Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Ostermontag
24.4.2000
1. Korinther 15,50-58

Richard Engelhardt

Liebe Gemeinde!

Der junge Mann, 25 Jahre alt, Organist mit Leib und Seele war unheilbar am Krebs erkrankt. Als sein Tod nahe war, hatte er den einen Wunsch, noch einmal den Sonnenuntergang am Golf von Neapel sehen zu können. Er fuhr unter vielen Mühen dorthin. Er saß den Abend und die halbe Nacht am Strand und starb kurz darauf, sehr getrost und sehr mutig. Bei seiner Beerdigung hörten wir auf seinen Wunsch den Satz des Paulus aus unserem heutigen Predigttext:

Der Tod ist verschlungen in den Sieg, Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?

Als wir diesen Satz an diesem Grab hörten, war es vielen von uns, als hörten wir ihn zum ersten Mal. Etwas von dem Geheimnis, das der Apostel hier mitteilen möchte, erschloss sich uns: Wir werden alle verwandelt werden.

Der Seher in der Offenbarung sagt es so:
Der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein;
Denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach:
Siehe, ich mache alles neu!

Diese Verwandlung, dieses völlig Neue, will der Apostel Paulus als den Trost aus der Auferstehung des Jesus von Nazareth seiner Gemeinde in Korinth mitteilen.

So weit wir wissen, war das Denken und Erleben der Christen in Korinth gar nicht so sehr unterschieden von dem, was Generationen von Christen danach gedacht und gefühlt haben. Und die Antworten, die sie auf ihre Fragen versuchten, waren von den Antworten, die wir zu geben versuchen, gar nicht so weit entfernt.

Was kommt nach dem Tod? Gewiss, die bunten Bilder eines Paradieses mit Engelwesen und nicht endendem Lobgesang, die unsere Vorfahren im Mittelalter noch malen konnte, sind uns unzugänglich und kein Trost mehr. Aber Trostbilder brauchen wir doch. Und ich denke, manch einer unter uns hat ganz verborgen doch noch das Bild einer Auferstehung des irdisch vorhandenen Leibes in einer paradiesähnlichen Welt in sich. Es kann doch nicht alles mit dem Tode vergangen sein. Und gibt es nicht doch vielleicht ein Wiedersehen in einer jenseitigen Welt? Warum ist es für manchen unter uns so tröstlich, einem geliebten Kind, das sterben musste, ein Spielzeug mit in den Sarg zu geben? Warum ist es vielen unter uns so wichtig, den Leib des gestorbenen geliebten Menschen unversehrt in einem kunstvoll gearbeiteten Sarg zu begraben? Trotz des unendlich grausamen und qualvollen Sterbens so vieler Menschen in den Kriegen und Mordorgien ideologischer Verblendung, das uns in nicht enden wollender Kette durch die Massenmedien vorgeführt wird, sind wir nicht abgestumpft oder zynisch geworden. Wir bleiben auf der Suche nach einem Trost, nach einem Halt, nach wenigstens einem hilfreichen Bild angesichts des Tods ringsum – und des zu erwartenden eigenen Todes. Und wenn einige unter uns scheinbar ganz nüchtern und realistisch den Tod als das absolute Ende zu begreifen versuchen und etwa im Testament festlegen, dass ihre sterbliche Hülle nach ihrem Tode spurlos verschwinden soll, so haben sie denn doch wenigstens den Trost, heroisch gedacht zu haben.

Wie gesagt: Da ging es den Korinthern nicht anders als es uns ergeht. Ich denke mir, genau deswegen kann das, was der Apostel Paulus an die Korinther schreibt, auch uns in unserer trostlosen Unsicherheit zu einem neuen Nachdenken helfen.

Sonntag für Sonntag bekennen wir es in unseren Gottesdiensten, dass wir die Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben glauben. Aber was ist das? Es bleibt doch das bange Fragen nach dem, was denn da kommt, wenn der Tod unser geliebtes und oft auch erlittenes Leben beendet.

Bei aller Wirklichkeit des Todes in unserem Leben, bei allem Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen, bei aller Bangigkeit über das, was uns selbst mit dem Tode erwartet, bleibt der Apostel Paulus dabei:

Der Tod ist verschlungen in den Sieg!

So wie Jesus Christus das Leid und die Not des Todes erfahren hat, wird es auch uns gehen. Aber Gott hat es nicht beim Tod am Kreuz belassen, sondern diesen Jesus von Nazareth durch den Tod hindurch auferstehen lassen. Deswegen – und nur deswegen – können wir ihn als den Christus bekennen. Tod ist jetzt zwar immer noch Ende des an die irdische Welt, an die Gegenwart gebundenen Lebens, aber er ist nicht mehr endgültig. Wir werden verwandelt werden – wie Jesus der Christus verwandelt wurde. Da gibt es keine Drohung mit schrecklichen Strafen oder ewiger Verdammnis, da gibt es auch keine Lockung mit Bildern ewigen Glücks, da gibt es nur die Gewissheit des Sieges über den Tod. Es ist dies kein Sieg, den wir durch geistige Leistung oder ethische Anstrengung erringen könnten. Es ist ein Sieg, der uns durch Jesus Christus gegeben wurde. Da ist nach unserem Tod etwas für uns vorbereitet, das wir anziehen werden wie ein neues Kleidungsstück: Unverweslichkeit, Unsterblichkeit. Diese Neue ist nicht denkbar, ist nicht vorstellbar, ist auch in Bildern nicht fassbar. Einzig im Glauben, im Vertrauen auf Gottes Güte können wir mit dieser Gewissheit zum Tode leben.

Wer bisher den Tod als Strafe eines von Gott entfernten Lebens sah – in der Sprache der Bibel: als Folge der Sünde – auch wer bisher den Tod als grausames Wirken finsterer Mächte zu erfahren glaubte, darf nach der Auferstehung Jesu auch im Angesicht des Todes befreit leben. Sowohl die Gottesferne wie auch alle unsere immer wieder quälenden Versuche, sie durch Gesetze und Ordnungen zu überwinden, sind durch Gott längst aufgehoben.

Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus!

Nein, nicht um irgendeine Spekulation geht es bei der Antwort auf die Frage: Was kommt nach dem Tod? Es geht auch nicht um ein Vertrösten auf spätere bessere Zeiten für den, der in diesem irdischen Leben leiden musste. Um den Trost geht es. Um den Trost, den wir brauchen, immer wieder brauchen, um das Leben bestehen zu können. Unsere Frage: Was kommt nach dem Tode? ist letztendlich die Frage: Wie können wir leben angesichts des Todes?

Besonders dramatisch stellte sich diese Frage für die Generation nach dem ersten Weltkrieg. Zum ersten Male waren durch Massenvernichtungsmaschinen unvorstellbar viele Menschen einen bis dahin unvorstellbar grausamen Tod gestorben, dessen Sinn nicht mehr erkennbar war. Aber dann begann man nach den ersten Jahren der Erstarrung den Soldaten Denkmäler zu setzen. Viele dieser Denkmäler zeigen nach alter Tradition und ohne Anzeichen ernsthaften Nachdenkens die Gestalten heldenhaft sterbender Männer , „in stolzer Trauer“, wie man später sagte. Ein Denkmal fällt aus diesem Rahmen. Ernst Barlach schuf es für den herrlichen Backsteindom in Güstrow in Mecklenburg. Eine ganz in sich ruhende schwere bronzene Gestalt schwebt unter dem Kreuzgewölbe einer Seitenkapelle des Domes über dem Gitter eines Taufsteines. Taufe und Auferstehung als Symbole. Es gibt kein weiteres Wort, keine Gedenktafel, keinen Hinweis. Die Symbole für Taufe und Auferstehung genügen dem Künstler, um dem, der der so grausam getöteten Menschen gedenken will, den Trost mitzuteilen, dass durch die Auferstehung Jesu Christi auch diese Toten des Krieges, die so sinnlos hingemordet wurden, verwandelt sind in eine neue Unverweslichkeit, Unsterblichkeit bei Gott. Es war nur folgerichtig, dass die Nationalsozialisten gerade dieses Denkmal besondern anfeindeten und schließlich vernichteten. Stand es doch im krassen Gegensatz zu ihrem Wahn von einem ewigen innerweltlichen Reich eigener Machtvollkommenheit und Stärke.

Und gerade dieses Bild zeigt: Ohne die Auferstehung Jesu Christi bleibt unser Leben in der Vergänglichkeit allen irdischen Lebens gefangen. Das, was Paulus den Stachel, den Machtanspruch des Todes nennt, bleibt dann bestehen: nämlich die Sünde, die Gottesferne. Der Tod ist dort, wo Gott fern ist. Durch kein Gesetz, kein Mühen, kein noch so edles Bestreben ist diese Ferne zu überwinden. Alles, was wir tun können, bleib ja an uns gebunden und führt nur zu uns zurück. In diese Trostlosigkeit stellt Paulus seine Trostrede vom Sieg über den Tod. Und aus der Gewissheit des Glaubens, dass Gott uns alle verwandeln wird, kann Paulus denn auch zum getrosten und getrösteten Leben rufen:

Weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist in dem Herrn.

Dieser Tage war es 55 Jahre her, dass Dietrich Bonhoeffer nach Jahren der Ungewissheit und inneren Kämpfe in den Gefängnissen der Nationalsozialisten ermordet wurde. Etwa ein Jahr vor seinem Tode schrieb er in einem Osterbrief:

„Die Überwindung des Sterbens ist im Bereich menschlicher Möglichkeiten, die Überwindung des Todes heißt Auferstehung. ... Von der Auferstehung Christi her kann ein neuer, reinigender Wind in die gegenwärtige Welt wehen. ... Wenn ein paar Menschen dies wirklich glaubten und sich in ihrem irdischen Handeln davon bewegen ließen, würde vieles anders werden. Von der Auferstehung her leben – das heißt doch Ostern.

Dazu helfe uns Gott: Von der Auferstehung her zu leben. Dazu helfe uns Gott, in den Jubel einzustimmen:

Der Tod ist verschlungen in den Sieg.

Amen.

Nachbemerkung: Neben der exegetischen Literatur zum Thema empfand Verf. die schon etwas ältere Meditation von Otto Weber (GPM 1954, S. 107) als hilfreich. Allerdings fällt durchgehend auf, dass in der Literatur zu 1. Korinther 15 vor allem die dogmatische Komponente beachtet wird. Ausgehend besonders von V. 58 scheint es Verf. nötig, den seelsorgerlichen Aspekt des Textes (wie des ganzen Kapitels 15) besonders zu beachten.

Pastor i.R. Richard Engelhardt
August-Bebel-Str. 18 A
19055 Schwerin Tel.: 0385-5815432
Fax: 0385-5815431


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