Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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1. Sonntag nach Ostern, Quasimodogeniti
30.4.2000
Kolosser 2, (9-10) 12-15

Jobst v. Stuckrad-Barre

Liebe Gemeinde,

In diesem Gottesdienst wird der kleine Aaron getauft. Er selbst kann noch nicht sprechen und hilft uns doch, von dem großen Geschehen zu reden, das Ostern von Gott ausgeht und die Glaubenden und unsere Welt einbezieht; zu reden von dem, an dessen Vielfalt und Fülle wir teilhaben durch die Taufe, von dem Auferstandenen, der uns den Tod der Sündenherrschaft, die Vergebung von Sünde und Schuld in Kreuz und Auferstehung bringt, von der Befreiung, die die Mächte und Gewalten als das zeigt, was sie sind: Menschenmächte und -projektionen, die im Auferstandenen ihr Ende finden.

Aaron, der kleine Täufling, beginnt für uns zu reden (wie der biblische Aaron anstelle seines Bruders Mose zu reden hatte, Geheimnisse, Grenzen menschlichen Verstehens anrührend, Gott die Ehre gebend und nicht etwa nur für sich selbst sprechend!). In diese Sprache müssen wir uns erst hineindenken, hineinbegeben. Doch schon dies schafft, indem es geschieht, Freude, die sich auf den Gesichtern zeigt: Das Kind, das wir anreden, beginnt zu lächeln und eröffnet uns mit einem Mal die ganze Fülle dessen, was Gott uns zuteil werden läßt; das Lächeln zeigt uns etwas von der Freundlichkeit und Güte dessen, der nicht fern über der Welt thront, sondern der uns mitten in unserem täglichen Tun begegnet, von Ängsten und falschen Herrschaften befreit. A. beginnt zu reden und zieht uns hinein in das Reden von Gottes schöpferischer Macht, von seiner Art, die Welt neu werden zu lassen, die so ganz anders ist als die Art weltlicher Mächte und Herrschaft. Von dieser uns umkrempelnden Macht beginnt der kleine Junge zu reden, wenn wir ihn zu Wort kommen lassen.

Dieses große Geschehen, das mit Ostern anfängt und in der Taufe uns alle einbezieht, begründet unsern Glauben im Auferstandenen, gibt uns Halt im unablässigen Strom von Leben und Tod, von Sündenangst und Todesfurcht.

Sündenangst? Lockt nicht allein dies Wort ein Lächeln hervor, anders aber nun als eben das Lächeln des Täuflings - wie von weither kommen uns manche dieser Worte vor, weit zurückweisend und eigentlich doch längst hinter uns? Doch genauer betrachtet taucht noch in diesem scheinbar längst zurückgelassenen Wort das verzerrte Gesicht des Menschen auf, der sich um Korrektheit bemüht und immer wieder scheitert. Auch heute, wo jeder sich beliebig seine Tradition und seine Lebensziele aussuchen kann, ja muß, weiß er doch nur zu genau, wo er seinem Egoismus, seiner Feigheit, dem vorgeblichen Sachzwang erliegt und den andern Menschen wie ein Stück Dreck behandelt, wie ein Instrument, das man benutzt und dann wegwerfen kann; im gleichen Augenblick erkennen wir, daß wir darin auch Mitte und Ziel des Lebens verfehlen.

Diese Angst, unter die Räder zu geraten, Mitte und Ziel zu verfehlen, wird in Jesus hinfällig: Um unseretwillen ist er gestorben - um unserer Verfehlung, um der Sünde willen, die wie eine kosmische Macht nach dem Menschen greift. Wir ordnen heute die Sünde, die Verfehlung Gottes und des eigenen Lebens eher und oft einzig dem Einzelnen zu und reduzieren sie auf die Erfolgsfrage - was habe ich falsch gemacht, womit habe ich diesen Mißerfolg verursacht - das kosmische Modell des Kolosserbriefs läßt zumindest einmal wieder über diese Individualisierung nachdenken.

Wer getauft ist auf den Auferstandenen, braucht nicht mehr ängstlich zurückzustarren, sondern kann mit ihm an die Menschen, an die Anforderungen des nachösterlichen Alltags herangehen, ins Leben hinein. Die Macht der Sünde ist abgetan, begraben, abgewaschen in der Taufe. Nicht durch uns, unsere Leistung, sondern durch den, der uns das Leben schenkt, der uns gut ist, an dessen Kreuz der Schuldbrief geheftet wurde, damit die Forderungen ein für alle Mal beglichen wurden. Seit Ostern, seit Jesu Auferstehung gilt eine neue Wertstellung: Nicht Vergeltung, sondern Vergebung; nicht Haß gegen Haß, nicht Gleichgültigkeit, nicht Tod - vielmehr anstelle des Todes das Leben. Das Leben des Auferstandenen. Grund unserer Hoffnung, Grund der Taufe - Leben für uns.

Die Todesherrschaft, sie hat ein Ende. Die Auferstehung Jesu hat sie durchbrochen. Wir müssen auch nicht mehr ängstlich darauf starren: was wird mit uns, wenn wir gestorben sind, wo, wie und was sind wir. Der im Kreuz und in der Auferstehung Jesu die Todesmacht aus den Angeln hob, bei dem sind auch wir dann gut aufgehoben.

Wie aber nun? Vergebung der Sünden und neue Lebendigkeit: ja - doch auferstanden, wie der Kolosserbrief schreibt, das sind wir noch nicht! Hier hat er eine von Paulus und der sich ihm bis heute anschließenden Tradition abweichende Meinung. Sie zielt offensichtlich darauf, die Gegenwärtigkeit der Gotteskraft im Glauben zu beschreiben. Die Gefahr dabei: Die Anschauung, daß wir in der Taufe auch schon auferstanden seien, nimmt dem Leben und seiner Gefährdung den Ernst. Hoffnung, die man sieht, kontert Paulus, ist keine. Ihm geht es um den Anfang der Auferstehung in Christus, dem wir nachfolgen.

Ehe wir uns im Gestrüpp verschiedener Anschauungen verlieren, stelle ich den Grund unserer Osterfreude, unseres Getauftseins, unseres Christenlebens in die Mitte: Der Auferstandene hat zerstört des Todes Macht, bringt uns das Leben neu nahe und damit die Hoffnung, die den Tod überwindet.

So zeigt es uns der Täufling, so ist es in unserer eigenen Taufe gelobt worden, dem stimmen wir zu in jedem Gebet, in jedem Gedanken, in dem wir die Zeit, unsere Zeit Gott anvertrauen - wie dann Zeit und Ewigkeit ineinanderwirken, ist ganz seine Sache.

Die Folgen dieser Übereignung sind erheblich: Der Auferstandene, in dessen Namen wir, die Getauften leben, befreit von der Herrschaft aller möglichen Mächte und Gewalten. Er läßt sie uns erkennen als Menschenmächte, als Mechanismen, mit denen einige herrschen und viele beherrscht werden. Die Opfer politischer Manipulation hat das zuendegehende Zeitalter zur Genüge gezeigt; jetzt müssen wir lernen, die Macht der Märkte - ob neu, ob alt - menschlich werden zu lassen. Sonst anonymisieren sie die Herrschaft von Menschen erneut und machen sie zu Weltmächten im Sinne der Zeit des Kolosser: Menschen werden zu Opfern im Namen einer vorgetäuschten Freiheit.

„www“, Internet, e-commerce - alles Stichworte eines gewaltigen Umbruchs in unseren Kommunikationsmöglichkeiten; wenn es in einem komplizierten Ausgleich von Interessen gelingt, hier Spielregeln einzuführen, die die Opfer schützen, ist das ein Gewinn - wenn nicht, sind wir hier vor einem neuen Beispiel der Mächte und Gewalten, die ihrer Macht entkleidet werden müssen.

Auch da ist eine neue Sprache zu lernen, haben wir wie der Täufling sprechen zu lernen. Vielleicht beginnt auch hier alles mit einem Lächeln, in Antwort auf das Lachen, das die Todesmächte seit Ostern ihrer Mächtigkeit beraubt. All die, die auf den hohen Podesten ihrer Fusionen und Konfusionen stehen und sich am Ende nur an sich selber verschlucken können, weil sie die Menschen nicht mehr sehen und die Schöpfung in ihrer Eigenart nicht mehr achten - sie scheinen alle Macht der Welt zu haben. Doch Liebe läßt sich so nicht erwerben. Und Leben schon gar nicht.

Die Sprache des kleinen Täuflings ist eine andere. Diese Sprache hilft uns, unsere Zeit zu verstehen aus der Zeit des Auferstandenen. Das Verstehen wächst dabei in all den Veränderungen wie die Liebe, und wir sehen, wie wir in Christus teilhaben an der Fülle Gottes, die er uns verheißt: die große Befreiungsbewegung von Ostern.

Amen.

Pastor Jobst v. Stuckrad-Barre, Kleiner Hillen 1, 30559 Hannover
e-mail: StuckradBarre@gmx.de


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