Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Karfreitag
21.4.2000
Hebräer 9,15.26b-28

Heinz Fischer

Liebe Gemeinde !

Vor uns steht im Altarraum ein gewaltiges Kreuz und wir können unschwer erkennen, daß es sich um einen Fichtenstamm handelt, der oben noch ein Büschel von kürzeren Zweigen trägt. Ein kräftiger, kurzer Querbalken ist mit festen Seilen an dem Baum zum Kreuz gebunden. Diese kahlen, entasteten Fichten haben vor vier Monaten hier als schöne, geschmückte Weihnachtsbäume gestanden und uns mit ihren weit ausla-denden Zweigen erfreut. Kahl und unansehnlich stehen sie jetzt zum Kreuz gebunden vor uns. So unansehnlich und damit unverständlich bleibt auch der Karfreitag, wenn wir das Opfer am Kreuz nicht auf uns beziehen und aus der Versöhnung leben, die Gott uns zugeeignet hat.

Mit Weihnachten und dem Kind im Holz der Krippe kann die Welt etwas anfangen. Das berührt alle Jahre wieder unsere Herzen. Wer tiefer blickt, nimmt wahr, daß diese Geburt der Anfang vom Ende des Alten Testaments war, des ersten Bundes, zu dem seit Moses Zeiten alle Jahre wieder das Versöhnungsfest [3. Mose 16; Jom Kippur] gehörte, bei dem in der Zeit Jesu der Sündenbock in die Wüste geschickt wurde. Es war der einzige Tag im Jahr, an dem der Hohe Priester das Allerheiligste des Tempels betrat und es mit Opferblut besprengte. Ohne ein Opfer, ohne Blutvergießen gibt es im kultisch - religiösen Denken keine Vergebung. Dieses Denken ist der Hintergrund des heutigen Predigttextes:

Verlesen des Predigttextes:

Hebräer 9, 15. 26b – 28 (Lektionar / Perikopenbuch S. 208)

Angesichts des kahlen und unansehnlichen Kreuzes vor uns wird ein Zusammenhang zwischen dem Holz der Krippe und dem Holz des Kreuzes deutlich. Mußte das nicht alles so kommen? Kann denn die Kluft zwischen dem ewigen Gott und dem sündigen Menschen anders überwunden werden, als durch das abschließende Opfer, das Gott uns gleichsam zur Verfügung stellt, um uns ein für allemal mit ihm zu versöhnen? Für uns heute ist das ein sehr fernes Denken. Aber er, der Sohn, willigt ein. Auch das Einwilligen in das Leiden ist uns fern gerückt und diese Ferne hat neues Leid tausend-fach hervorgebracht. Mußte nicht auch in meinem Leben alles so kommen? Das können Menschen nur sagen, wenn sie nicht nur das Gute und Angenehme aus Gottes Hand empfangen, sondern auch Trennung, Leidvolles und Schmerzen und wenn sie die eigne Schuld bei dem allen nicht leugnen.

Schon im Alten Testament ist beim Propheten Jesaja (53, 4 . 5) der "Knecht Gottes" verheißen: "Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unserer Schmerzen. ... Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten." Bis dieser erwartete "Knecht Gottes" kam, wurde das Opfer des alten Bundes jährlich wiederholt. Das Opfer des neuen Bundes ist am Karfreitag auf dem Hügel Golgatha abschließend geschehen. So ist Christus einmal geopfert worden, um die Sünden aller wegzunehmen, die in seinem Taufbund leben. Einen dritten Bund wird es nicht mehr geben. Deshalb heißt der letzte Satz im Predigttext: "Zum zweiten Mal wird er nicht der Sünde wegen erscheinen, sondern denen, die auf ihn warten, zum Heil". Das ist die stille Freude des Karfreitags. Der Hebräerbrief sieht die Vollendung nicht erst am Ende der Zeit, sondern das "Voll – Ende" schon im Tode Jesu. Das ist die Erfüllung des alten Bundes, die Vollendung des ersten Bundes und der Anbruch der neuen Schöpfung. Solche Worte kommen erst in der Osternacht zum Tragen, aber der Hebräerbrief war eben an Judenchristen gerichtet, die diese theologischen Zusammenhänge aufnehmen und verarbeiten konnten. Sollten wir ihnen nachstehen ??

Das Sterben am Kreuz läßt sich nicht ungeschehen machen. Es bleibt grausig, wie menschliche Sterben so oft, wie jeder Justizmord in den Imperien aller Zeiten, in denen Gewalt- und Alleinherrscher den Daumen heben oder senken können und über Leben und Tod entscheiden !

Aber das Kreuz Christi hat auch darin eine andere Dimension. Es bezieht uns mit ein und hat die bohrenden Fragen nach dem Sinn des Leidens, die auch in der nächsten Generation wieder gestellt werden, längst beantwortet. Das gehört zu der Zeitenwende vor 2000 Jahren. Auch deshalb sprechen wir von der endgültigen Erfüllung des alten Bundes und einem neuen Bund mit Gott, den der Jesus, der zum Christus wurde, gestiftet hat. In diese Stiftung sind wir einbezogen. Wir sind gemeint.

Ein Kruzifix zeigt das ganz deutlich, das im Münsterland in einem Internat hängt. Der zeitgenössische Künstler hat mit einfachen Mitteln und unansehnlichem Material den Gekreuzigten dargestellt und verwendet dabei Altmetall, Ketten, Eisenteile, Spiralen und ein Rad. Das Rad deutet den Kopf an, das "Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn"! Mitten in dem Rad, wo sein verunstaltetes "edles Angesicht" uns anblicken müßte, sehen wir in einen Spiegel. Ich sehe mich selbst! Vor dieser Skulptur kann ich unmittelbar erleben: Er hat auch an mich gedacht, als er rief, es ist vollbracht!

Ein neueres Lied in unserem Gesangbuch (Nr. 94) beginnt mit den Worten: "Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet!" Damit ist der neue Bund gemeint, von dem hier im Hebräerbrief die Rede ist. Besonders die zweite und fünfte Strophe führen den Gedanken weiter:

(2) Er wollte, daß die Erde zum Stern des Kreuzes werde, und der am Kreuz verblich, der sollte wiederbringen, die sonst verloren gingen, dafür gab er zum Opfer sich.

(5) Wir sind nicht mehr die Knechte der alten Todesmächte und ihrer Tyrannei. Der Sohn, der es erduldet, hat uns am Kreuz entschuldet. Auch wir sind Söhne und sind frei!.

Amen

Propst Heinz Fischer, Gr. Kirchhof 6 in 38350 Helmstedt


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