Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Worte vom Kreuz
Predigtreihe für die Passionszeit 2000
4. Sonntag der Passionszeit, Laetare

2.4.2000
Johannes 19,28

Klaus Schwarzwaeller

Johannes 19,28:

Mich duerstet

Liebe Gemeinde.

Beim ersten Verhoer bespuckte man ihn, bearbeitete ihn mit Faeusten und schlug ihm ins Gesicht. Dann schleppte man ihn vor den Gouverneur - daß man ihn für einen Verbrecher hielt, zeigte sein blutendes, verquollenes Gesicht. Der Gouverneur ließ ihn ausziehen und auspeitschen - die dazu abkommandierten Soldaten pflegten das mit zuverlaessiger Gruendlichkeit auszufuehren. Nach der anschließenden Verurteilung gab der Gouverneur ihn ihrem Mutwillen preis. Sie verkleideten ihn als Koenig, drueckten ihm einen Stock als Szepter in die Hand und pressten ihm eine aus Dornen geflochtene Krone auf den Kopf: die jaemmerliche Karikatur eines Koenigs - man hoert schier das Gejohle der Peiniger. Sie nahmen ihm das hoelzerne Szepter aus der Hand und droschen damit auf seinen Schaedel, immer auf die Dornen. Anschließend luden sie ihm seinen Galgen auf - letzte sadistische Ironie: Er hatte ihn selber zum Richtplatz zu tragen. Die Mißhandlungen hatten ihn allerdings so geschwaecht, daß er das nicht mehr vermochte. So zwang man einen Passanten, ihm sein Kreuz abzunehmen und es fuer ihn zur Schaedelstätte zu schleppen: Die Passion des Jesus von Nazareth.

Seine Kreuzigung war eine Routine-Angelegenheit für die Soldateska und wird gekonnt und mit weiteren, beiläufigen Grausamkeiten vollzogen worden sein. Die Verurteilten waren ans Kreuz zu heften und anschließend mit diesem aufzurichten - doch nicht zu hoch. Denn wenn alle abgezogen waren, sollten die Hunde auch noch ihr Vergnügen haben, allerdings etwas springen muessen... Und dann hing Jesus in der Luft. Er hing nackt. Seine Wunden und seine zerfetzte Haut waren der Sonne preisgegeben, die in Palaestina zu dieser Jahreszeit bereits Kraft hat. Da hing er nun - elend und anzusehen, wie eben ein Mensch aussieht, an dem sich Hass und Grausamkeit ausgetobt haben.

»O Lamm Gottes, unschuldig / Am Stamme des Kreuzes geschlachtet«

"Mich duerstet" - Es gibt mancherlei Durst. So den nach einer Anstrengung oder den bei einer Wanderung im Sommer, den nach einer pikanten Mahlzeit oder den aufgrund von Geselligkeit. Diesen Durst loescht man genußvoll und mit Behagen: "Aaaah..." Es gibt den Durst, der entsteht, weil der Mund schlagartig trocken wird - etwa wenn ploetzlich Gefahr, Peinlichkeit oder eine Katastrophe eintritt. Da bedarf es des sprichwoertlichen Glases Wasser; es wird hastig geschluckt, erquickt aber nicht. Und es gibt den Durst als Folge von Misshandlung und Folter. Die Aelteren mögen ihn plastisch vor Augen haben aus dem Film "Der Gloeckner von Notredame" mit dem unvergesslichen Charles Laughton in der Rolle des Quasimodo, wie er nach seiner Auspeitschung um Wasser stoehnt - und Esmeralda traenkt ihn. Durst und Durst ist wahrlich zweierlei.

"Mich duerstet" - hat nach der Überlieferung Jesus am Kreuz gesagt. "Mich duerstet" klingt nach Hochdeutsch, nach Schriftsprache; doch wir können's auf deutsch nicht kuerzer sagen. Jesus wird's auf aramaeisch gesagt haben, und da ist es ein einziges Wort. Vielleicht hat er auch einfach nur "Durst!" gesagt oder "Wasser!" - und vermutlich hat er es weder gesagt noch geschrien. Er wird es vielmehr gestoehnt haben, mit trockenem Mund und unter Qualen - so wie eben ein Mensch in derartiger Lage sich bemerkbar macht. "Mich duerstet" oder auch: "Wasser!" - man muß einmal in einem Bericht aus einem Konzentrationslager lesen, wie ein durch Knueppel und Fusstritte Zerfleischter, am Boden liegend, seine Zunge herausstreckt, um Durst anzuzeigen, und man weiss, was dieser Durst besagt.

»Allzeit erfunden geduldig, / Wiewohl du warest verachtet«

"Mich duerstet" - der Tiefpunkt des Leidensweges vor dem Tod. Das Zeichen letzter Erniedrigung und Zerstoerung dieses Menschen. Der Ausdruck dessen, dass er nur mehr sein nacktes Leben hat und eingeschraenkt ist auf die elementaren Koerperfunktionen. Das Wort der tiefsten Demuetigung und Erniedrigung des Gottessohnes, der Ruf oder vielmehr das Stoehnen der Ausloeschung aller Wuerde. Der am Kreuz "Mich duerstet" sprach, ihn hat man - und nun kann man es nur noch in der zynischen Brutalität des Neudeutschen sagen: Ihn hat man zu "Sozialschutt" verarbeitet, und Hunde und Voegel sollen ihn "entsorgen". Dass man ihn doch noch bestattete, war bei dieser Todesart eigentlich nicht vorgesehen.

Adam und Eva wollten "sein wie Gott"; seither scheint sich nichts geaendert zu haben. Der wahre Gott aber, er wurde nicht wie ein Mensch, sondern er wurde Mensch. Er wurde es nicht in der Weise, wie es weithin als Ziel und Inbegriff eines guten Lebens erscheint: reich, gluecklich und im Zentrum der oeffentlichen Aufmerksamkeit. Er wurde es in einem besetzten Land geboren, lebte dort und starb dort den Tod eines religioesen Eiferers und politischen Aufruehrers. Sein Leiden und sein Sterben häaeten allenfalls eine zehn-Zeilen-Notiz im Lokalteil der oertlichen Tageszeitung ergeben; durch die Medien waeren sie nicht gegangen. Warum auch - allenthalben litten und starben und leiden und sterben weiterhin ungezaehlte Menschen in vergleichbarer Weise. "Mich duerstet" oder einfach: "Wasser!" - das Stöhnen von Menschen, denen man die Wuerde und den Namen raubte, die nichts mehr zaehlen.

»All Suend hast du getragen«

Man gab ihm zu trinken: - Essig, warum auch immer. Moeglicherweise ist das nicht woertlich zu verstehen (so wenig wie ein Kauf "für 'n Appel und'n Ei"), sondern ist es eine Anspielung auf Psalm 69 (Vers 22): "Sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken in meinem großen Durst.", d.h. als sprichwörtliche Kennzeichnung der Verlassenheit und Trostlosigkeit. Wie auch immer, jedenfalls ist deutlich: dem, der am Kreuz haengt, wird nichts geschenkt, bleibt nichts erspart. Er muß erdulden, hinnehmen, aushalten. Sein Ende wird ihm schwer, wird ihm zur Qual gemacht. Erbarmen gibt es für ihn nicht. Dass Gott Mensch, daß er Mensch unter Menschen wurde, wird ihm nicht verziehen; man laesst es ihn bis zum letzten Augenblick spueren, dass er besser fern im Himmel geblieben waere.

Das ist es, was sein Leben ausmacht: Er ist ein Fremdkoerper. Man ist von ihm zwar fasziniert, aber man will ihn nicht haben. Und er selber, was will er, der, umstellt von Gaffern ohne Gefuehl, um Wasser stoehnte und Essig bekam? Er ging seinen Weg in nuechternem Realismus. "Weint ueber euch selbst, nicht über mich!", ruft er denen zu, die klagend und trauernd seinen Weg zur Hinrichtung saeumen. Wieso? Deswegen, weil sein Weg und sein Leiden Weg und Leiden der Verlorenen sind: der Suender vor Gott, also der Weg aller Menschen. Als wollte er sagen: Ihr weint und jammert über mich und seid hiermit beschaeftigt. Doch so lenkt ihr davon ab, daß es hier um euch selber geht! Erkennt ihr euch selber in mir? Ist euch klar, dass ihr verloren seid vor Gott - wie jetzt ich auf diesem Weg? Ihr begreift nicht und werdet nicht begreifen, was ihr hier mit euren eigenen Augen seht, solange ihr nicht an euch erkennt: Es ist eure Last, die auf mir liegt, euer Versagen, das mich belastet, eure Suende vor Gott und Menschen, die ich trage.

»Sonst muessten wir verzagen«

Hier reiben wir uns; das koennen oder wollen wir weithin nicht einsehen und weisen es zurueck, nicht selten entruestet. Dass ich für mich stehe und selbstverantwortlich bin, gehoert zum Einmaleins unserer Lebensauffassung und ebenso, dass ein wirklicher, ein annehmbarer Gott uns nicht verdammt und verloren gehen laesst, nur weil wir irrende, unvollkommene und uns verschuldende Wesen sind. Dass das Suende sein soll, dass wir darin verloren waeren, dass es gar notwendig war, dass der Unschuldige diesen Durst, dieses leiden für uns ertrug und dafuer litt und ans Kreuz ging, gehen musste, ist uns nicht bewußt. Die Frage kommt uns nicht einmal in den Sinn. Dabei wissen wir es doch besser! Bereits bei so Banalem wie beim Bimbes reicht eine materielle Wiedergutmachung nicht zu. Alle fuehlen es, und die Besonnenen sprechen es aus: Damit ist man noch beim alten, das ist kein Neuanfang. Einen Neuanfang kann es nur geben, wenn ein deutlicher Schnitt gezogen wird und wenn die Hauptperson dabei einbezogen ist. Hier taucht ein tiefes Wissen ans Licht empor: Eingestaendnis, Bedauern, Erstattung und gute Worte und guter Wille, das alles ist zuwenig. Schuld verlangt nach Suehne. Suehne aber vollzieht den Bruch mit dem Bisherigen.

Es klingt nach Logik und wird doch immer wieder ganz unmittelbar gespürt, erahnt. Ohne Umschweife geredet: Wer mit tiefer Schuld zu tun hat, weiss und fühlt: Eingeständnis, Bedauern, Erstattung und gute Worte und guter Wille, das alles reicht nicht zu. Damit bleibt man beim alten, gibt es keinen Neuanfang. Wenn die Dinge soll liegen, wenn wir also unentrinnbar zugleich in Schuld verstrickt sind und doch leben wollen und auch leben sollen: Dann stecken wir in einer Zwickmuehle, dann sind wir gefangen, und zwar ohne Ausweg Und wenn wir dann nicht "verzagen", dann resignieren wir eben oder fluechten uns in Abgebruehtheit - oder wir machen uns selbst etwas vor; aber das trägt, wie wir genau wissen, bereits beim Bimbes nicht. Aehnlich wie vor fast einem Jahrtausend für den beruehmten Erzbischof Anselm von Canterbury stellt sich uns die Alternative: Entweder unsere Lebensschuld wird von uns genommen und ein anderer traegt sie fuer uns fort, oder aber wir müuesen sie selber tragen. Also bezahlen, mit unserem Leben bezahlen.

»Erbarm dich unser, o Jesu«

"Mich duerstet" -Auf ihm, dem wahren Gott, liegt alle Schuld aller Menschen. Er traegt sie - an unserer Statt. Darum ist durch sein Leiden, Duersten und Sterben das Leben neu eröffnet, wieder geschenkt worden. Deshalb singen wir vor dem Abendmahl: "Christe, du Lamm Gottes, der du traegst die Suend' der Welt, erbarm dich unser!" Daraufhin empfangen wir im Abendmahl aus Leib und Blut des Herrn Leben, Leben, das frei ist von der Last unserer Suende und Schuld, Leben, für das gesuehnt ist. Und daraufhin werden wir nach dem Abendmahl "im Frieden des Herrn" entlassen zu einem Leben in Versoehnung und mit Blick für die Mitmenschen. "Mich duerstet" - das Leiden des Herrn schreit uns ins Ohr: Du darfst leben. Das Leben hatte seinen Preis, einen hohen Preis; das Leben wurde erworben durch Leiden und Tod.

Darum, weil Jesus fuer uns am Kreuz Durst durchleidet, weil er für uns starb, darum koennen wir um sein Erbarmen flehen. Seit die Last unseres Lebens auf ihm liegt, ist sein Erbarmen unser ganzer Schatz. Es ist sein Erbarmen, durch das wir selbst nach einem verpfuschten und durch Schuld zerstoerten Leben mit ihm "im Paradiese sein" sollen - fasse das, wer es kann!

Mich duerstet

Dieser Laut der Qual schreit es ins Ohr: Gott gab sich hin für uns, "auf daß wir Frieden haetten" und frei werden von unserer Suende und der Last unserer Lebensschuld - Gott gewaehrt uns leben, so wahr der Gottessohn leiden mußte, duerstete und starb.

AMEN.

Nachbemerkung: Damit die Gemeinde für die beiden dürren Woerter des Predigttextes von vornherein einen genuinen Zusammenhang im Sinn hat, schlage ich vor, vor der Predigt EG 190.1, 1 zu singen.: "O Lamm Gottes, unschuldig am Kreuz geschlachtet" .Die Predigt selbst greift die praegnanten Verse dieser Strophe fortlaufend auf.

Prof. Dr. Klaus Schwarzwaeller, Laurentiusweg 16, 24960 Munkbraup, Tel. 04631-7278.


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