Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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Sonntag vor der Passionszeit, Estomihi
5.3.2000
Amos 5,21-24

Joachim Goeze

21 "Ich bin," spricht Jahwe, "euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. 22 Und ob ihr mir gleich Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich keinen Gefallen daran; so mag ich auch eure feisten Dankopfer nicht ansehen. 23 Tue nur weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Psalterspiel nicht hören ! 24 Es soll aber das Recht offenbart werden wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein starker Strom." (Lutherübersetzung)

Exegetische Anmerkungen

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

heute wird uns wieder mal ein Predigttext zugemutet, der könnte von Leuten stammen, die es als Zumutung empfinden, überhaupt hier in der Kirche und zum Gottesdienst am Sonntagmorgen zu erscheinen. ' Wer heute noch in die Kirche geht, der oder die muß ja schon etwas verbrochen haben, wer sich zu so etwas Weltfernem aufmacht und noch dazu früh aufsteht nach dem Western gestern abend, der bis in die Puppen nach Mitternacht im Fernsehn lief, wer unter solchen und anderen Lebenslagen zur Kirche rennt, der hat was. Da stimmt was nicht. Und ist es nicht auch so, daß es immer dieselben gedrückten Leute sind, die kommen, die nämlich, die mit ihrem Leben nicht zurecht kommen und deshalb rennen müssen, vielleicht büßen, weil sie etwas verbrochen haben. Ja das ist es: Wer in die Kirche springt, hat etwas zu verbergen und ist verdächtig. Weil wir, wir tun ja Gutes und müssen deswegen auch nicht unser schlechtes Gewissen beruhigen. Und manche von denen - wie oft tun die das.'

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Soweit die Vorurteile gegen Kirchgänger von außen. Immerhin, so darf ich, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, mal anmerken, besuchen jeden Sonntag immer noch mehr Menschen den Gottesdienst unserer Kirchen in Deutschland als den Fußballplatz - alle Großstadien eingeschlossen. Aber viel berechtigter ist ja die eigene, die Meinungsbildung von innen.

Ich verlängere Amos' Publikumsbeschimpfung: Wenn ich, sagt meine durchaus kircheninteressierte Cousine, schon dieses orgelumdröhnte : "Ehre sei dir Herre" höre, das keiner rechtzeitig mitsingt ! Und welcher Mensch benutzt denn heute noch bei Bewußtsein die Worte: "O,Christe!" Wer, um mit ihrem Lieblingslied fortzusetzen, redet sich heute denn selber so an:' Lobe den Herren... meine geliebete Seele, das ist mein Begehren !' ?? Muß ich denn wirklich erst das Deutsch des 16.Jahrhunderts verstehen, früh und spat kraft deiner Angst und Pein, um meinem Glauben heute Ausdruck zu geben? Kommt dann noch hinzu, daß so oft der Gesang durch die voranziehende Orgelbegleitung beeinträchtigt wird, dann paßt zur Gefühlslage, was vor 30 Generationen Amos im Namen Gottes über die Gottesdienste im Land Israel gesagt hat (in der Übersetzung der "Guten Nachricht"): "Der Herr sagt : 'Ich hasse eure Feste und kann eure Feiern nicht ausstehen. Eure Brandopfer und Speiseopfer sind mir zuwider; das gemästete Vieh, das ihr für das Opfermahl schlachtet, kann ich nicht mehr sehen. Hört auf mit dem Geplärr eurer Lieder ! Euer Harfengeklimper ist mir lästig ! Sorgt lieber dafür, daß jeder zu seinem Recht kommt! Recht und Gerechtigkeit sollen das Land erfüllen wie ein Strom, der nie austrocknet."

Da ist er wieder der uralte Gegensatz von Gottesdienst der Feier und Gottesdienst der Tat, die Alternative von Liturgie und Diakonie, die vermeintliche Möglichkeit, die gute Tat des Glaubens von ihrem Beweggrund, ihrem Motiv, trennen zu können. Besser als Amos zu seiner Zeit, können es auch heute die fähigsten Kirchenkritiker nicht sagen, VV 21f.... sorgt lieber dafür, daß jeder zu seinem Recht kommt! Was nützt die ganze Feierei, wenn die Taten nicht stimmen, wenn Wasser gepredigt und Wein getrunken wird, wenn, wie es auch damals war, so ein großer Unterschied zwischen Wort und Tat bestand, daß aufrechte Leute schon gar nicht mehr die Kraft hatten und haben, sich aufzuregen über die Zustände in diesem unserem Lande. Wißt Ihr, das mich das schon mal ganz schön beruhigt. Es war immer schon so! Und es ist nötig, sich vorzustellen, daß Gott auch mit unseren wohlgemeinten Gottesdiensten und Predigten fertig werden und sie tragen und ertragen muß !

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Christsein und nach den zehn Geboten zu leben versuchen, das war damals eine Seltenheit und ist es heute, Christen werden in unserm Land eine kleine radikale Minderheit. Und was damals die Aufgabe der Profeten war, nämlich die Befolgung der Gebote und gerechte Lebensverhältnisse öffentlich anzumahnen, wo findet das heute statt? In der Kirche ? Bei den 'christlichen' Parteien? "Sie rufen Friede,Friede, und ist doch kein Friede" sagt Amos. Sind wir von allen guten Geistern verlassen? Was müßte heute öffentlich über Gerechtigkeit diskutiert werden ! Kann das angesichts von unverändert millionenfacher Arbeitslosigkeit undiskutiert bleiben, daß ein einzelner Manager für eine erfolgreich vollzogene Übernahme seiner Firma 60 Millionen Abfindung erhält wie jetzt bei Mannesmann? "Ihr unterdrückt die Schwachen und schindet die armen Leute" sagt der Profet (4,1)

Da gab es und gibt es immer zu tun: Gerechtigkeit ist ein Vorgang und ein immer neu zu schaffender Weg, um den sozialen Frieden zu erarbeiten. Und der nächste wirtschaftliche Umschwung und die nächste gesetzgeberische Maßnahme kann schon aus gewolltem Recht neues Unrecht entstehen lassen. Darum ist das nicht nur ein poetisches Bild, von dem der Profet spricht, "es fließe Gerechtigkeit wie ein Strom, der nie austrocknet.." Sondern es spiegelt die harte soziale Realität wider, die ewige Arbeit am Schalom, dem Frieden, der soziale Gerechtigkeit einschließt und erst die Grundlage sein kann für die "schönen Gottesdienste des Herrn". Und nach Meinung der Kirchenkritiker aller Zeitalter ersetzt eben die Feier des Gottesdienstes gerade nicht die gerechte Tat im Alltag, sondern begründet sie. Ja vielleicht angesichts der Berge von Ungerechtigkeit im großen wie im kleinen, angesichts der Unsicherheit über die Werte, die gelten und durch- gesetzt werden und befolgt werden sollten, ermöglicht überhaupt erst das Feiern von Gottesdiensten, die Vergewisserung, daß wir in unserem Eintreten für Werte wie Achtung und Respekt vor und für unsere Mitmenschen nicht allein sind, so einen Kampf um Gerechtigkeit aufzunehmen. Und dabei, so scheint mir, sind wir wieder mal am Anfang, die Arbeit, ja überhaupt das Bewußtsein für Gerechtigkeit zu wecken, muß immer neu getan werden.

Ich war zu einem Geburtstag eingeladen, das Gespräch ging um die Frage, ob die Kirche, und ich als Kirchenvertreter, überhaupt noch was zu sagen hätte." Nein", beantwortete ich diese Herausforderung, "heute ist es doch ein Beitrag zur Lebensuntüchtigkeit, wenn ich von Jugendlichen verlange, daß sie die zehn Gebote befolgen sollen." Da hättet Ihr einmal sehen sollen, wie sich meine Zuhörer aufregen wollten, weil ich den christlichen Zuckerguß für die allgemein anerkannten, aber kaum befolgten Erziehungsziele verweigerte.

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Und nicht die ungerechten Vorgänge, die zu meiner 'realistischen' Verweigerung führten, sondern ich war es, der alle Angriffe abkriegte. Für Gerechtigkeit sorgen, um mit Amos zu sprechen, heißt heute also daran festhalten, daß - mögen sie auch millionenfach übertreten werden - die zehn Gebote und ihre Gerechtigkeit als Werte und Maßstäbe des privaten und öffentlichen Handelns immer aufs neue anerkannt und befolgt werden. Und da reicht es mir einfach nicht, wenn ich von der einzigen mir bekannten kirchlichen Veranstaltung mit einem der 'Spendenge- schädigten' folgendes lese: " 'Wer von uns hat nicht schon einmal gelogen ?' Die Zuhörer in der vollbesetzten Marktkirche Hannovers gingen nachdenklich nach Hause." Reicht das zum 8.Gebot? Was hat es nicht schon alles für kirchliche Verlautbarungen gegeben? Sagen heute nur noch Karnevalisten die Wahrheit? Und sicher habe ich jetzt Stimmen, auch kirchliche, zu diesem Thema überhört, weil ich wie viele von Ihnen, liebe Schwestern und Brüder, davon nichts mehr hören kann.

Meine Ohnmacht ist offenkundig, meine Möglichkeit, die einzige, die ich habe, ist der Versuch, in meinem Lebensbereich es Recht zu machen und Recht geschehen zu lassen. Dietrich Bonhoeffer, der ja immer wieder gut ist für treffende Worte, hat es so zusammen gefaßt: Beten und das Tun des Gerechten mitten im Alltag ist das, was uns übrigbleibt.(WuE). Und an dieser Stelle ist dann auch mal der Ort, dankbar zu werden, daß es seit dem 31.Oktober letzten Jahres in den beiden großen deutschen Konfessionskirchen eine gemeinsame Lehrgrundlage über diesen Zusammenhang von Rechtfertigung und guten Werken gibt. Kein lutherischer Kirchenvorsteher (Presbyter) kann sich nun noch mit Recht auf seinen Grabstein die schöne Inschrift setzen lassen:' ich habe mein Leben lang geglaubt und auch keine guten Werke getan'. Nein, Amos betont nur, was ohnehin immer wieder in jeder christlichen Existenz neu gefunden werden muß: wie lasse ich mir schenken und wie versuche ich immer wieder aktiv zu leben, daß Wort und Tat, Gottesdienst der Feier und der des Alltags stärker übereinstimmen, so daß um Gottes Willen meine Glaubwürdigkeit wachsen und damit die Glaubwürdigkeit der Kirchen zunehmen kann.

Und hier merken Sie, denke ich die Kirche als eine Personengemeinschaft, als Gottesvolk auf dem Wege der Gerechtigkeit in den Schalom Gottes. Dessen Kehrseite aber ist ja nun die harte erzieherische Verurteilung der unheiligen Praxis damals wie heute. So zieht sich der Heils-und der Unheilswille Gottes durch die Geschichte des alten und neuen Gottesvolks ohne Naht.

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Was also tun, was heute mit nach Hause nehmen von diesem Gottesdienst der Feier in den Alltag der kommenden Woche mit ihren Entscheidungen und Taten? Es steht wie so oft gut an, auf diese Frage mit einer Geschichte zu antworten, einer Geschichte, die uns vielleicht hilft in dem Versuch, christlich zu leben. "Meister Djo jen wurde eines Tages von einer jungen Frau bezichtigt, er sei der Vater ihres Kindes. Sie verlangte, daß der Meister das Kind zu sich nähme und für es sorge und überhaupt in jeder Beziehung für seinen Unterhalt aufkomme. Ihre Eltern erschienen vor der Klosterpforte und beklagten sich bei dem Klostervorsteher, schimpften über den Meister und seine Zuchtlosigkeit und erklärten, für das Kind nicht sorgen zu wollen. Dann übergaben sie das Kind in die Obhut der Einsiedelei. "So!" sagte Meister Djo jen und nahm das Kind auf seine Arme. Auf seiner alltäglichen Runde in der Stadt, auf der er sich seine Schale mit Reis erbetteln mußte, erhielt nun der Meister bittere Würze. Er mußte sich große Vorwürfe über seinen Lebenswandel anhören und beissenden Spott, da er seinen Zielen so untreu geworden sei. Aber einsichtige Leute machten die ausbleibenden Rationen wett, indem sie doppelt gaben. Einige bedachten auch das Kind und schenkten Milch dazu, daß es in der Klause wachsen und gedeihen konnte. Des Meisters geistliche Übungen wurden nun begleitet von der Sorge um das Wohlergehen des Kindes. Und dessen zufriedenes Schmatzen, wenn es sich von den Gaben der Einsichtigen genährt hatte, vertieften die Stille der Meditation, wenn auch der strikte Tagesablauf des Mönches nicht gewahrt werden konnte. Ein Jahr war vergangen. Eines Tages war es der jungen Mutter zuviel, sie verzehrte sich in Sehnsucht nach ihrem Kind und endlich gestand sie, daß der Vater des Kindes ein Fischer sei, den sie bei ihrer Tätigkeit auf dem Fischmarkt kennengelernt habe. Sie weinte und widerrief bei ihren Eltern. Sogleich erschienen diese vor dem Klostervorsteher und forderten das Kind für ihre Tochter. Dieser sandte sie zum Meister. Zusammen mit der Mutter des Kindes erschienen alle vor der Klausur, erzählten, wie es wirklich gewesen und wollten das Kind zurück. Meister Djo jen trug das Kind auf dem Arm. Er hörte sich alles an. "So!" sagte er und gab das Kind in die Obhut seiner Mutter zurück. Dann schloß er das Tor, denn seine tägliche Bettelrunde lag schon hinter ihm."

Mir gefällt, wie da einer angegriffen doch die richtige Unterstützung erfährt und wie er dann auch wieder loslassen und den " Erfolg" in Gottes Hand lassen kann, in alldem gelassen bleibt, "durch Ehre und Schande", (2.Kor.6,8) "haben als hätte man nicht", in schlechtem Ruf und mit öffentlichem Gegenwind wie unsere zu recht kritisierte Kirche, wie einer das Notwendige tut - wie ein Profete eben. So eine Stabilität durch alle Änderungen hindurch anzustreben, dazu ermutigt Amos.

Exegetische Anmerkungen
Wenn der Rinderhirt Amos Kritik an der Priesterkaste übt, spiegelt sich das fort-dauernde Gegensatzpaar Profet hie und amtliche Religionsinstitution dort wider. Ein Lieblingsthema muss ich protestantisch sagen: vom " Leiden an der Kirche", so das unvergessene Buch von Helmut Thielicke, bis zum "Haus,das die Träume verwaltet", um mit Fulbert Steffensky zu sprechen, ohne das es Glauben auf Dauer nicht geben kann.(S.17).Also das ' Positive' aufnehmen V.24:"Es soll aber das Recht offenbart werden wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein starker Strom." Richtschnur israelitischer Kultkritik, die zugleich ja politische Kritik ist. Hier nehme ich die Exegese auf, um sie auf unsere Kultur samt ihrer Diskussion christlicher? postmoderner Normen zu beziehen: Dogmatik als Beitrag zur Bildung von Grundwerten heute. Predigt als Kommunikation mit Zuhörern, die wie ich den Strom der Gerechtigkeit heute fließen sehen möchten.

Dr. Joachim Goeze
Schlesierstr. 1a
38448 Wolfsburg


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