminare, wenn wir zum Leben nicht Kenntnisse, Weisheit benötigten? Lassen Sie mich den Unterschied an einem ganz schlichen Beispiel verdeutlichen. Es ist jetzt knapp 40 Jahre her, dass der sowjetische Astronaut Juri Gagarin, damals 27 Jahre alt, als erster Mensch im Weltall die Erde umflog. Er kam zurück mit der Botschaft, er habe im All weder Gott noch Engel gesehen. Das war für ihn eine Bestätigung seiner atheistischen Weltanschauung. Dass nicht nur Christen über solche Beweise nur lachen können, zeigt wie menschliche Weisheit ihre Grenzen zu vergessen vermag. Aber dadurch ist es nicht bestritten, dass es eine wissenschaftliche, technische Meisterleistung war, eine solche Rakete zu bauen, die einen Menschen ins Weltall hinaustragen kann. Unser ganzes Leben hat sich durch die Fähigkeit, Satelliten in den Raum zu entsenden, tief verändern. Schon heute kann man von jedem Quadratmeteroberfläche der Erde kommerziell ein Satellitenphoto bestellen. Aber das Ziel unseres Lebens enthüllen auch noch schärfer gestochene Photos aus dem Weltall nicht.

Wirkliche Konflikte zwischen der Weisheit Gottes und menschlichem Erkennungsvermögen und Erkennungsstreben zeigen sich für uns heute vor allem im Bereich der Biologie, der Genforschung. Bei Tieren hat man längst in das normale Geschehen von Zeugung und Geburt eingegriffen. In Europa und Amerika wird dagegen heiß und kontrovers darum gerungen, was darf der Mensch, wie weit darf er menschliches Keimgut verändern. Aber ich denke, wir sollten uns klar machen, dass es dabei nicht so sehr um den Unterschied zwischen Gottes Weisheit und menschlicher Weisheit geht, eher die Grenzen menschlicher Möglichkeiten angesichts der Schöpferwirklichkeit Gottes. Natürlich haben sich die Grenzen des für den Menschen Machbaren unglaublich ausgedehnt. Aber was auch immer Menschen durch Genmanipulation fertigen mögen, auch dies sind Geschöpfe Gottes und haben eine Würde vor Gott, die kein Mensch zerstören darf.

Aber das sind unsere Probleme, noch nicht die des Apostels Paulus. Ihn bewegt es weniger, was menschliche Weisheit alles an großem und schönem, aber auch an zwielichtigem und am bösen hervorbringen kann, sondern, dass Gott durch Seinen Heiligen Geist uns die Fähigkeit geschenkt hat, in Seinen Plan, in Gottes Weisheit Einblick zu erhalten.

Das Zentrum dieser Weisheit ist Jesus Christus. Am Kreuz Jesu Christi zerbricht die Weisheit der Welt. Das gilt heute wie damals. Wir können doch kein historisches Beweis dafür führen, dass der Mensch, der damals umgebracht wurde, Gottes Sohn war und ist. Wir können nirgends beweisen, dass der Gekreuzigte der Auferstandene ist, der Herr der Welt, der mein Herr sein will. Aber wenn uns der Heilige Geist diese Gewißheit schenkt, dann verändert sich mein Leben noch ganz anders, als durch das Studium von Satellitenphotos. Dann lerne ich zu unterscheiden zwischen dem, was zu meinem Heil, zu meiner Zukunft entscheidend ist und den vielen anderen Wichtigkeiten in meinem Leben. Im Sinne des Apostels sollte ich nicht gesagt haben „wenn“, sondern weil ihr den Geist Gottes habt, könnt ihr und müßt ihr unterscheiden, ihr seid Glaubende und deshalb zum Erkennen Gottes Befähigte.

3. Gerade deshalb sollten wir genau hören, dass der Apostel in unserem Briefabschnitt immer „wir“ schreibt. Darin fasst er sich und die Korinther, sich und alle Christen zusammen. Darin gibt es keine Verzagtheit, kein Nachsinnen darüber, dass diese „wir“ doch noch eine Minderheit, damals eine verschwindende Minderheit unter den Menschen sind.

Vor wenigen Tagen ist in Hannover die Weltausstellung festlich eröffnet wurde. Sie will die Errungenschaften von Wissenschaft, Kultur und Technik am Anfang des dritten Jahrtausend repräsentieren, mit den Worten des Apostels Paulus „den Ertrag der menschliche Weisheit“. Es ist ein stolzer Ertrag. Und die Christen haben wahrhaftig viel dazu beigetragen. Wir sind in vielen Teilen der Welt auch längst nicht mehr eine unbedeutende Minderheit. Aber wie vieles von diesem Ertrag kann zum Guten, und wie vieles zum Bösen gebraucht werden.

Der entscheidende Beitrag der Christen zur Summe der Weisheit der Welt ist es, wenn wir in der Kraft des Heiligen Geistes sagen und leben, dass Gottes Plan und Ziel, dass die göttliche Weisheit Liebe ist, Liebe Gottes zu uns, Seinen Geschöpfen, Liebe die am Kreuz den Weg des Opfers ging. Jesus Christus, unser gekreuzigter und auferstandener Herr will, dass auch wir aus dieser Liebe leben und sie weitergeben. Gott mutet uns, den Christen, nicht zu, alle Probleme der Welt zu lösen. Aber wir dürfen daran festhalten, dass auch die Folterknechte nicht am Ende die Herren sein werden. Wir dürfen Hoffnung ausstrahlen, dass die göttliche Weisheit zu ihrem Ziel kommen wird. Dass wir den Heiligen Geist empfangen haben, macht uns zu Boten der Freude und Zuversicht. Das Kreuz Christi strahlt Licht in die ganze Schöpfung. Gott schenke uns, dass wir Spiegelbilder dieses Lichtes sind und werden.

Amen.

Erzbischof Prof. D. Georg Kretschmar
Erzbischof der ELKRAS, St. Petersburg
E-Mail: kanzlei@elkras.convey.ru


(zurück zum Seitenanfang)