Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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2. Sonntag nach Epiphanias
16.1.2000
1. Korinther 2,1-10

Reinhard Weber

Liebe Gemeinde!

Die Kirche und die Welt können nicht zusammenkommen! Nie! Wo die Kirche mit der Welt und die Welt mit der Kirche einträchtig und harmonisch zusammenkämen, da müßten bei uns die höchsten Alarmglocken schrillen, da wäre äußerste Gefahr im Verzuge, denn da wäre entweder die Welt nicht mehr Welt oder die Kirche nicht mehr Kirche, da hätte eine von beiden ihr Wesen verloren. Denn die Kirche ist der institutionalisierte Widerspruch gegen die Welt, und die Welt ist, wie sie ist, der selbstverständliche Widerspruch gegen die Kirche, sofern diese noch etwas von dem Gekreuzigten weiß.

Darum, was heute z.T. bis in die Kirchenleitungen hinauf und durch sie veranlaßt versucht wird, nämlich doch irgendwie – und sei es auch mit noch so zweifelhaften Mitteln wie postmodern aufgemotzten und speziell auf die heutigen Jugendlichen und ihren angeblichen Geschmack zugespitzten und abgestimmten Werbespots in den Kinos und entsprechenden Plakatierungen an Litfaßsäulen in den Großstädten u.ä Methoden – Anschluß zu gewinnen an die aktuellen gesellschaftlichen Standards oder was man dafür hält, das ist nicht nur vergebliche Liebesmüh und zum Fenster rausgeschmissenes Geld der Kirchensteuerzahler, nein, das ist auch der perverse Versuch, sich selbst und den eigenen Auftrag loszuwerden, nämlich Salz in der Wunde der Welt zu sein, also den Widerspruch zu dem, was sie ist, indem sie so ist, wie sie ist. In und mit all diesen so lächerlichen, von irgendwelchen zeitgeisthörigen Werbefritzen, die für ihren Schwachsinn auch noch fürstlich entlohnt werden, ausgedachten Anpassungsstrategien und ihrer konkreten Umsetzung, verrät die Kirche ihren Herrn, denn den kann man in der Welt nur wissen als den Gekreuzigten, als den an der und für die und durch die Welt Gekreuzigten, als den Ausgesetzten, den Fremdling in der Welt. Den Christus nämlich gibt es in der Welt nur als Gekreuzigten, und zwar immer und beständig, nicht nur vor 2000 Jahren, nein, auch heute. Denn das ist ja gerade die Weisheit der Welt, ihre Weltlichkeit, ihr Sein als Welt, daß sie Christus, wenn er in die Welt kommt, kreuzigen muß, daß sie gar nicht anders kann. Sonst wäre sie nicht sie selbst, wäre nicht diese Welt, die sie ist.

So jedenfalls sieht es Paulus und mit ihm die Reformation!

Wo also die Christen und die Kirchentümer, in denen sie leben, versuchen, sich die Welt gleich zu machen, in deren großem Strom irgendwie mitzuschwimmen, mitzumachen, vielleicht gar chamäleongleich, wo sie in ihr ihren Vorteil suchen und deren Maßstäbe und Mittel übernehmen und sich zu eigen machen, voller Adaptions- und Assimilationsbereitschaft sind, da sind sie vom Glauben abgefallen, da haben sie ihre Fahne verlassen und sich fremden Göttern untergeordnet, da singen sie ein garstiges Lied, denn da haben sie ihrem Herrn die Gefolgschaft aufgekündigt, haben ihn verraten und verleugnet wie Judas und Petrus, da leben sie nicht mehr in der Kraft des göttlichen Geistes, sondern vertrauen auf Menschenweisheit und nennen das dann vielleicht noch Inanspruchnahme weltlicher Sachkompetenz in der Entwicklung von Werbestrategien zur Effizienzsteigerung des kirchlichen Missionsauftrages.

Dem hat Paulus in unserem heutigen Predigttext eine radikale, unzweideutige Absage erteilt, indem er auf sein eigenes Auftreten in Korinth verweist: in Schwachheit und mit Furcht und Zittern, nicht aber mit überredenden, hohen Worten fein ausgekünstelter, werbepsychologisch geschickt verpackter menschlicher Weisheit hat er dort das Wort vom Kreuz als göttliches Geheimnis gepredigt, allein auf dieses als die Sache des Evangeliums konzentriert, welche nur durch Gott selbst als ihren Autor begründet, legitimiert und wirkungskräftig gemacht werden kann, nicht jedoch durch menschliches Wollen oder Laufen. Nur so hat der Glaube seinen festen Grund und sein Fundament in Gott selbst und nicht in seinem menschlichen Empfänger, dem Glaubenden oder seinen Glaubensbemühungen. Nur so ist und bleibt dieser ein freies und unverdientes Geschenk, dem der Mensch sich rückhaltlos ausliefern und hingeben kann, ohne an ihm zweifeln oder es – und sei es auf noch so hintergründige Weise – infrage stellen und als Menschenwerk entlarven zu müssen.

Dieser Glaube aber ist und kann kein anderer sein als der Glaube an den Gekreuzigten, an den schwach gewordenen, den ohnmächtig gewordenen Gott, der am Kreuze hängt, dem der Apostel in seiner Schwachheit entspricht, dem er gleich geworden ist. Daran wird deutlich, daß er als Verkündiger den Grund seiner Verkündigung nicht selber legen kann, daß er ihm nur nachfolgen, ihm entsprechen kann. Das ist nicht nebensächlich und zufällig, nein, das gehört zur Sache, das ist Dienst an der Sache des Evangeliums, Dienst am Gekreuzigten, von dem man nicht anders wissen kann, als indem man sein Kreuz auf sich nimmt und es ihm nachträgt! Und das ist, das geht alle Weisheit der Welt. Denn die verleugnet das Kreuz, die will von ihm nichts wissen, die kann mit ihm nichts anfangen, für die ist es entweder Skandal, Ärgernis oder Torheit, Absurdität (1. Kor 1,23). Die Welt will den Schein, und sei er noch so hohl, sie will den Glanz und das Gloria, sie strebt immer noch hinaus.

Ihre Herrscher und Mächtigen, ihre Macher und Profiteure, die der Weisheit der Welt und ihren ach so eindrucksvollen und allseits sichtbaren Götzen huldigen, die haben den gekreuzigten Christus nicht erkannt, die gehen immer wieder an ihm lächelnd oder feixend oder gleichgültig vorüber, ja sie sind es – und sei es eben durch dieses Verhalten, durch diese Haltung -, die ihn gekreuzigt haben, diese Weltanbeter und Weltherrscher, ihn den „Herrn der Herrlichkeit“, der das Geheimnis, das Weltgeheimnis des verborgenen, des in der Ohnmacht verborgenen, des sich in diesem Christus verbergenden und gerade so offenbarenden Gottes ist. Darum ist die Weisheit Gottes Torheit vor der Welt (1. Kor 1,18ff). Denn die Welt denkt in anderen Kategorien, in Kategorien anderer Herrlichkeit, deren Kennzeichen es allerdings ist, daß sie vergeht. Und von dieser Weltherrlichkeit sind wir heute von allen Seiten umstanden, so gewaltig wie nie zuvor. Und gegenüber dieser Welt soll die Kirche – so meint Paulus – nur eines wissen und sonst nichts, nämlich den Gekreuzigten, das Wort vom Kreuz als Gottes geheime Rationalität, welche in der und durch die Schwachheit der Torheit und die Torheit der Schwachheit den Verstand der Weltweisen zunichte und so zur eigentlichen Torheit macht, wie sich selbst als wahre Weisheit erweist!

Der gekreuzigte Gott – das ist die Krisis der Welt! Wenn Gott nämlich als der Schöpfer der Welt sterben muß, wenn er zu ihr kommt und sich auf sie einläßt, dann muß es um diese Welt schlecht bestellt sein. Dann enthüllt sich nämlich in diesem Zueinander ein fundamentaler Gegensatz, der nur durch den Tod behoben werden kann. Und eben der wird im Glauben an den gekreuzigten Christus wahrgenommen.

Ein Christ ist also ein Mensch, der etwas von dieser ungeheuren, abgründigen Spannung spürt und weiß, der davon eine Ahnung bekommt, der von diesem Gegensatz ergriffen ist, der in dieser Gotteserfahrung als Selbsterfahrung drin steht. Denn an seiner Erfahrung des Gekreuzigten wird ja offenbar, was es mit dieser Welt auf sich hat, nämlich daß sie unter dem Fluch der Sünde steht (2. Kor 5,21; Gal 3,13), den jener an ihrer Stelle erleidet, unter den er sich begibt, ja der an ihm erst richtig kenntlich und wirksam und zuhöchst mächtig wird. Sein Kreuzestod ist ja der Versuch der Selbstbehauptung der Welt in ihrer Entfremdung vor Gott, die diesen in die Ohnmacht der Liebe hineinzwingt, welche den Abgrund der Welt aufreißt. Den offenbart das Kreuz.

Christus als den Gekreuzigten wissen, heißt also, meint Paulus, in diesen Abgrund der Gottferne der Welt schonungslos hineinblicken. Der Blick auf das Kreuz Jesu reißt diesen Abgrund auf, aber er reißt ihn für den Glaubenden so auf, daß er ihn zugleich als einen überbrückten aufreißt. Anders würde man ihn überhaupt nicht wahrnehmen, denn die Welt weiß von sich selbst her ja gar nichts von ihrer Gottlosigkeit, von ihrer Gottentfallenheit. Dazu ist sie insbes. heute viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Wer aber ist denn eigentlich diese „Welt“, von welcher der Apostel dauernd redet?

Diese Welt, das sind wir! Wir gehören zu der Welt, die gegen diesen Christus steht, die ihn permanent kreuzigt. Wir sind es, die ihn immer wieder neu kreuzigen, ihn verleugnen und verraten, die ,mit der Welt paktieren, die ihr zugehören, ihr verfallen sind. Da gibt es kein Schönreden, kein feines Distanzieren. Nein, wir stehen nicht auf der Seite des Gekreuzigten, der steht vielmehr der Welt allein gegenüber, so wie in Gethsemane oder auf Golgatha, verlassen auch von seinen Anhängern. Der Gekreuzigte stirbt allein, sogar verlassen von seinem Gott. Das ist das nie zu verharmlosende Fanal, „damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft“ (V. 5).

Diesen Glauben kann man nur empfangen, wenn man weiß und erkennt, daß man selber zur Welt gehört, die den Christus kreuzigt! Erst dann wird der Glaube wirklich zum „fremden Werk“, in dem sich Gott selber zugunsten des zur Welt gehörigen Menschen als Gott der Welt opfert, um zum Gott des Menschen zu werden!

Das hat nun wirklich „kein Auge je gesehen und kein Ohr je hört, und ist in keines Menschen Herz gedrungen“. Das sieht und hört und nimmt zu Herzen nur der, der den Gekreuzigten durch Gottes Gnade mit dem Auge und Ohr und Herz der Liebe anzusehen vermag. Solche Gnade, die im Wissen des die Tiefen der Gottheit erforschenden Geistes sich selber offenbar wird (V. 10), aber liegt im Gekreuzigten selbst, denn er hat uns zuvor geliebt, als wir noch Sünder waren und so allererst unsere Liebe zu ihm hervorgebracht und ermöglicht (Röm 5,6-10). So ist Nachfolge des Gekreuzigten nichts anderes die Liebe zu ihm, mit der er uns geliebt und uns aus der Verlorenheit der Welt und unseres Verhaftetseins an sie erlöst, damit die Welt als Welt überwunden und ihr die Möglichkeit der Schöpfung im Glauben zurückgewonnen hat. Darum und in diesem Sinne haben die christliche Gemeinde und der christliche Prediger nichts anderes zu wissen als den Gekreuzigten. Und eben dieses Wort ist die Kirche der Welt schuldig, nicht sonst, nihil omnino.

Amen!

Vorbereitender Hinweis:

Die folgende Predigt stellt in ihr Zentrum einen einzigen konzentrierten Gedanken: Christus als den Gekreuzigten. Sie macht damit V. 2 des Textes zu ihrem Hauptthema, welches in seinen theologischen Bezügen entfaltet und auf ein aktuelles Problem der Kirchentümer Deutschlands hin ausgelegt wird. Sie ruft damit in der Gegenwart das fundamentale anliegen des Apostels in Erinnerung, Christus so zu verkündigen, wie er der Welt als deren radikaler Gegensatz, aber auch als die Überwindung desselben zur Erscheinung kommt. Was heute Globalisierung heißt, wird auf diese Weise aus anderer, fremder, evangelischer Perspektive erkennbar und aus den postmodernen Relativierungen herausgenommen, nämlich das Weltsein der Welt als Einheit in und unter der Sünde als Form der Gottentfallenheit.

PD Pfarrer Dr. Reinhard Weber
Blaue-Kuppe-Str. 37
37287 Wehretal
Tel./Fax: 05651/40225


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