Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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3. Sonntag vor der Passionszeit
20.2.2000
Jeremia 9,22-23

Gottfried Sprondel

„So spricht der Herr: Ein Weiser rühme sich nicht seiner Weisheit; ein Starker rühme sich nicht seiner Stärke, ein Reicher rühme sich nicht seines Reichtums. Sondern wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich kenne, daß ich der Herr bin, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit übt auf Erden; denn solches gefällt mir, spricht der Herr“.

Wir alle kennen ihn (oder sie): den lieben Mitmenschen, auch Mitchristen, der über gar nichts reden kann, ohne seine Zuhörer schon im zweiten Satz wissen zu lassen, daß er selber Entscheidendes dazu getan habe, zumindest dabei gewesen sei oder schon gleich zu Anfang vorhergesagt habe, wie alles kommen würde. Einige Uneingeweihte staunen eine Zeitlang. Andere, die den Fall bereits kennen, lächeln, wenn sie ärgerlich sind, sarkastisch, wenn sie milde denken, mitleidig, nach der Weise: der Mann, die Frau braucht das wohl, nur glauben kann und will ich ihm oder ihr nicht.

Den Angeber, so nennt unsere Sprache diesen Typ. Er muß einfach angeben. Der Psychologe sagt: er ist der Mensch mit der Selbstwertneurose. Wenn er seinen eigenen Wert nicht ständig nach außen kehren kann, verfällt er in Depression. Die Bibel sagt: er muß sich „rühmen“. Denn er ist sich seines eigenen Wertes nicht gewiß und fürchtet nichts mehr als den Tag, an dem herauskommt, daß er in Wahrheit ein armes Würstchen ist. Denn dann bricht ihm seine Welt zusammen.

Die Sache mit dem „Rühmen“ ist übrigens noch vertrackter. Ein ganz Schlauer kann es nämlich auch mit der Bescheidenheit und Selbstkritik versuchen. Das wirkt eine Weile ganz sympathisch und erspart es den Mitmenschen, mich zu kritisieren; ich besorge das ja schon selber. Aber ganz geheuer ist es doch niemandem. Wilhelm Busch hat eines seiner geistreichsten Gedichte diesem Fall gewidmet. Sein Schluß lautet: „ So kommt es dann zuletzt heraus, das ich ein ganz famoses Haus“ – also ungefähr dasselbe wie beim Angeber. Wenn es dann noch jemand mit einer christlich eingefärbten Demut versucht, verbreitet sich mit der Zeit ein übler Geruch. Ein Deo gegen Heuchelei gibt es nicht!

Aber gibt es ein Heilmittel gegen die Krankheit, den eigenen Wert nach außen spielen und sich und andere damit quälen zu müssen? Die Bibel sagt: ja. Dieses Ja ist genau genommen sogar ihre eigentliche Botschaft; und wo sie vernommen und angenommen wird, breitet sich klare und gesunde Luft aus. Ja, rühme dich nur!, sagt sie. Du bist ja nicht eine Pflanze oder ein Tier, die Selbstwertprobleme nicht kennen, sondern einfach nur leben und da sind und dadurch ihren Schöpfer preisen. Du brauchst, weil du ein Mensch bist, einen Grund dafür, daß du lebst und da bist. Die Sprache unseres Glaubens nennt das: die Rechtfertigung. Der Angeber prahlt einzig aus diesem Grunde mit seiner tollen „performance" wie das heute heißt. Der Niedergeschlagene leidet einzig aus diesem Grunde, denn er hat seinen eigenen Wert noch nie erlebt, niemand hat ihn davon überzeugt. Der Schöpfer hat uns so gebaut, daß wir ohne Rechtfertigung gar nicht existieren können.„Rühme dich nur“, sagt die Bibel; es geht nicht anders. Aber „wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, daß er klug sei und mich, nämlich seinen Gott und Herren kenne!“

Jetzt nicht gleich die Flinte ins Korn geworfen, weil das so fromm klingt und so ähnlich, wie manche christlichen Scheinantworten, die man nicht mehr hören mag! Die Sache ist sehr ernst und sehr fröhlich zugleich. Denn sie lautet: dein Wert vor Gott und den Menschen ruht gar nicht in dir selbst. Geh nur auf die Suche da drinnen, da ist keine Antwort auf diese Frage. Der alte Witz, daß einer der gemahnt wird, er solle doch endlich einmal in sich gehen, antwortet: da war ich schon, da ist auch nichts los – dieser Witz ist nicht nur treffend, sondern auch auf eine unentrinnbare Art wahr. Ich kann nicht leben ohne Rechtfertigung, nur ich finde einfach keine in mir. Da bleibt mir nur eine der beiden Möglichkeiten. Entweder ich baue eine Fassade nach außen mit viel Glamour auf und tue das so anhaltend, daß ich es schließlich selbst glaube (der Angeber). Oder ich tauche aus der Tiefe meiner Selbstzweifel überhaupt nicht mehr auf (der Depressive). Dazwischen gibt es hundert Spielarten. Prüfe sich jeder, welche er davon bisher bevorzugt hat! Die gute Nachricht der Bibel in dieser Sache ist so alt, daß man sich verwundern möchte, weshalb sie noch immer gepredigt werden muß, und zugleich so frisch und springlebendig, daß sie Menschen „selig macht“, wie die Alten das nannten. Sie lautet: Du bist längst gerechtfertigt! Mühe dich doch nicht ab an der falschen Stelle, weder bei deinen Heldentaten noch in den Kellern deiner unglücklichen Seele. Lerne mich kennen, sagt Gott, dann weißt du alles, was du über dich wissen mußt. Das ist genug, und sei gewiß: es ist so viel, daß du bis zu deiner letzten Stunde genug daran zu erkennen und zu tun hast!

„Ich sag es dir: ein Kerl, der spekuliert, ist wie ein Tier, auf dürrer Weide von einem bösen Geist im Kreis herumgeführt, und ringsumher liegt schöne, grüne Weide“. Die Verse stammen aus Goethes „Faust“. Doch das Bild von der „grünen Weide hat er von einer der schönsten Stellen der Bibel. Was es mit dieser „Weide“ auf sich hat, springt an unserer Bibelstelle hier ins Auge, wo sie Gott von seiner „Barmherzigkeit, von Recht und Gerechtigkeit“ reden läßt und davon, daß er dies alles „auf Erden übt“, nicht auf irgendwelchen Höhen der Religion oder gar der Theologie. Schließlich läßt sie ihn enden damit, daß es Gott „so gefällt“. Das erinnert an die Schöpfung, wo Gott sein Werk ansieht und sehr gut findet. Die Sprache, anfangs so gemessen, wirkt auf einmal wie losgelassen. Er sagt jetzt, wie er es wirklich meint. Der alte Prophet, in dessen Buch ein halbes Jahrtausend dem Beginn unserer Zeitrechnung diese Worte aufgenommen wurden, wußte sehr viel von Gott, obwohl er zu seinen Lebzeiten noch nicht das offenbare Herz Gottes gesehen hatte, wie wir es kennen, nämlich in dem Gesicht des Mannes Jesus Christus. Wer von ihm angestiftet wird, von sich selber wegzusehen und die Rechtfertigung nicht mehr auf der „dürren Heide“ aufspüren zu wollen, der ist freigeworden, weil er den Rücken frei hat.

Gehen wir zum Schluß noch einmal an den drei unglückseligen Typen entlang: dem „Weisen“, der anderen mit seiner Intelligenz zu imponieren versucht; dem „Starken“, der andere seine Macht fühlen läßt; dem „Reichen“, für den sein Haus, sein sündhaft teurer Wagen, seine Frauen sein ein und alles sind – in Wahrheit arme Tröpfe „auf dürrer Heide“ und eher ein wenig komisch! Keiner von uns ist gezwungen, so zu werden. Denn wir sind zur Freiheit berufen.

Landessuperintendent i.R. Dr. Gottfried Sprondel
an der Wiho Kirche 1
49078 Osnabrück
Tel.: 0541 – 445871 Fax: 0541 - 46555


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