Göttinger Predigten im Internet
hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
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1. Sonntag nach Epiphanias
9.1.2000
1. Korinther 1, 26-31

Christian-Erdmann Schott

Liebe Gemeinde!

2000 Jahre Christentum - das ist für viele ein Grund zum Feiern. In Nazareth und Bethlehem, in Rom zum Heiligen Jahr wird man es erleben können. Millionen von Festpilgern wurden an diesen Orten erwartet.

Aber da gibt es auch andere, denen nicht so recht zum Feiern zu Mute ist; Menschen, die die Kirche auch sehr lieben und sich freuen, daß es sie gibt, die aber doch unter dem Erscheinungsbild leiden - und zwar unter dem traurigen Erscheinungsbild -, das Kirche und Christenheit in diesen beiden bisherigen Jahrtausenden bis heute immer wieder auch gezeigt haben und zeigen.

Da gibt es nicht nur ein Leiden an Enge, Mittelmäßigkeit, Phantasielosigkeit, Verzagtheit, sondern auch an Lieblosigkeit, Machtstreben, Sünde. Auch unter unseren Freunden, die der Kirche ferner stehen, hören wir immer wieder von negativ-enttäuschenden Erfahrungen. Und dabei wünschten wir uns so sehr eine Kirche, die Ausstrahlung hat, Geborgenheit vermittelt, Anerkennung findet.

Unser heutiger Predigttext zeigt, daß es dieses "Leiden an der Kirche" schon immer gegeben hat; daß es sogar schon in der Urchristenheit ein Thema gewesen ist. Bei Paulus zum Beispiel hört es sich so an. Ich lese I. Kor. 1, 26-31;

"Sehet an, liebe Brüder (und Schwestern), eure Berufung: nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Gewaltige, nicht viele Edle sind berufen.

Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist;

und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das da nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist,

auf daß sich vor Gott kein Fleisch rühme.

Durch ihn aber seid ihr in Christus Jesus, welcher uns gemacht ist von Gott zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung,

auf daß, wie geschrieben steht (Jer. 9,22.23): "Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn!"

Den Schlüssel zu dieser bescheidenen Selbsteinschätzung der Urchristen werden wir in der Soziologie nicht finden. Es ist zwar durch neue Forschungen bestätigt, daß der Urgemeinde viele einfache Menschen angehörten, Unterschicht, Sklaven, Ungebildete, Arme. Aber es gab auch andere - etwa der Oberzöllner Zachäus, der römische Offizier Cornelius, der hochgebildete Pharisäer Paulus, die reiche Dame Lydia oder die Könige und Weisen aus dem Morgenland.

Mit den Mitteln der Soziologie, das heißt als wissenschaftlich-distanzierte Beobachtung und Analyse, ist die Selbsteinschätzung, die Paulus hier vorlegt, aber auch deswegen nicht zu verstehen, weil es sich um ein Bekenntnis handelt. Allen, die in dieser Art über die Gemeinde geschrieben haben, waren zwei Dinge bewußt:

1. Sie wußten: Ich bin nicht anders oder besser als meine Brüder und Schwestern. Alles, was ich an der Kirche vermisse, muß ich auch an mir selbst vermissen. Paulus zum Beispiel hat immer wieder, offen oder nur andeutungsweise, von seinen Verfehlungen als Christenverfolger geschrieben. Er hat es nie verheimlicht. Und die Jünger haben in den Evangelien mit erstaunlichem Mut über ihr Versagen berichtet: Als es ans Leiden ging, haben sie den Herrn allein gelassen, haben geschlafen, denn sind sie geflohen. Petrus hat ihn verleugnet. Später haben sie sich aus Angst vor Verfolgung eingeschlossen und auch sonst nur selten eine gute Figur gemacht. Aber auch die Mutter Jesu, Maria, hat sich ursprünglich ihrer "Niedrigkeit" nicht geschämt und nicht geschönt, daß sie im Grunde eine arme Magd, ein armes Mädchen vom Lande war. Die Bescheidenheit des Paulus ist realistisch. Als Menschen und Christen waren bereits die ersten Christen nicht so sehr viel anders wie wir selbst.

II. Sie konnten das alles sagen und wollten es so sagen, weil sie dankbar dafür waren, daß Gott sie trotzdem nicht hat fallen lassen, sondern in Dienst genommen hat. Maria hat es voller Jubel ausgesprochen: "Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gottes meines Heilandes"(Lk.1,46.47).Und Paulus erklärte: "Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin" I. Kor. 15,10). Und hier, in unserem Predigttext, sagt er das dann auch von der Gemeinde: Sie ist von Gott erwählt, berufen, nicht wegen Ihrer Perfektität, sondern aus Gnade. Die Gnade aber ist ein Stück weit immer Geheimnis, Ausdruck der souveränen Weisheit Gottes. Wir können sie nicht ergründen aber wir können erkennen, daß sie ganz anders ist als die Weisheit der Welt.

Die Weisheit der Welt hat ihren Sitz im Wort der Schlange "Ihr werdet sein wie Gott". So unabhängig wie Gott, so groß wie Gott, so mächtig wie Gott - so möchten wir seit diesem Wort sein. Und so setzen wir alles daran, uns so vor uns und den Mitmenschen zu präsentieren. Nie kommen wir zur Ruhe, nie sind wir im Frieden mit uns selbst, höher, weiter, schneller werden. Das ist, was zählt. Fehler darf man nicht zugeben, weil man dann ganz schnell aus dem Rennen ausscheidet. Die äußere Reputation muß gewahrt bleiben. So möchte man sich sehen und gesehen werden.

Christen dagegen wissen, daß wir auf Gottes Barmherzigkeit angewiesen sind. Alle, die im Reich Gottes mitarbeiten - Eltern, Erzieher, Pfleger und Schwestern, Nachbarn - sind glaubwürdig, wenn wir die Barmherzigkeit Gottes selbst erfahren haben und diese Erfahrung weitergeben; also Gott und seine Weisheit, und das ist seine Barmherzigkeit, als selbst begnadete Sünder bezeugen.

Weisheit der Welt ist, sich selbst zu empfehlen, herauszustellen und zu "rühmen". Weisheit des Glaubens ist, auf Gott und seine Weisheit hinzuweisen, ihn zu loben und zu rühmen. Paulus hat das an anderer Stelle einmal so ausgedrückt: "Wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, daß er der Herr sei" (2. Kor. 4,5). Und In diesem Sinne lebt die Kirche auch nicht von der Perfektität ihrer Mitglieder. Sie lebt davon, daß die durchaus nicht perfekten Mitglieder der Kirche die Barmherzigkeit Gottes erfahren haben und dieses Angebot, und nicht unsere Gutheit oder unsere Programme, an die Menschen weitergeben.

Millennium - 2000 Jahre Christentum. Ich denke es ist wirklich ein Grund zum Feiern. Nicht, daß die Kirche diese 2000 Jahre überstanden hat, sondern daß Gott diese, unsere Kirche mit allen ihren Mängeln und Schwächen dennoch und trotzdem braucht. Luther hat das einmal an ausgedrückt:

"Wir sind es doch nicht, die da könnten die Kirche erhalten, unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen, unsere Nachfahren werden es auch nicht sein, sondern der ist's gewesen, ist's noch und wird es sein, der da spricht: "Ich bin alle Tage bei euch bis an der Welt Ende, Jesus Christus".

Wir leben in der Epiphaniaszeit. Die Geschichte von den Weisen aus dem Morgenland ist eine schöne Hilfe zum Glauben. Sie zeigt, wie die Vertreter der Weltweisheit den Weg zur Weisheit Gottes gefunden haben. Wie wir alle dachten sie zunächst in den Kategorien unserer Logik - gut ist, was oben, was hoch, was edel ist. Darum suchten sie das Kind im Palast des Herodes. Durch den Stern und die Bibel wurden sie auf den richtigen Weg gewiesen, den der göttlichen Weisheit, die nach unten führt. In der Begegnung mit dem Jesus-Kind fanden sie Gott und sich selbst. Sie wurden still in der Anbetung, wahr und wesentlich, Menschen, die zu der Erkenntnis der wahren Weisheit und zu dem Frieden gekommen sind, der höher ist als alle Vernunft.

Amen

Dr. Christian-Erdmann Schott, Mainz
Telefon: 06131-690488, Fax: 06131-686319


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