Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Ostermontag
24.4.2000
1. Korinther 15,50-57

Wolfgang Petrak

Liebe Gemeinde,

der Weg in die österliche Kirche führt über den Friedhof.

Und so bin ich heute morgen nicht wie gewohnt durch die kleine Pforte gegangen, sondern außen herum, am Wirtschaftsgebäude vorbei, den Hauptweg unseres Friedhofes entlang. So schön, wie alles grün geworden ist, wie die Blätter der Buchenhecke sich zu entfalten beginnen und wie die feuchte, kühle Luft den Frühling riechen, ja schmecken läßt,- welch eine Kraft, die in der Schöpfung liegt, immer wieder. Und welch eine Ruhe, die einem hier begegnen kann und die Gedanken zurückführt. Die Grabstätten: jede von ihnen ein Ort besinnender Verbindung und sich entäußernder Trauer; an der Friedhofskapelle die Worte: „Christus hat dem Tod die Macht genommen“. Noch am Gründonnerstag waren wir hier zusammengekommen, um den Weg des Abschieds zu gehen und um Worte der Hoffnung zu hören, um zu singen und zu beten. „Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod, und laß mich seh’n dein Bilde...“Bittende haben wir das gesungen und zugleich in voller Zuversicht, dass es dann ein Antlitz, sein Antlitz geben möge, das uns neu bestimmt. Und dazu jenes Lied, das allen hier so vertraut ist: „So nimm denn meine Hände“ Wenn unsere Hände nichts mehr tun können, wenn sie loslassen müssen, dass dann eine Hand da sein möge, die hält (oder wie kann man das sagen?).Immer Wieder trägt diese Melodie Festes mit sich und lässt Beziehung spüren.

Tragendes drücken auch die Inschriften aus, versehen mit dem Geburts- und Sterbedaten, daneben oft ein Kreuz: dass das Leben einen Beginn hat und sein Ende und sein Ziel. Darum auch hier manchmal dazu Worte aus der Bibel zu lesen oder auch dieses: „ Mühe und Arbeit war sein Leben...“. Denn es soll ja nichts und niemand verloren sein. Vielmehr aufbewahrt, in Gedanken, im Geschaffenen und im Gegebenen: das sind Möglichkeiten der Erinnerung, gegen die Macht des Vergessens Leben zu bewahren.

Auf einem Kindergrab ein scheinbar verlorenes Spielzeug: Mein Gott, welche Macht des Todes.

Die Glocken läuten. Einige sehe ich, die auch zur Kirche gehen. Andere wiederum kommen mir entgegen und gehen ihrerseits zu den Grabstätten, zum Teil mit Schnittblumen in der Hand, um die mittlerweile verblühten Osterglocken gegen neue auszutauschen. Man grüßt sich mit einem verhaltenen „Guten Morgen“. Warum wünschen wir uns nicht:„Frohe Ostern“?

Ich muß dabei an eine Beerdigung denken, an der ich vor einigen Jahren teilgenommen hatte. Die lange Ansprache des Priesters konnte ich nicht richtig verstehen, denn sie war in einer anderen Sprache. Aber zu merken war zu Beginn auch seine Trauer. Dann aber wurde der Fluss seiner Worte schneller, lebendiger, fast fröhlich.. Darauf fielen die Frauen mit einem mehrstimmigen Gesang ein, dazu Trommeln. Nach einem Gebet des Priesters nahm die Gemeinde Abschied, indem jeder am geöffneten Sarg vorbeiging und noch einmal hineinsah; fast schien es, als ob einige tanzten. Dem schloss sich der Segen an. Dann wurde der Sarg auf einen ‚pick-up‘ gebracht, denn das Grab des Verstorbenen war im entfernt gelegenen Dorf, gleich hinter seiner Hütte gelegen.

Einige, die nicht so gut zu Fuß waren, setzten sich mit auf die Ladefläche des Toyotas. Alle anderen folgten dem offenen Wagen, der im Schritttempo durch den Busch fuhr; sie folgten singend und tanzend . „Weisst du,“ erklärte mir eine junge Frau, „ wir Afrikaner glauben nämlich an die Auferstehung“. Diese Kraft des Glaubens. Es ist nicht das Fremde, das anzieht. Es ist die Wahrheit des Gesagten. Hören wir nochmals, was Paulus sagt (Verlesen der Verse 53-56).

Wo sind wir, was zieht uns an? Die Frage führt weg vom Gesagten zu uns hin. Natürlich meiden wir im Alltag eher die Gedanken über unser Sterben und was dann sein kann, kommen lieber zurück auf das Leben selbst und seine Attraktivität. Wir wissen um ihre Bedeutung, versuchen wohl auch, nach Möglichkeit ihr Spiel mitzuspielen, jene Augen-Blicke und dieses Lächeln, das zurückkommen kann; die Gesten des Verstehens und die Bedeutung eines guten Gespräches, das sich zu einer Leichtigkeit des Seins aufschwingt. Gewiß auch das hat seine Bedeutung, was man anzieht. Es wirkt auf andere und spricht etwas an, man selbst findet das auch: die Frühlingsfarben lindgrün und rot, wie anziehend, doch, doch, du kannst es deutlich sehen und ich auch.

Natürlich wissen wir auch, dass es nicht immer so ist. Dass scheinbar Anziehendes langweilig werden kann, wir lassen das anderen zuweilen deutlich spüren. Dass Modisches verfällt, -dafür sorgt schon allein der Markt. Dass wir selbst... es gibt dieses unvermittelte Erschrecken vor dem Spiegel. Natürlich macht mann/frau sich so seine Gedanken um die Attraktivität, sucht sich zu stärken und zu pflegen, der Körper hat es verdient. Weiss aber auch im erschreckenden Erkennen plötzlich um die eigene Zeit. Umso stärker dann das Bemühen, Bleibendes zu schaffen und zu erhalten: kennst du das auch an dir?.

Es kommt denn irgendwie zum Ausdruck, dass es wenigstens eine Erinnerung gibt. Damit man irgendwie sehen kann ( immer ist es diese ungenaue, unsichere Irgendwie), was das Leben über seine Zeit hin ausgemacht hat. Erfolge werden gesucht wie Markierungspfähle, und das beständige nach Identität und Autonomie, dieses sich insgeheime Fragen, ob wir uns das alles Bewahren können: ist es das, woran wir in Europa glauben und zum Prinzip erheben, damit sich jegliche Gegenwart zur Zukunft ausdehnt? Werde ich nach dem Undenkbaren so sein, wie ich bin?

Wer sind wir, wer zieht uns an?. Es geht vom Ort des Seins hin zur österlichen Bewegung, und wenn wir hören, werden wir unwillkürlich mitgenommen.. Paulus spricht es aus, sehr deutlich, realistisch hart und natürlich schroff: fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben. So komme ich nicht hinüber, nicht von mir aus. Selbst wenn wir alle Möglichkeiten ethischer Vernunft und alle Anstrengungen der Medizin und Humangenetik und Kommunikationsmöglichkeiten, ja selbst noch die Wege esoterischer Träume zusammenbringen könnten, um das Leben in seinem Entwurf zu verlängern, es bleibt nur jeweils unser Entwurf. Und damit ist mir die Grenze gesetzt. Das Reich Gottes wird von mir aus nie. Denn es ist nicht das Reich der Vernunft noch der Garten der Schönheit, nicht das Zukunftslaboratorium oder der Raum der Zeit. Vielmehr: Sein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Deshalb, weil es ihm gehört, können wir es nicht sehen und beweisen durch allerlei Entsprechungen und Vergleiche aus unserer Welt. Das Fremde muß uns gesagt werden. Wie Paulus es tut, indem er aller Gewohnheit zum Trott das Geheimnis eröffnet. Am Ende der Zeit die Melodie dies vollen Lebens.Nichts wird verlängert, der Ton der Posaune hat keine Fermate und die Trommel kein repeat. Nichts wird von Ihm verlängert, aber alles wird neu. Unsere Geschichte wird von Gottes Handeln eingeholt, unsere Zeit von seiner Ewigkeit. Es ist so, als ob wir uns neu anziehen; aber im Grund wird er uns anziehen. Nicht weil wir es wollten, um attraktiv zu sein, sondern weil er uns will, schon jetzt im Leben auf ihn hin. Und so werden wir in unserer Schuld Gnade finden. Und in unseren Zweifeln Gewißheit. Und wenn es noch nicht da ist: ganz bestimmt, es wird werden. Das Vergängliche wird das Unvergängliche anziehen und das Sterbliche das Unsterbliche.

Woher Paulus das weiss? Von denen, die vor ihm waren und die das Gehörte sich angezogen und anderen weitergegeben haben. Eigentlich fing es auf dem österlichen Friedhof an. Die Frauen, die den Toten suchten und die Worte des Lebendigen hörten. In ihm erkannten sie die Nähe Gottes und die Fülle des Lebens. So hat das angefangen. Wenn das kein Grund zur Freude ist. Zum Tanzen. Zum Anziehen. Neues ist geworden.

Amen

P.Wolfgang Petrak
Schlagenweg 8a
37077 Göttingen
Tel.:31838
Fax:0551/31627


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