Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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5. Sonntag nach Ostern, Rogate
28.5.2000
Kolosser 4, 2-6

Juhani Forsberg, Finnland

Liebe Gemeinde!

Beten ist eine Selbstverständlichkeit für einen religiösen Menschen. Es ist sehr natürlich sich vorzustellen, dass wer glaubt auch betet. Beten ist sogar üblicher als glauben. Auch ein Agnostiker kann beten: Wenn du, Gott, existierst, so hilf mir! Barsche Männer, Soldaten im Krieg angesichts des Todes haben gebetet: Gott rette mein Leben, und wenn du mich rettest, bessere ich mein Leben. Es gibt Religionen, in denen das Gebet so etwas wie "Verhandeln mit Gott" ist. Ich gebe Gott etwas, damit er mir gibt was ich brauche und wünsche.

Christliches Gebet ist trotzdem keine Selbstverständlichkeit. Wer an Gott, den Schöpfer, Erlöser und Vergeber glaubt, kann nicht mit Gott im Gebet verhandeln. Gott und seine Gaben sind keine Kaufwaren. Die Liebe Gottes ist grenzenlos, aber sie ist nicht einzukalkulieren. Von Anfang an haben Jünger Jesu und dann auch alle nachfolgenden Generationen der Christen sich prüfen müssen, was das richtige christliche Gebet sei. “Lehre uns zu beten” war die Frage der Jünger an ihren Meister. Das “Vater unser” war seine Antwort und seitdem ist es das Gebet der Christen. In der Geschichte der Kirche sind extreme Gruppen entstanden, die in ihrer Selbstkritik sogar alle andere Gebete verboten haben. Aber Beten ist auch ein Geschenk Gottes. Seine Kinder haben die Freiheit, alle ihre Sorgen aber auch Freuden vor ihrem Vater auszusprechen.

Unser Beten ist keine Selbstverständlichkeit. Besonders wenn alles gut geht, kann das Gebet unversehens dahinschwinden. Der Apostel musste in seinem Brief seine Gemeinde mahnen: “Bleibet fest am Gebet!”. Das Gebet muss geübt werden. Das Geschenk Gottes bleibt nutzlos wenn es kein Gebrauch in und unter uns findet. Dankbarkeit ist manchmal ein sehr spontanes Gefühl, aber Gott für seine Gaben zu danken ist eine Sache des Wachbleibens. Der Apostel sitzt im Gefängnis, aber in seinen Worten findet sich keine Spur von Bitterkeit oder Entmutigung. Er liegt in Fesseln um Christi willen. Das Geheimnis Christi hat ihm Mut und Freude gegeben, und aus der Kraft dieses Geheimnisses mahnt er auch seine Adressaten, Gott zu danken.

Christliches Gebet heißt nicht nur, für mich selbst etwas zu bitten. Es besteht nicht nur darin, Bitten dem Allmächtigen zu schicken, dass er sich um meine Sorgen kümmere. Der Glaube befreit mich von einem egoistischen Selbstmitleid. Der Glaube verhindert, dass ich in meinen Sorgen gefesselt bleibe. Das Geheimnis Christi hat die Augen des Apostels für die frohe Botschaft geöffnet. Jetzt braucht er die Fürbitten seiner Gemeinde, dass er mit dieser Botschaft durch geöffnete Türen gehen kann. Das Gebet umgreift den Beter, seine Mitgläubigen aber letzten Endes auch die Außenstehenden. Der Mensch kann nicht die Tür für das Evangelium öffnen. Nur Gott selbst kann das tun. Deshalb will der Apostel mit der Gemeinde Gott bitten, dass er tue, was nur in seiner Macht ist.

Es geht letzten Endes um die frohe Botschaft, um das Evangelium Jesu Christi. Die Gemeinde muss und will beten, dass das Evangelium seinen Weg in alle Welt findet. Das war die Sache und Sorge des Apostels. Er muss das Evangelium verkünden. Aber wie das geschieht, ist nicht nur in seiner Macht. Dazu ist Weisheit von Gott und der rechte Zeitpunkt notwendig.

Die Worte des Apostels sind von größter Relevanz für die Kirche von heute. Es gibt so klare Zeichen von Müdigkeit in der Christenheit Europas - aber auch in vielen anderen Teilen der Welt – im Blick auf die Verkündigung der frohen Botschaft. Der Glaube wird immer mehr als Privatsache verstanden. Natürlich glaube ich - vielleicht nicht immer so wie die Kirche lehrt - und bete auch, aber das sind meine privaten Angelegenheiten. Warum muss ich von meinem Glauben reden oder sogar das Evangelium verkünden? Das wird doch nur als Ausdruck der Arroganz empfunden oder weckt nur Irritation bei anderen Menschen, die ihren eigenen Glauben haben.

Diese Scheu und Empfindlichkeit vor der Verkündigung des Evangeliums wird von vielen falschen Vorstellungen genährt. Der Missionsauftrag der Kirche wird nicht - wenigstens nicht nur - so vollzogen, dass die Vertreter der Kirche - seien sie Geistliche oder Laien -, das Evangelium von oben her und laut aller Welt verkünden. Das Geheimnis Christi zu verkünden ist kein aggressiver Proselytismus, wie leider viele, vielleicht manchmal auch aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen, denken.

Das Geheimnis Christi zu verkünden braucht Weisheit und mit Salz gewürzten Anreiz. Man muss den rechten Kairos beachten. Die Verkündigung braucht Lust, aber auch Geduld,den uns gestellten Herausforderungen zu begegnen, und denen zu erwidern, die nach dem Grund unseres Glaubens fragen.

Es geht nicht nur um unsere gut geplanten Aktionen und Aktivitäten. Es geht zuerst darum, fest und beharrlich zu sein im Gebet. Heute hat die Kirche und jedes Mitglied Möglichkeiten im Überfluss, die Mission der Kirche im Sinne des Apostels zu betreiben. Mit und im Gebet öffnen sich die Türe für diese Möglichkeiten vor allen, die ihren Glauben nicht unter ihre Privatsachen verstecken, von selbst.

Viele Christen in Europa fühlen sich unwohl, wenn der Missionsauftrag zur Sprache kommt. Die Ursachen dafür sind gut bekannt. Man identifiziert die Mission leicht mit einem unhöflichen Proselytismus, der die Integrität der Andersdenkenden nicht beachten will. Die Missionsgeschichte der christlichen Kirche ist mit schweren Fehlern belastet. Besonders der Bund der christlichen Mission mit dem Kolonialismus ist ein trauriges Kapitel in der Geschichte der Kirche.

Der Auftrag selbst ist jedoch nicht überholt. Trotz unserer Mangelhaftigkeit bleibt das Evangelium in der Kraft. Es handelt sich nicht um einen Streit über Worte. Wenn das Wort "Mission" immer falsch verstanden wird, dann gibt es genug andere Worte, um die Sache auszudrücken. Unser Problem sind nicht die fehlenden Worte, sondern ist die Zurückgezogenheit in uns selbst. Es handelt sich nicht nur darum, dass wir die richtigen Worte finden, sondern um unser Sein und Leben in Christus. Wie kommen wir wieder dahin, als einzelne Christen und als eine christliche Gemeinschaft die Freude des Evangeliums und mit Freude Zeugnis für dieses Evangelium abzulegen? Die Türe sind weit offen. Wir können diese Freude nur finden, wenn wir im Gebet völlig auf Gott ausgerichtet bleiben. "Rogate - betet" ist nicht nur eine freudige Mahnung für diesen Sonntag, sondern Wegweisung für unsere ganze Existenz.

Amen

Dr. theol. Juhani Forsberg
Pastor, Hauptreferent für Theologie im Aussenamt der Evangelisch-lutherischen Kirche Finnlands
E-Mail: juhani.forsberg@evl.fi


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