Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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2. Sonntag nach Epiphanias
16.1.2000
1. Korinther 2,1-10

Paul Kluge

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder,

als der Brief des Paulus eingetroffen war, hatte das Presbyterium beschlossen, reihum die Gemeinde nach Hause einzuladen. Heute war Justus dran. Sein Haus lag direkt neben der Synagoge, und bei ihm hatte Paulus gewohnt, als er in Korinth war. Inzwischen war einige Zeit vergangen, in der Gemeinde hatte sich einiges getan: Waren anfänglich alle von der Predigt des Paulus überzeugt gewesen, so waren doch mit der Zeit auch andere Meinungen laut geworden. Manchen war Paulus zu abstrakt und theoretisch, anderen zu streng und zu ernst, noch anderen war er gar zu weltlich. Aus diesen unterschiedlichen Meinungen waren richtige Gruppierungen geworden, und es war schon erstaunlich, daß sie sich trotzdem gemeinsam zu Gottesdienst und Abendmahl trafen.

Ein buntes und munteres Häufchen war im Innenhof des Hauses versammelt. Die Leute standen in kleinen Grüppchen zusammen, sprachen über dies und das und jenes, vor allem aber rätselten und vermuteten sie, was sie heute wohl zu hören bekämen. Der Briefanfang verhieß nicht viel Gutes, denn Paulus hatte nach ein paar Höflichkeitsfloskeln gleich benannt, worum es ihm ging: Der Streit in der Gemeinde mußte aufhören, die Christen sollten sich auf das besinnen, was sie miteinander verband. Dabei hatte er ihnen drastisch vor Augen gestellt, wer und was sie waren: Kleine Leute, ungebildet und bedeutungslos. Und doch von Gott erwählt, durch Christus erlöst, im heiligen Geist berufen.

Einer aus der Gemeinde mit einer poetischen Ader hatte nach der ersten Lesung gereimt:

Die eine rühmt sich ihrer Schönheit wohl, der andre seiner Stärke,
sind aber Herz und Köpfe hohl, fehlt Weisheit jedem Werke.
Manch einer prunkt mit Einfluß, Geld und Macht, ein andrer sammelt Titel,
und werden doch von Weisen nur verlacht: Sie nutzen falsche Mittel.

Der Reim machte die Runde, manche stadtbekannten Namen wurden gedacht oder auch genannt. Dabei entstand das gute Gefühl der Überlegenheit, die Gewißheit, die Eitelkeiten und Torheiten der Welt nicht nötig zu haben. Manche waren inzwischen so perfekt uneitel, daß sie schon wieder eitel wirkten.

Nun trat Justus in den Innenhof und bat sie, sich zu setzen. Tonkrüge mit frischem Wasser und Becher wurden verteilt. Justus begrüßte die Anwesenden und erinnerte sich und sie an die Zeit mit Paulus; an seine Predigten, an seinen Glauben, an den Menschen Paulus. Dann bat er um Aufmerksamkeit für die Lesung und um anschließende offene, ehrliche Diskussion. Er las: (1.Kor 2,1-10)

Er machte eine kurze Pause, dann sagte er: „Ja, das ist typisch Paulus. Stellt sich auf eine Stufe mit uns, will nicht mehr, nicht besser sein als wir. Gibt zu, daß er schwach ist, ängstlich, schüchtern. Daß er kein mitreißender Redner ist, der die Massen begeistert, und kein Philosoph, der auf alle Fragen eine Antwort hat. So stellt sich der Mann dar, der seit Jahren durch die Welt reist und missioniert und Gemeinden gründet; der sich deswegen beschimpfen, sogar verhaften und auspeitschen läßt. Trotzdem macht er weiter mit seiner Mission, predigt den gekreuzigten Christus als Gottes Herrlichkeit.

Das ist, scheint mir, für manche schwer zu begreifen, dieser vermeintliche Widerspruch zwischen Kreuzigung und Allmacht. Doch aus vielen Gesprächen mit Paulus weiß ich: Kreuzigung und Allmacht gehören zusammen. Gerade in den Schwächen und in den Schwachen zeigt sich Gottes Kraft. Das ist doch, was Paulus uns vorlebt und was wir von ihm lernen können: Daß Gott nicht so ist wie die Großen und Starken der Welt. Die leben alle auf Kosten von Schwachen: die Eingebildeten, die sich selbst für klug halten, verkaufen andere für dumm; die Emporkömmlinge, die sich selbst für erfolgreich halten, booten andere trickreich aus; die Despoten, die sich selbst für die Herren der Welt halten, halten sich nur durch Unterdrückung. Solche Art der Herrlichkeit ist nicht Gottes Herrlichkeit. Daß Gott der Herr ist, das zeigt sich darin, daß Blinde sehen und Lahme gehen, daß Aussätzige rein werden und den Armen die gute Nachricht von Gottes Liebe überbracht wird.“

„Davon werde ich aber nicht satt!“ rief jemand von hinten dazwischen, und alle drehten sich zu ihm um. Der Mann sah aus wie die Armut in Person; er war den anderen einfach gefolgt. „Wir essen nachher zusammen“, rief Justus zurück, „du bist eingeladen. Oder geh jetzt in die Küche, dort bekommst du was. Aber du brauchst noch mehr als Essen und Trinken, Kleider und Schuh. Du brauchst Arbeit, um dein Brot selbst zu verdienen. Vor allem aber mußt du lernen, daß du ein wertvoller Mensch bist. Weil Gott dich liebt - so, wie du bist und was du auch getan hast. Deshalb bist du bei uns willkommen, wir werden dir helfen“ Der Mann schlurfte in Richtung Küche. Ängstlich blickte er sich immer wieder um, konnte nicht recht glauben, was ihm da passierte. Denn statt ihn aufzuhalten, zu beschimpfen oder wegzujagen, wie er es gewohnt war, nickte man ihm aufmunternd zu.

„Den hat uns der Himmel geschickt,“ dachte Justus, bevor er den unterbrochenen Faden wieder aufnahm. „Liebe Geschwister,“ fuhr er fort, „sind nicht die Menschen oft blind für die Not anderer, sind nicht ihre Arme oft wie gelähmt, wenn sie sich die Hand zur Versöhnung geben sollten? Behandeln nicht die Herren der Welt die Armen und Elenden, als wären sie aussätzig; ja, diese Herren bringen es sogar fertig, andere Menschen Gefahren und gewaltsamem Tod auszusetzen. Und sind nicht viele Ohren taub, viele Münder stumm für gute, freundliche Worte, für Lob und Anerkennung, taub und stumm für Vergebung und Versöhnung, für Dank und Bitte, für Lieder der Liebe? Alles Fragen, auf die ihr die Antwort kennt: Ja, so ist die Weisheit der Welt, so sind ihre Herren. Unser Herr aber und seine Weisheit sind anders. Sie stellen die Werte auf den Kopf, machen groß, was erniedrigt ist und erniedrigen, was groß ist; geben von dem, der zwei Mäntel hat, einen dem, der keinen hat. Denn vor Gott und nach seiner Weisheit sind alle Menschen gleich, allen gilt seine Liebe gleichermaßen. Und genau deshalb sollen die Herren der Welt aus ihrer Herrschaft und die von ihnen Geknechteten aus ihrer Knechtschaft befreit werden. Dann wird Gott allein der Herr sein, und kein großer, noch so erhabener und kein noch so kleiner, lächerlicher weltlicher Herrscher, ja, kein Mensch wird dann noch über andere Menschen herrschen.“

„Das klingt ja nach Revolution!“ warf jemand ein, „das wird mir zu gefährlich. Wir sollten uns lieber mit den weltlichen Herren gutstellen. Sonst landen wir auch noch am Kreuz oder vor den Löwen. Und dann, Justus?“ Einige klatschen dem Zwischenrufer Beifall. Andere mahnten zur Ruhe. Manche schlichen sich davon. „Und dann, Justus?“ wiederholte der Zwischenrufer, bevor Justus antwortete: „Das kann passieren. Christsein erfordert Mut, mit dem schon zu beginnen, was werden soll. Und das paßt vielen nicht, weil es sie und ihr Getue in Frage stellt. Aber wir ahnen und spüren darin das Geheimnis Gottes, erfahren durch seinen Geist, was größer ist als alle unsere Vernunft: Den gekreuzigten Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“

In diesem Augenblick kam der Bettler wieder aus der Küche, satt, frisch gewaschen und in sauberen Kleidern. Nicht mehr ängstlich blickte er um sich, sondern zufrieden und sicher. „Hätt’ ich nicht gedacht,“ rief er, „ihr redet nicht nur, ihr handelt auch danach. Ich glaube, hier bleib’ ich.“

Amen

Vorschlag für ein Gebet: Psalm 146 entsprechend umformulieren.

Liedvorschläge: Herr, für dein Wort sei hoch gepreist, EG 196; Herr, öffne mir die Herzenstür, EG 197; Ach Gott, vom Himmel sieh darein, EG 273; Erneure mich, o ewigs Licht, EG 390.

Paul Kluge, Provinzialpfarrer im Diakonischen Werk in der Kirchenprovinz Sachsen
Wasserstr. 3, 39114 Magdeburg, E-Mail: Paul.Kluge@T-Online.de


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